23.11.2024
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Dokument-Nr. 21039

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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.04.2015

Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer bei Vererbung von Zinsansprüchen verfas­sungsgemäßGesetzgeber darf aufgrund der Typisierungs- und Pauschalierungs­befugnis später entstehende Einkommensteuer bei der Berechnung der Erbschaftsteuer unberück­sichtigt lassen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass es aufgrund der Typisierungs- und Pauschalierungs­befugnis des Gesetzgebers mit dem Gebot der steuerlichen Lasten­gleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, eine später entstehende Einkommensteuer bei der Berechnung der Erbschaftsteuer in dieser Konstellation unberück­sichtigt zu lassen. Das Bundes­verfassungs­gericht hat daher eine Verfassungs­beschwerde gegen die Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer bei der Vererbung von Zinsansprüchen mangels Erfolgs­aus­sichten nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens ist Alleinerbe seines im Jahr 2001 verstorbenen Bruders. Zum Nachlass von rund 15 Mio. DM gehörten auch bereits aufgelaufene, aber erst im Jahr 2002 fällige Zinsansprüche in Höhe von rund 190.000 DM. Im Jahr 2002 wurde hierfür bei dem Beschwer­de­führer Einkommensteuer auf Kapitalerträge von (anteilig) rund 50.000 Euro festgesetzt. Die Erbschaftsteuer setzte das Finanzamt auf rund 4,8 Mio. DM fest. Die Zinsansprüche wurden vom Finanzamt bei der Bestimmung des erbschaft­steu­er­lichen Gesamtwerts des Nachlasses mit ihrem Nennwert eingestellt. Die auf den Zinsansprüchen ruhende Belastung mit sogenannter latenter Einkommensteuer wurde hierbei nicht berücksichtigt. Das Begehren des Beschwer­de­führers, die Erbschaftsteuer wegen dieser latenten Einkommensteuer um rund 16.000 Euro herabzusetzen, blieb im Einspruchs­ver­fahren und vor den Finanzgerichten ohne Erfolg.

Keine Verletzung der Erbrechts­ga­rantie

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Erbrechts­ga­rantie des Art. 14 Abs. 1 GG durch die hier erfolgte Kumulation von Einkommen- und Erbschaftsteuer zu Lasten des Beschwer­de­führers nicht verletzt wird. Bei der hier vorliegenden Gesamt­steu­er­be­lastung von rund 4,8 Mio. DM und einem Nachlasswert von mindestens 15 Mio. DM kann von ökonomischer Sinnlosigkeit des Vererbens keine Rede sein. Auf die vom Beschwer­de­führer als übermäßig gerügte Steuerbelastung allein der Stück­zins­ansprüche könnte es nur bei einer völlig atypischen separaten Vererbung der Zinserträge ankommen, die der Erblasser durch entsprechende Gestaltung problemlos vermeiden kann. Angesichts seiner Typisie­rungs­be­fugnis muss der Gesetzgeber für diesen Fall keine besondere Regelung vorsehen.

Typisierung und Pauschalierung unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung der Verwal­tung­s­tä­tigkeit gerechtfertigt

Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn die Einkommensteuer, die im Jahr nach dem Erbfall auf die bis zum Todeszeitpunkt entstandenen Zinsansprüche anfällt, bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer nicht berücksichtigt wird. Eine generelle Aussage zum Verhältnis von Erbschaft- und Einkommensteuer und dem Problem der latenten Einkom­men­steu­er­be­lastung ist damit nicht getroffen. Denn jedenfalls bei zum Nachlass gehörenden Zinsansprüchen ist es wegen der Typisierungs- und Pauscha­lie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt, eine später entstehende Einkommensteuer bei der Berechnung der Erbschaftsteuer unberück­sichtigt zu lassen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat den Gesichtspunkt der Vereinfachung der Verwal­tung­s­tä­tigkeit vielfach als Recht­fer­ti­gungsgrund für eine Typisierung und Pauschalierung anerkannt. Steuergesetze betreffen in der Regel Massenvorgänge des Wirtschafts­lebens. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuer­recht­lichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falls vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Der Gesetzgeber darf außerdem für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss reali­täts­gerecht den typischen Fall als Maßstab zu Grunde legen.

Voraussetzungen für zulässige Typisierung und Pauschalierung erfüllt

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Bei der Bestimmung des Nachlasswerts werden nach der neueren Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs Einkom­men­steu­er­ver­bind­lich­keiten dann als Nachlass­ver­bind­lich­keiten berücksichtigt, wenn noch der Erblasser sämtliche einkom­men­steu­er­re­le­vanten Tatbestände verwirklicht hat. Damit orientiert sich der Gesetzgeber an dem typischen Fall, wonach der Erblasser das zum Nachlass gehörende Vermögen bereits versteuert hat oder aber das Entstehen seiner Einkom­men­steu­er­schuld nur noch vom Ablauf des Veran­la­gungs­zeitraums abhängt. Verzichtet der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung für den speziellen Fall, dass zum Nachlass Forderungen gehören, die erst mit ihrem späteren Zufluss beim Erben einkom­men­steu­er­pflichtig werden, ist dies im Ausgangspunkt eine jeder gesetzlichen Regelung immanente Verall­ge­mei­nerung.

Verall­ge­mei­nerung bewirkt Entlastung des Rechtsanwenders

Durch diese Verall­ge­mei­nerung wird eine Entlastung des Rechtsanwenders erreicht, weil es im Rahmen der Erbschaft­steu­er­fest­setzung nicht notwendig ist, Berechnungen zu der künftigen Einkom­men­steu­er­be­lastung anzustellen. Eine solche Berechnung birgt gerade in Fällen, in denen es nicht mehr der Erblasser ist, der sämtliche einkom­men­steu­er­re­le­vanten Tatbestände erfüllt, nicht zu vernach­läs­sigende Schwierigkeiten. Zum Todestag des Erblassers steht die Einkommensteuer noch nicht fest, weil sie von künftigen Ereignissen wie der Höhe der weiteren Einkünfte des Erben abhängt. Bleiben die Einkünfte unter dem Freibetrag, entfällt eine Einkom­men­steu­er­be­lastung sogar ganz.

Mehrbelastung in Relation zur Gesamtbelastung gestellt werden

Die Verein­fa­chungs­effekte stehen - jedenfalls bei den hier ausschließlich zu beurteilenden Zinsansprüchen - im rechten Verhältnis zu der hiermit notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung. Zwar zeigt der Fall des Beschwer­de­führers, dass es bei absolut sehr hohen Erbschaften mit einem großen Anteil an Wertpapieren und sich hieraus ergebenden Zinsansprüchen zu einer für sich genommen hohen Mehrbelastung kommen kann. Bei der Beurteilung des Maßes an Ungleichheit muss aber die Mehrbelastung in Relation zur Gesamtbelastung gesehen werden. Diese erscheint hier - mit rund ,65 % - als vernach­läs­sigbar.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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