21.11.2024
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Dokument-Nr. 32769

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Beschluss14.02.2023Bundesverfassungsgericht1 BvR 141/16, 1 BvR 2683/16 und 1 BvR 2845/16
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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.02.2023

Verfassungs­beschwerden gegen die anlasslose Vorrats­daten­speicherung erfolglosBeschwer­de­vor­bringen nicht hinreichend substantiiert und daher unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat drei Verfassungs­beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Diese richteten sich unmittelbar gegen Vorschriften des Tele­kommunikations­gesetzes (TKG) und der Straf­pro­zess­ordnung (StPO), die die anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf Vorrat (sogenannte anlasslose Vorrats­daten­speicherung) vorsahen. Aus den Begründungen der Verfassungs­beschwerden geht nicht hervor, inwieweit nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) noch ein Rechtsschutz­bedürfnis für die Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts besteht. Der EuGH hatte darin die gesetzliche Pflicht von Tele­kommunikations­dienstleistern in Deutschland zur anlasslosen Vorrats­daten­speicherung für unions­rechts­widrig erklärt.

Die Beschwer­de­füh­renden wenden sich gegen die gesetzlichen Vorschriften über die anlasslose Vorratsspei­cherung, ursprünglich insbesondere geregelt in § 113 b Abs. 1 bis 4 sowie § 113 c Abs. 1 TKG und § 100 g Abs. 2 sowie § 100 g Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 100 g Abs. 2 StPO. Zur Begründung machten sie geltend, die darin vorgesehene Speicherung ihrer Verkehrsdaten verstoße unter anderem gegen ihre Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 GG (Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­freiheit), Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persön­lich­keitsrecht in der Ausprägung der infor­ma­ti­o­nellen Selbst­be­stimmung) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Seit Juni 2021 finden sich die hier maßgeblichen Vorschriften ihrem Inhalt nach in § 176 Abs. 1 bis 4 sowie § 177 Abs. 1 TKG n. F. und § 100 g Abs. 2 sowie § 100 g Abs. 3 in Verbindung mit § 100 g Abs. 2 StPO n. F. Dem Verfahren ging ein Vorla­ge­be­schluss des BVerwG an den EuGH und dessen klärende Vorab­ent­scheidung voraus.

BVerfG weist Verfas­sungs­be­schwerden gegen Vorrats­da­ten­spei­cherung als unzulässig ab

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind unzulässig und haben damit keine Aussicht auf Erfolg. Beschwer­de­führende sind angehalten, ihre Verfas­sungs­be­schwerden bei entschei­dungs­er­heb­licher Veränderung der Sach- und Rechtslage aktuell zu halten und die Beschwer­de­be­gründung gegebenenfalls auch nachträglich zu ergänzen. Sie trifft eine Begründungslast für das (Fort-)Bestehen der Annahme- und Zuläs­sig­keits­vor­aus­set­zungen. Dieser Begründungslast sind die Beschwer­de­füh­renden nicht nachgekommen, obschon Anlass dafür bestand, von einer entschei­dungs­er­heb­lichen Veränderung der Sach- und Rechtslage auszugehen. Sie waren jedenfalls nach dem Urteil des EuGH vom 20. September 2022 gehalten, ihren Vortrag substantiiert dahingehend zu ergänzen, ob und inwieweit ihr Rechts­schutz­be­dürfnis weiter fortbestand. Auf diese Vorlage hin hat der EuGH mit Urteil vom 20. September 2022 im Wesentlichen entschieden, dass die Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation im Lichte von Art. 7 (Achtung des Privatlebens), Art. 8 (Schutz perso­nen­be­zogener Daten) und Art. 11 (Freiheit der Meinung­s­äu­ßerung) sowie von Art. 52 Abs. 1 (Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nationalen Rechts­vor­schriften entgegenstehe, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unter­schiedslose Vorratsspei­cherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsähen. Eine allgemeine und unter­schiedslose Vorratsspei­cherung von Verkehrs- und Standortdaten sei nur unter verschiedenen engen Voraussetzungen zulässig.

Beschwer­de­vor­bringen nicht hinreichend substantiiert

Grundsätzlich gibt es für eine Überprüfung einer nationalen Norm im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde kein Bedürfnis, wenn schon feststeht, dass die Norm dem Unionsrecht widerspricht und deshalb innerstaatlich nicht angewendet werden darf. Jedenfalls nach dem Ergehen des Urteils des EuGH musste es sich den Beschwer­de­füh­renden aufdrängen, zur Frage ihres fortbestehenden Rechts­schutz­be­dürf­nisses nachzutragen. So hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in seinem Vorla­ge­be­schluss vom 25. September 2019 die Aussetzung des Verfahrens und die notwendige Vorlage an den EuGH ausdrücklich in Hinblick auf den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts mit einer möglichen Unanwendbarkeit der vorliegend angegriffenen Vorschriften begründet. Um den Substan­ti­ie­rungs­an­for­de­rungen zu genügen, hätten die Beschwer­de­füh­renden vor diesem Hintergrund vortragen müssen, inwieweit noch ein Rechts­schutz­be­dürfnis für eine Prüfung der angegriffenen Vorschriften am Maßstab des Grundgesetzes fortbestehen sollte. Unerheblich ist dabei, dass die Regelungen zwischen­zeitlich neugefasst wurden. Zum einen ging hiermit gerade keine inhaltliche Änderung einher, zum anderen erstreckte sich die Vorlagefrage auf das insoweit unverändert gebliebene Regelungs­konzept der deutschen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Die Relevanz weiteren Vortrags hätte sich aber umso mehr aufdrängen müssen, als die Beschwer­de­füh­renden wegen bestehender Zweifel an der Unions­rechts­kon­formität mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden ursprünglich selbst angeregt hatten, dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit der angegriffenen Vorschriften mit dem Unionsrecht vorzulegen. Nachdem dieser die Frage der (Un)Vereinbarkeit der Vorrats­da­ten­spei­cherung mit dem Unionsrecht geklärt hat, haben die Beschwer­de­füh­renden sich jedoch nicht mehr verhalten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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