15.11.2024
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Urteil24.04.2013Bundesverfassungsgericht1 BvR 1215/07
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2013, 369Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2013, Seite: 369
  • ITRB 2013, 199Zeitschrift: Der IT-Rechts-Berater (ITRB), Jahrgang: 2013, Seite: 199
  • JuS 2013, 952Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 952
  • K&R 2013, 381Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2013, Seite: 381
  • NJW 2013, 1499Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 1499
  • ZD 2013, 328Zeitschrift für Datenschutz (ZD), Jahrgang: 2013, Seite: 328
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Bundesverfassungsgericht Urteil24.04.2013

Antiterrordatei ist in Grundstrukturen verfas­sungsgemäßAusgestaltung im Einzelnen genügt jedoch nicht den verfassungs­rechtlichen Anforderungen

Die Antiterrordatei ist in ihren Grundstrukturen verfas­sungsgemäß. Jedoch genügt sie hinsichtlich ihrer Ausgestaltung im Einzelnen den verfassungs­rechtlichen Anforderungen nicht. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2014, dürfen die verfas­sungs­widrigen Vorschriften unter Maßgaben weiter angewendet werden.

Im zugrunde liegenden Fall wendet sich der Beschwer­de­führer gegen das Gesetz zur Errichtung einer standa­r­di­sierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrich­ten­diensten von Bund und Ländern (Antiter­ror­da­tei­gesetz ATDG).

Europäischen Grundrechte sind von vornherein nicht anwendbar

Die Verfas­sungs­be­schwerde gibt keinen Anlass für ein Vorab­ent­schei­dungs­ver­fahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Unzweifelhaft stellen das Antiter­ror­da­tei­gesetz und die Tätigkeit auf dessen Grundlage keine Durchführung des Rechts der Union im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Grund­recht­echarta der Europäischen Union dar. Das Antiter­ror­da­tei­gesetz verfolgt innerstaatlich bestimmte Ziele, die das Funktionieren der unionsrechtlich geordneten Rechts­be­zie­hungen nur mittelbar beeinflussen können. Die europäischen Grundrechte sind daher von vornherein nicht anwendbar, und der Europäische Gerichtshof ist insoweit nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nichts anderes kann sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Åkerberg Fransson vom 26. Februar 2013 ergeben. Im Sinne eines kooperativen Miteinanders darf dieser Entscheidung keine Lesart unterlegt werden, nach der diese offensichtlich als Ultra-vires-Akt zu beurteilen wäre oder Schutz und Durchsetzung der mitglied­s­taat­lichen Grundrechte in einer Weise gefährdete, dass dies die Identität der durch das Grundgesetz errichteten Verfas­sungs­ordnung in Frage stellte. Der Senat geht davon aus, dass die in der EuGH-Entscheidung enthaltenen Aussagen auf Besonderheiten des Umsatz­steu­er­rechts beruhen, aber keine grundsätzliche Auffassung äußern. Die Entscheidung über diese Frage ist im Senat einstimmig ergangen.

Antiterrordatei in Grundstrukturen mit Grundgesetz vereinbar

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist teilweise begründet. Die Antiterrordatei ist in ihren Grundstrukturen mit dem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar.

Aufnahme in Datei kann erheblich belastende Wirkung für Betroffene haben

Der durch die angegriffenen Vorschriften geschaffene Infor­ma­ti­o­ns­aus­tausch ist von erheblichem Gewicht. Für die Betroffenen kann die Aufnahme in eine solche Datei erheblich belastende Wirkung haben.

Datenaustausch zwischen Nachrich­ten­diensten und Polizeibehörden für operatives Tätigwerden nur in Ausnahmen zulässig

Das Eingriffs­gewicht wird dadurch erhöht, dass die Datei auch den Infor­ma­ti­o­ns­aus­tausch zwischen Nachrich­ten­diensten und Polizeibehörden ermöglicht. Die Rechtsordnung unterscheidet zwischen einer grundsätzlich offen arbeitenden Polizei, die auf eine operative Aufga­ben­wahr­nehmung ausgerichtet und von detaillierten Rechts­grundlagen angeleitet ist, und den grundsätzlich verdeckt arbeitenden Nachrich­ten­diensten, die auf die Beobachtung und Aufklärung im Vorfeld zur politischen Information und Beratung beschränkt sind und sich deswegen auf weniger ausdif­fe­ren­zierte Rechts­grundlagen stützen können. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung folgt für den Datenaustausch zwischen diesen ein infor­ma­ti­o­nelles Trennungs­prinzip. Soweit Daten zwischen den Nachrich­ten­diensten und Polizeibehörden für ein operatives Tätigwerden ausgetauscht werden, handelt es sich um einen besonders schweren Eingriff. Dieser ist nur ausnahmsweise zulässig und muss einem herausragenden öffentlichen Interesse dienen. Hierbei dürfen die jeweiligen Eingriffs­schwellen für die Erlangung der Daten nicht unterlaufen werden.

Antiter­ror­da­tei­gesetz berechtigt nur in dringenden Ausnahmefällen zum Austausch zur operativen Aufga­ben­wahr­nehmung

Das Eingriffs­gewicht der Antiterrordatei wird jedoch dadurch gemindert, dass sie als Verbunddatei ausgestaltet ist, die sich in ihrem Kern auf die Infor­ma­ti­o­ns­an­bahnung durch bereits erhobene Daten beschränkt. Für die Übermittlung der Daten zur operativen Aufga­ben­wahr­nehmung ist das einschlägige Fachrecht maßgeblich, das seinerseits den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen und dem infor­ma­ti­o­nellen Trennungs­prinzip genügen muss. Das Antiter­ror­da­tei­gesetz selbst berechtigt zu einem Austausch zur operativen Aufga­ben­wahr­nehmung nur in dringenden Ausnahmefällen.

Terro­ris­mus­be­kämpfung ist im Rahmen der Verhält­nis­mä­ßig­keits­ab­wägung ein erhebliches Gewicht beizumessen

Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus, wie sie das Antiter­ror­da­tei­gesetz zum Bezugspunkt hat, richten sich gegen die Grundpfeiler der verfas­sungs­recht­lichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes. Es ist Gebot unserer verfas­sungs­recht­lichen Ordnung, solche Angriffe nicht als Krieg oder als Ausnahmezustand aufzufassen, der von der Beachtung rechts­s­taat­licher Anforderungen dispensiert, sondern sie als Straftaten mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen. Dem entspricht umgekehrt, dass der Terro­ris­mus­be­kämpfung im Rahmen der Verhält­nis­mä­ßig­keits­ab­wägung ein erhebliches Gewicht beizumessen ist.

Grundstrukturen der Antiterrordatei begegnet keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken

Angesichts der sich gegen­über­ste­henden Interessen bestehen gegen die Grundstrukturen der Antiterrordatei keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Allerdings entspricht die Regelung der Datei dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz im engeren Sinne nur, wenn sie hinsichtlich der zu erfassenden Daten sowie deren Nutzungs­mög­lich­keiten normenklar und in der Sache hinreichend begrenzt ausgestaltet ist sowie hierbei qualifizierte Anforderungen an die Kontrolle gestellt und beachtet werden.

Regelung zur Beteiligung weiterer Polizei­voll­zugs­be­hörden mit Bestimmt­heitsgebot unvereinbar

Das Antiter­ror­da­tei­gesetz genügt diesen Maßstäben nicht vollständig. § 1 Abs. 2 ATDG, der die Beteiligung weiterer Polizei­voll­zugs­be­hörden an der Antiterrordatei nur nach weiten und wertungsoffenen Kriterien regelt, ist mit dem Bestimmt­heitsgebot unvereinbar. Will der Gesetzgeber die Entscheidung über die beteiligten Behörden in die Hände der Exekutive legen, ist er vorliegend auf die Form der Rechts­ver­ordnung verwiesen. Eine bloße Verwal­tungs­vor­schrift reicht insoweit nicht.

Vorgaben zur Festlegung des Personenkreises nicht mit verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen vereinbar

Nicht in jeder Hinsicht mit den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen vereinbar sind die Vorschriften, die den von der Datei erfassten Personenkreis festlegen. Die Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 1 ATDG erfasst zunächst Angehörige, Unterstützer und unterstützende Gruppierungen von terroristischen Vereinigungen. Sie erweitert diesen Kreis aber auf Personen, die eine unterstützende Gruppierung lediglich unterstützen, ohne klarzustellen, dass es sich um eine willentliche Unterstützung der den Terrorismus unterstützenden Aktivitäten handeln muss. Daher können Personen erfasst werden, die im Vorfeld und ohne Wissen von einem Terro­ris­musbezug eine in ihren Augen unverdächtige Vereinigung unterstützen. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Normenklarheit und ist mit dem Übermaßverbot nicht vereinbar. Eine verfas­sungs­konforme Auslegung scheidet hier aus.

Nicht vollständig mit der Verfassung vereinbar ist auch § 2 Satz 1 Nr. 2 ATDG. Die Vorschrift, die Einzelpersonen erfassen soll, die möglicherweise in einer Nähe zum Terrorismus stehen, verbindet eine Reihe von mehrdeutigen und potenziell weiten Rechtsbegriffen.

Gerichtliche Uneinigkeit über Begriffe der "rechtswidrigen Gewalt" und des "vorsätzlichen Hervorrufens solcher Gewalt"

Hinsichtlich der Begriffe der "rechtswidrigen Gewalt" und des "vorsätzlichen Hervorrufens solcher Gewalt" lässt sich eine Verfassungswidrigkeit wegen Stimmgleichheit im Senat nicht feststellen. Nach Auffassung der vier Mitglieder des Senats, die die Entscheidung insoweit tragen, ist die Verwendung dieser Merkmale mit dem Grundgesetz vereinbar, sofern ihnen keine übermäßig weite Bedeutung beigelegt wird und insbesondere unter Gewalt nur solche Gewalt verstanden wird, die unmittelbar gegen Leib und Leben gerichtet oder durch den Einsatz gemein­ge­fähr­licher Mittel geprägt ist. Nach der Auffassung der anderen vier Mitglieder des Senats müsste die Vorschrift wegen fehlender Bestimmtheit und übermäßiger Reichweite insgesamt für verfassungswidrig erklärt werden; eine verfas­sungs­konforme Auslegung komme nicht in Betracht.

Bloßes "Befürworten von Gewalt" für Erfassung von Personen in Antiterrordatei nicht ausreichend

Das bloße "Befürworten von Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift reicht nach der einhelligen Auffassung des Senats für die Erfassung von Personen in der Antiterrordatei nicht. Die Vorschrift verstößt insoweit gegen das Übermaßverbot. Das Gesetz macht hier die subjektive Überzeugung als solche zum Maßstab und legt damit Kriterien zugrunde, die vom Einzelnen nur begrenzt beherrscht und durch rechtstreues Verhalten nicht beeinflusst werden können.

Regelung zur Übertragung von Daten der Kontaktpersonen verfas­sungs­widrig

Verfas­sungs­widrig ist § 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG. Nach dieser Regelung sind die einfachen Grunddaten in die Datei einzustellen, soweit Kontaktpersonen von einem Terro­ris­musbezug der Hauptperson nichts wissen, bei Kenntnis vom Terro­ris­musbezug auch die erweiterten Grunddaten. Infolgedessen erstreckt sich der Austausch von Klarin­for­ma­tionen zwischen den beteiligten Behörden auch auf Daten zu den Kontaktpersonen.

Bereitstellung von Daten der Kontaktpersonen verfas­sungs­rechtlich nicht prinzipiell ausgeschlossen

Die Regelung ist weder mit dem Bestimmt­heits­grundsatz noch mit dem Übermaßverbot vereinbar. Allerdings ist es verfas­sungs­rechtlich nicht prinzipiell ausgeschlossen, Daten von Kontaktpersonen in der Antiterrordatei bereitzustellen. In der Regel sind solche Personen nur insoweit von Interesse, als sie Aufschluss über die als terrorismusnah geltende Hauptperson vermitteln können. Hieran muss sich auch die gesetzliche Ausgestaltung orientieren. Möglich wäre es insoweit, Kontaktpersonen mit wenigen Elementardaten zu erfassen und diese - als Information zu der terro­ris­musnahen Hauptperson - nur verdeckt recherchierbar zu speichern.

Umfang der erfassten Daten verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden

Verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a und b ATDG geregelte Umfang der erfassten Daten. Hinsichtlich einiger dieser Daten ist es jedoch erforderlich, die administrativen Zwischen­schritte für deren Konkretisierung zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Diese Dokumentations- und Veröf­fent­li­chungs­pflicht gilt für die sehr offen formulierten Merkmale in § 3 Abs. 1 Nr. 1 b gg, hh, ii, kk, nn ATDG (beispielsweise zur Erfassung terro­ris­mus­re­le­vanter Fähigkeiten). Auch sie genügen allerdings dem Bestimmt­heitsgebot, da eine nähere Konkretisierung nur durch die Sicher­heits­be­hörden erfolgen kann. Der Gesetzgeber hat jedoch sicherzustellen, dass sie dokumentiert und veröffentlicht wird. Nach gegenwärtiger Praxis werden die in Frage stehenden unbestimmten Rechtsbegriffe durch einen - in das Compu­ter­programm eingebundenen - Katalog der zu speichernden Merkmale konkretisiert und standardisiert; die Bundesregierung hat dem Senat diesbezüglich ein „Katalog-Manual“ vorgelegt. Dessen Veröf­fent­lichung ist im Antiter­ror­da­tei­gesetz aber nicht vorgeschrieben. Damit genügt die derzeitige Rechtslage den Anforderungen an eine rechts­s­taatliche Ausgestaltung nicht.

Freitextfeld mit Übermaßverbot vereinbar

Mit dem Übermaßverbot vereinbar ist das Freitextfeld (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 b rr ATDG). Es handelt sich hierbei nicht um eine Blankovollmacht zur Ergänzung der Datei um beliebige weitere Informationen, sondern um eine Öffnung für Hinweise und Bewertungen, die durch die Standa­r­di­sierung und Katalogisierung der Eingaben sonst nicht abgebildet werden.

Abfrage und Nutzung einfacher Grunddaten verfas­sungs­rechtlich unbedenklich

Nicht in jeder Hinsicht mit dem Übermaßverbot vereinbar sind die Regelungen zur Verwendung der Daten. Verfas­sungs­rechtlich unbedenklich sind Abfrage und Nutzung in Bezug auf die einfachen Grunddaten geregelt. Gleiches gilt für Abfragen zu den erweiterten Grunddaten, soweit diese namensbezogen durchgeführt werden (§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 b ATDG). Hierbei erhält die Behörde nicht Zugang auf die erweiterten Grunddaten selbst, sondern nur eine Treffermeldung verbunden mit dem Nachweis, bei welcher Behörde und unter welchem Aktenzeichen entsprechende Informationen geführt werden. Der Zugriff unmittelbar auf die erweiterten Grunddaten wird erst auf Einzelersuchen nach Maßgabe des Fachrechts durch Freischaltung seitens der infor­ma­ti­o­ns­füh­renden Behörde ermöglicht.

Regelung zur so genannten Inverssuche nicht mit Übermaßverbot vereinbar

Mit dem Übermaßverbot nicht vereinbar ist die Regelung zur sogenannten Inverssuche (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a ATDG). Hierbei handelt es sich um merkmalbezogene Recherchen in den erweiterten Grunddaten, die der abfragenden Behörde im Trefferfall nicht nur eine Fundstelle zu weiterführenden Informationen vermitteln, sondern unmittelbar Zugang zu den entsprechenden einfachen Grunddaten verschaffen. So kann eine Behörde zum Beispiel nach Personen mit einer bestimmten Religi­o­ns­zu­ge­hö­rigkeit und Ausbildung, die einen bestimmten Treffpunkt frequentieren, suchen und erhält im Trefferfall nicht nur die Angabe, welche Behörde darüber Informationen besitzt, sondern auch die Namen, Adressen sowie weitere Grund­in­for­ma­tionen von allen Personen, auf die die abgefragten Merkmale zutreffen. Eine solch weitgehende Nutzung trägt der inhaltlichen Reichweite der erweiterten Grunddaten nicht hinreichend Rechnung. Wenn sich eine Recherche auch auf erweiterte Grunddaten erstreckt, dürfen nur das Aktenzeichen und die infor­ma­ti­o­ns­führende Behörde angezeigt werden, nicht aber auch die korre­spon­die­renden einfachen Grunddaten.

Regelung zur Nutzung der erweiterten Grunddaten im Eilfall nicht zu beanstanden

Keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, auch nicht für den Fall einer Inverssuche, unterliegt die Nutzung der erweiterten Grunddaten im Eilfall (§ 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 ATDG). Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Nutzung erlaubt ist, sind hinreichend eng gefasst, um den Eingriff zu rechtfertigen. Die Vorschrift genügt dem Übermaßverbot und hat auch Bestand vor dem infor­ma­ti­o­nellen Trennungs­prinzip.

Zugriffe und Änderungen im Datenbestand müssen vollständig protokolliert werden

Das Antiter­ror­da­tei­gesetz gewährleistet eine Transparenz hinsichtlich des Infor­ma­ti­o­ns­aus­tauschs - bedingt durch Zweck und Funktionsweise der Datei - nur in begrenztem Umfang. Damit sind den Betroffenen nur eingeschränkte Rechts­schutz­mög­lich­keiten eröffnet. Dies ist mit der Verfassung vereinbar, wenn für die effektive Ausgestaltung der Aufsicht verfas­sungs­rechtliche Maßgaben beachtet werden. So müssen die Aufsichts­in­stanzen auf Bundes- wie auf Landesebene - wie nach geltendem Recht die Daten­schutz­be­auf­tragten - mit wirksamen Befugnissen ausgestattet sein. Zugriffe und Änderungen im Datenbestand müssen vollständig protokolliert und den Daten­schutz­be­auf­tragten in praktikabel auswertbarer Weise zur Verfügung gestellt werden. Kontrollen sind in angemessenen Abständen durchzuführen, deren Dauer ein gewisses Höchstmaß - etwa zwei Jahre - nicht überschreiten darf. Hinsichtlich des Erfordernisses turnusmäßig festgelegter Pflicht­kon­trollen fehlt es an einer hinreichenden gesetzlichen Vorgabe; den Gesetzgeber trifft insoweit eine Nachbes­se­rungs­pflicht. Im Übrigen sind die Vorschriften verfas­sungs­konform auszulegen. Der Gesetzgeber hat im Übrigen zu beobachten, ob Konflikte auftreten, die gesetzlicher Klarstellungen oder der Einführung etwa von Streit­lö­sungs­me­cha­nismen wie dem Ausbau von Klage­be­fug­nissen bedürfen.

Transparenz und Kontrolle muss gewahrt bleiben

Zur Gewährleistung von Transparenz und Kontrolle bedarf es schließlich einer gesetzlichen Regelung von Berichts­pflichten. Regelmäßige Berichte des Bundes­kri­mi­nalamts gegenüber Parlament und Öffentlichkeit über Datenbestand und Nutzung der Antiterrordatei sind sicherzustellen.

Unein­ge­schränkte Einbeziehung aller erhobenen Daten verfas­sungs­widrig

Die gesetzlich vorgesehene vollständige und unein­ge­schränkte Einbeziehung aller auch durch Eingriff in Art. 10 Abs. 1 (Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heimnis) und in Art. 13 Abs. 1 GG (Unver­letz­lichkeit der Wohnung) erhobenen Daten in die Antiterrordatei ist mit der Verfassung nicht vereinbar. Angesichts des besonderen Schutzgehalts gelten für Datenerhebungen, die in diese Grundrechte eingreifen, in der Regel besonders strenge Anforderungen. Durch die unein­ge­schränkte Einstellung auch solcher Daten in die Antiterrordatei werden die Informationen unabhängig von bereits geschehenen oder bevorstehenden Terrorakten für Ermitt­lungs­maß­nahmen noch im Vorfeld greifbarer Gefahrenlagen zur Verfügung gestellt, obwohl hierfür eine Datenerhebung unter Eingriffen in das Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heimnis oder die Unver­letz­lichkeit der Wohnung nicht gerechtfertigt werden könnte. Dies unterläuft die entsprechenden Daten­er­he­bungs­an­for­de­rungen.

Verdeckte Speicherung unter Verhält­nis­mä­ßig­keits­ge­sichts­punkten mit Verfassung vereinbar

Demgegenüber wäre eine Regelung, die für solche Daten stets eine verdeckte Speicherung gemäß § 4 ATDG vorsieht, unter Verhält­nis­mä­ßig­keits­ge­sichts­punkten mit der Verfassung vereinbar. Die entsprechenden Informationen würden bei einer solchen Regelung nur nach Maßgabe der fachrechtlichen Übermitt­lungs­vor­schriften zugänglich gemacht, die dann ihrerseits verfas­sungs­rechtlich gebotene qualifizierte Eingriffs­schwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechts­gü­ter­schutz sicherstellen könnten.

Vorschriften bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar

Die teilweise Verfas­sungs­wid­rigkeit der angegriffenen Vorschriften führt nicht zu deren Nichtig­keits­er­klärung, sondern nur zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2014, dürfen die Vorschriften weiter angewendet werden. Vor deren weiteren Anwendbarkeit ist allerdings zunächst die Beachtung bestimmter Maßgaben sicherzustellen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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