21.11.2024
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Dokument-Nr. 8832

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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.11.2009

Verfas­sungs­be­schwerde gegen Schacht Konrad gescheitertBunds­ver­fas­sungs­gericht nimmt Verfas­sungs­be­schwerde gegen "Schacht Konrad" nicht zur Entscheidung an

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde eines Landwirts gegen den "Schacht Konrad" nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfas­sungs­be­schwerde betraf den atomrechtlichen Planfest­stel­lungs­be­schluss des nieder­säch­sischen Umwelt­mi­nis­teriums vom 22. Mai 2002. Das atomare Endlager "Schacht Konrad" kann damit wie geplant 2013 in Betrieb gehen.

Mit Beschluss vom 22. Mai 2002 stellte das Nieder­säch­sische Umwelt­mi­nis­terium den Plan für die Errichtung und den Betrieb des Bergwerks Konrad in Salzgitter als Anlage zur Endlagerung fester oder verfestigter radioaktiver Abfälle mit vernach­läs­sigbarer Wärme­ent­wicklung fest. Bei diesen schwach- und mittel­ra­dio­aktiven Abfällen handelt es sich z.B. um kontaminierte Schutzkleidung, Werkzeuge oder Anlagenteile aus Kernkraftwerken, Forschung, Industrie und Medizin. Hochradioaktive Abfälle aus der Wieder­au­f­a­r­b­eitung bestrahlter Brennelemente aus Kernkraftwerken sowie bestrahlte Brennelemente selbst werden dort nicht eingelagert.

Landwirt klagte

Der Beschwer­de­führer klagte als Eigentümer eines in der Nähe der Schachtanlage gelegenen landwirt­schaft­lichen Anwesens erfolglos gegen den Planfest­stel­lungs­be­schluss. Auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundes­ver­wal­tungs­gericht im März 2007 zurück. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer, dass die Rechts­grundlagen des Planfest­stel­lungs­be­schlusses im Atomgesetz und auch die im Ausgangs­ver­fahren ergangenen Entscheidungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts und des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts verfas­sungs­widrig seien.

BVerfG nimmt Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung an

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat keine grundsätzliche verfas­sungs­rechtliche Bedeutung, weil die maßgeblichen verfas­sungs­recht­lichen Fragen in der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hinreichend geklärt sind. Die Annahme der Verfas­sungs­be­schwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte des Beschwer­de­führers angezeigt, denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Atomgesetz ist rechtmäßig

Die den Ausgangs­ent­schei­dungen zugrunde liegenden Vorschriften des Atomgesetzes über die Errichtung und den Betrieb eines Bundesendlagers für radioaktive Abfälle begegnen keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, soweit sie die hier allein beschwer­de­ge­gen­ständliche Endlagerung von radioaktiven Abfällen mit vernach­läs­sigbarer Wärme­ent­wicklung betreffen.

Keine Grundrechte verletzt

Sie gewährleisten den gleichen Sicher­heits­s­tandard wie die für Kernkraftwerke und (Standort-) Zwischenlager geltenden Regelungen des Atomgesetzes, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bereits für verfas­sungsgemäß befunden hat. Daher ist auch in Bezug auf die Errichtung und den Betrieb eines Endlagers für radioaktive Abfälle mit vernach­läs­sigbarer Wärme­ent­wicklung eine Verletzung der Grundrechte des Beschwer­de­führers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG nicht festzustellen.

Vorschriften entsprechen dem Stand von Wissenschaft und Technik

Insbesondere werden die Grundrechte des Beschwer­de­führers in ihrer Funktion als subjektive Abwehrrechte nicht durch einen im Atomgesetz geregelten Geneh­mi­gung­s­tat­bestand verletzt, dessen Voraussetzungen inhaltlich so gefasst sind, dass es durch die Genehmigung und ihre Folgen nicht zu Grund­rechts­ver­let­zungen kommen darf. Diese Anforderungen erfüllen aus verfas­sungs­recht­licher Sicht insbesondere Vorschriften, denen zufolge die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen sein muss. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG herzuleitende Schutzpflicht des Gesetzgebers steht solchen Vorschriften grundsätzlich nicht entgegen, die insoweit ein Restrisiko in Kauf nehmen, als sie Genehmigungen auch dann zulassen, wenn sich nicht völlig ausschließen lässt, dass künftig durch das Gebrauchmachen von der Genehmigung ein Schaden auftreten wird.

Aus der staatlichen Schutzpflicht für diese Grundrechte kann darüber hinaus nicht abgeleitet werden, dass eine nicht-rückholbare Endlagerung radioaktiver Abfälle mit vernach­läs­sigbarer Wärme­ent­wicklung nur aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung des parla­men­ta­rischen Gesetzgebers für dieses Konzept zulässig wäre. Die Schutzpflicht ist vielmehr schon dann erfüllt, wenn Vorschriften existieren, die auf derartige Anlagen anwendbar sind und ausreichenden Schutz vor ihren Gefahren gewähren.

Kein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG (in Verbindung mit Art. 38 und Art. 20 Abs. 2 GG)

Die Vorschriften des Atomgesetzes über die Errichtung und den Betrieb eines Endlagers für radioaktive Abfälle mit vernach­läs­sigbarer Wärme­ent­wicklung verstoßen auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG (in Verbindung mit Art. 38 und Art. 20 Abs. 2 GG). Zwar schränkt die der Exekutive offen stehende Entscheidung für eine nicht-rückholbare Endlagerung nach deren konzeptioneller Ausgestaltung gegebenenfalls die künftige politische Handlungs­freiheit in Bezug auf bereits eingelagerte radioaktive Abfälle ein. Eine Verletzung von Grundrechten des Beschwer­de­führers ergibt sich daraus allerdings nicht.

Eine Verletzung des staatlichen Verfas­sungs­auf­trages aus Art. 20a GG ist - unbeschadet der Frage der Entschei­dungs­re­levanz im Rahmen der vorliegenden Grund­rechts­prüfung - nicht festzustellen. Dass der Gesetzgeber den ihm zustehenden weiten Gestal­tungs­spielraum bei der Umsetzung des Verfas­sungs­auf­trages aus Art. 20a GG überschritten hätte, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geset­zes­vor­behalts und den Bestimmt­heits­grundsatz liegt nicht vor.

Angesichts der strengen Voraussetzungen, von deren Erfüllung das Atomgesetz die Erteilung des Planfest­stel­lungs­be­schlusses abhängig macht, wirft das planfest­ge­stellte Endla­ger­vorhaben „endla­ge­rungs­spe­zi­fische“ Fragestellungen nicht in erster Linie im Rahmen der verfas­sungs­recht­lichen Überprüfung seiner formal­ge­setz­lichen Rechts­grundlagen auf, sondern auf der Rechts­an­wen­dungsebene bei der Prüfung, ob der atomgesetzlich vorgeschriebene Sicher­heits­s­tandard tatsächlich gewährleistet ist.

Verfas­sungs­verstoß ist nicht ersichtlich

Die Verfas­sungs­be­schwerde hat auch insoweit keine Aussicht auf Erfolg, als sie sich gegen das Urteil des Oberver­wal­tungs­ge­richts vom 8. März 2006 und gegen den Beschluss des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts vom 26. März 2007 richtet. Ein Verfas­sungs­verstoß ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Hinnahme eines nach den Maßstäben praktischer Vernunft nicht mehr in Rechnung zu stellenden Restrisikos auch insoweit mit den Grundrechten des Beschwer­de­führers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Die Fragen, die die Endlagerung radioaktiver Abfälle mit vernach­läs­sigbarer Wärme­ent­wicklung im Hinblick auf die Langzeit­si­cherheit aufwirft, betreffen der Sache nach erst in der (fernen) Zukunft aktuell werdende Szenarien, die keinen Bezug zu einer gegenwärtigen Betroffenheit des Beschwer­de­führers in einem eigenen verfas­sungs­be­schwer­de­fähigen Recht erkennen lassen. Ein dem Beschwer­de­führer selbst als Grund­recht­s­träger zustehendes, verfass­sungs­be­schwer­de­fähiges Grundrecht auf Verhinderung erst nach seinen Lebzeiten eintretender Gefährdungen für die Umwelt und nachfolgende Generationen lässt sich weder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch aus sonstigen grund­recht­lichen Verbürgungen ableiten.

Das Urteil des Oberver­wal­tungs­ge­richts (Nieder­säch­sisches Oberver­wal­tungs­gericht, Urteil v. 08.03.2006 - 7KS 145/02, 146/02, 154/02, 7 KS 128/02 -) verletzt den Beschwer­de­führer im Hinblick auf die Annahme eines exekutiven Funkti­o­ns­vor­behalts nicht in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat über die Vereinbarkeit eines exekutiven Funkti­o­ns­vor­behalts im Atomrecht mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bislang nicht entschieden. Dazu gibt auch die vorliegende Verfas­sungs­be­schwerde keinen Anlass. Denn jedenfalls beruht das angegriffene Urteil nicht auf einem etwaigen diesbezüglichen Verfas­sungs­verstoß. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat die gerichtliche Kontrolldichte nicht in verfas­sungs­widriger Weise beschränkt.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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