18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.06.2009

BVerfG: Indivi­du­a­li­sierende Medien­be­rich­t­er­stattung auch bei Sexual­straftaten verfas­sungsgemäßKein absoluter Schutz des Persön­lich­keits­rechts bei Sexual­straf­tätern – Infoma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit überwiegt

Eine indivi­du­a­li­sierende Medien­be­rich­t­er­stattung auch bei Sexual­straftaten verfas­sungsgemäß. Bei einer Verurteilung wegen einer Sexualstraftat muss die Berich­t­er­stattung über eine zur Last gelegte Straftat geduldet werden. Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht kann dann hinter das Interesse der Öffentlichkeit an einer umfassenden Berich­t­er­stattung unter Umständen zurücktreten. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Der Beschwer­de­führer ist ein ehemaliger Profi-Fußballspieler. Er wurde im Jahr 2008 wegen schwerer Vergewaltigung in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Über dieses Strafverfahren und die zu Grunde liegende Tat berichtete eine Teleme­di­en­diens­tean­bieterin anlässlich des Geständnisses des Beschwer­de­führers auf ihrem Internetportal. Der Beschwer­de­führer beantragte daraufhin beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, der Teleme­di­en­diens­tean­bieterin einstweilen zu untersagen, über das Strafverfahren und über dessen Abschluss in indivi­du­a­li­sie­render und bebildeter Weise unter Mitteilung verschiedener persönlicher Details aus dem Sexualleben des Beschwer­de­führers zu berichten. Das Landgericht erließ die beantragte Verfügung und untersagte der Teleme­di­en­diens­tean­bieterin außerdem, über die Höhe der Freiheitsstrafe ohne Hinweis auf die insoweit (seinerzeit noch) fehlende Rechtskraft zu berichten. Auf die Berufung der Teleme­di­en­diens­tean­bieterin hob das Oberlan­des­gericht das Urteil des Landgerichts teilweise auf, soweit die indivi­du­a­li­sierende Wortbe­rich­t­er­stattung über die Tat und das Strafverfahren sowie die Berichterstattung über das Sexualleben untersagt worden waren und wies im übrigen die Berufung zurück. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer, dass die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts in den unantastbaren innersten Kern der Menschenwürde eingreife, indem sie eine Berich­t­er­stattung gestatte, mit der die Veröf­fent­lichung intimer Umstände einhergehe.

Umstände der Begehung einer Sexualstraftat zählen nicht zur absolut geschützten Intimsphäre des Täters

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde, mit der der Beschwer­de­führer die Verletzung seines allgemeinen Persön­lich­keits­rechts durch die Berich­t­er­stattung gerügt hat, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist jedenfalls unbegründet. Zwar greift die Berich­t­er­stattung über eine Straftat und deren Umstände zwangsläufig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwer­de­führers (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Die Freiheit, die eigenen Ausdrucksformen der Sexualität für sich zu behalten und sie in einem dem staatlichen Zugriff entzogenen Freiraum zu erleben, gehört sogar zum absolut geschützten Kernbereich des Grundrechts. Das gilt aber nicht uneingeschränkt für den Bereich der Sexualität. Bei Sexual­straftaten sind gewalttätige Übergriffe in die sexuelle Selbst­be­stimmung und die körperliche Unversehrtheit des Opfers tatbestimmend. Daher liegt die Annahme fern, dass die Umstände der Begehung einer Sexualstraftat zur absolut geschützten Intimsphäre des Täters zählen. Ein verurteilter Straftäter einer Sexualstraftat muss es daher dulden, dass im Fall der Berich­t­er­stattung über eine ihm zur Last gelegte Straftat sein allgemeines Persön­lich­keitsrecht hinter dem Interesse der Öffentlichkeit an einer umfassenden Berich­t­er­stattung unter Umständen zurücktreten kann. Das gilt insbesondere dann, wenn er – wie hier – wegen seiner Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medien­öf­fent­lichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat.

Befriedigung des selbst erregten Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses der Öffentlichkeit durch die Medien muss erduldet werden

Die Berich­t­er­stattung über Entstehung, Ausführung und Verfolgung einer Straftat unter Namensnennung, Abbildung und Darstellung des Straftäters greift zwangsläufig in dessen allgemeines Persön­lich­keitsrecht ein, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Öffentlichkeit zwangsläufig negativ bewertet. Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) ist aber nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern muss mit der ebenfalls nicht schrankenlos gewährleisteten Meinungs­freiheit (Art. 5 GG) abgewogen werden. Diese Abwägung ist für jeden Einzelfall gesondert vorzunehmen. Dabei sind das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit an begangenen Straftaten und die vollständige Information über die Hintergründe der Tat und den Täter in der Regel vorrangig. Der Straftäter muss sich nicht nur den verhängten straf­recht­lichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit durch die Medien befriedigt wird. Auch dieses Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit hat nicht immer den Vorrang. Insbesondere in Fällen kleinerer Kriminalität, bei jugendlichen Straftätern und bei nicht rechtskräftig verurteilten Tätern, bei denen noch die Unschulds­ver­mutung gilt, kann das Gewicht des Persön­lich­keits­rechts gegenüber der Freiheit der Berich­t­er­stattung überwiegen. Allerdings kann eine indivi­du­a­li­sierende Bildbe­rich­t­er­stattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht bzw. nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persön­lich­keitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigen­ver­ant­wort­licher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der indivi­du­a­li­sie­renden Berich­t­er­stattung gestellt hat. Ebenso, wenn der betreffende Verfah­rens­be­teiligte kraft seines Amtes oder wegen seiner Prominenz im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medien­öf­fent­lichkeit mit Rücksicht darauf hinzunehmen hat. Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit der Verurteilung die gebotene rechtliche Sanktion erfahren und ist die Öffentlichkeit darüber hinreichend informiert worden, so lassen sich fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in das Persön­lich­keitsrecht mit Blick auf sein Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresse nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Es vermittelt dem verurteilten Straftäter allerdings auch keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Tat konfrontiert zu werden. Selbst die Verbüßung der Straftat führt nicht dazu, dass ein Täter den unein­ge­schränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat „allein gelassen zu werden“. Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persön­lich­keitsrecht einschließlich des Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresses des Straftäters von der Berich­t­er­stattung unter den konkreten Umständen beeinträchtigt wird. Die genaue Grenze einer verant­wor­tungs­vollen Berich­t­er­stattung mit Blick auf eine mögliche Prangerwirkung lässt sich nur im Einzelfall unter Abwägung der konkurrierenden Grundrechte bestimmen.

Gemessen an den verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Oberlan­des­gericht, das die von der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts entwickelten Maßstäbe beachtet, hat insbesondere eine Abwägung der wider­strei­tenden grundrechtlich geschützten Belange vorgenommen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 80/09 des BVerfG vom 15.07.2009

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