18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss19.12.2021

Bundes­ver­fassungs­gericht zu Hasspostings bei Facebook: Facebook muss Renate Künast Daten von Hetzern gebenErfolgreiche Verfassungs­beschwerde gegen fachge­richtliche Versagung der Auskunft über Bestandsdaten gegenüber einer Social Media Plattform

Die Grünen-Politikerin Renate Künast wurde im Internet in auf Facebook veröf­fent­lichten Hasspostings beschimpft. Nun hat das Bundes­ver­fassungs­gericht Entscheidungen von Fachgerichten aufgehoben, mit denen Künast die notwendige gerichtliche Anordnung zur Auskunft über Bestandsdaten gegenüber der Social Media Plattform Facebook versagt wurden. Auch Politiker müssten nicht alles aushalten, so das Bundes­ver­fassungs­gericht.

Die Beschwer­de­führerin möchte vor den Fachgerichten erreichen, dass eine Social Media Plattform die bei ihr vorhandenen perso­nen­be­zogenen Daten über mehrere Nutzer herausgibt, die auf der Plattform Kommentare über die Beschwer­de­führerin getätigt haben. Die Fachgerichte stuften im Ergebnis lediglich 12 der 22 im Ausgangs­ver­fahren gegen­ständ­lichen Kommentare als strafbare Beleidigungen ein und gestatteten die Beauskunftung über die bei der Social Media Plattform vorhandenen Bestandsdaten. Im Übrigen wurde eine Beauskunftung abgelehnt. Die Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­führerin in ihrem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit sie die Anordnung hinsichtlich der zehn verbliebenen Kommentare versagt haben. Die Fachgerichte haben unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persön­lich­keits­rechts die verfas­sungs­rechtlich erforderliche Abwägung zwischen der Meinungs­freiheit und dem Persön­lich­keitsrecht unterlassen.

Sachverhalt

Nach § 14 Abs. 3 Teleme­di­en­gesetz a. F. (nunmehr § 21 Abs. 2 und 3 des Telekom­mu­ni­kation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes) durfte ein Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über die bei ihm vorhandenen Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivil­recht­licher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Für diese Auskunft­s­er­teilung war eine vorherige gerichtliche Anordnung erforderlich. Rechtswidrige Inhalte in diesem Sinne waren unter anderem Inhalte, die den Tatbestand nach §§ 185 bis 187 des Straf­ge­setzbuchs erfüllten und nicht gerechtfertigt waren.

Auf einem Internetblog stellte dessen Inhaber Ende Oktober 2016 unter dem Titel „[Name der Beschwer­de­führerin] findet Kinderficken ok, solange keine Gewalt im Spiel ist“ das Bild der Beschwer­de­führerin ein mit folgendem, scheinbar ein Zitat der Beschwer­de­führerin darstellenden Text:

„Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist der Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“

Hintergrund war die im Jahr 2015 noch einmal aufgekommene Debatte betreffend die Haltung der Partei DIE GRÜNEN zur Pädophilie in den 1980er Jahren. So wurde im Mai 2015 unter anderem über einen Zwischenruf der Beschwer­de­führerin im Berliner Abgeord­ne­tenhaus im Mai 1986 berichtet. Während eine Abgeordnete der Grünen über häusliche Gewalt sprach, stellte ein Abgeordneter der Regie­rungs­ko­a­lition die Zwischenfrage, wie die Rednerin denn zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, wonach die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern aufgehoben werden solle. Anstelle der Rednerin rief laut Protokoll des Abgeord­ne­ten­hauses die Beschwer­de­führerin: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“

Die Beschwer­de­führerin nahm den Bloginhaber wegen seines ursprünglichen Eintrags auf Unterlassung in Anspruch und verlangte ein Schmerzensgeld. Daraufhin veröffentlichte der Bloginhaber Anfang 2019 auf seiner Seite auf der Social Media Plattform einen weiteren Text. Es folgt das Bild der Beschwer­de­führerin mit dem aus dem ursprünglichen Blogbeitrag bekannten Text, der kein zutreffendes Zitat einer Äußerung der Beschwer­de­führerin ist. Im April und Mai 2019 reagierten zahlreiche Nutzer der Social Media Plattform auf diese Veröf­fent­lichung und kommentierten sie ihrerseits - soweit verfah­rens­ge­gen­ständlich - unter anderem wie folgt:

„Pädophilen-Trulla“; „Die alte hat doch einen Dachschaden, die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch“; „Mensch… was bist Du Krank im Kopf!!!“; Die ist Geisteskrank“; „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“; „Sperrt diese kranke Frau weck sie weiß nicht mehr was sie redet“; „Die sind alle so krank im Kopf“; Gehirn Amputiert“; „Kranke Frau“ und „Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“.

In der Folge begehrte die Beschwer­de­führerin die Gestattung der Auskunft­s­er­teilung über die Bestandsdaten dieser Nutzer der Social Media Plattform. Das Landgericht gestattete im Ergebnis die Beauskunftung von sechs Kommentaren. Das Kammergericht gestattete zusätzlich die Beauskunftung weiterer sechs Kommentare. Im Übrigen führte es aus, dass die Schwelle zum Straftatbestand des § 185 StGB nicht überschritten sei. Denn es liege kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung vor und die Verletzung des Persön­lich­keits­rechts erreiche kein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des Kontexts lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Beschwer­de­führerin erschienen.

Die Beschwer­de­führerin rügt unter anderem die Verletzung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Die Verfas­sungs­be­schwerde hat Erfolg.

I. Die Auslegung und Anwendung des Fachrechts ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte. Bei ihrer Entscheidung haben sie jedoch dem Einfluss der Grundrechte auf die einfach­ge­setz­lichen Vorschriften Rechnung zu tragen. Die Zivilgerichte verstehen das allgemeine Persön­lich­keitsrecht in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise als einen offenen Tatbestand, bei dem die Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung eine ordnungsgemäße Abwägung voraussetzt.

1. Weichenstellend für die Prüfung einer Verletzung des Persön­lich­keits­rechts ist die Erfassung des Inhalts der verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Äußerungen. Auf der zutreffenden Sinnermittlung einer Äußerung aufbauend erfordert die Annahme einer Beleidigung nach § 185 StGB grundsätzlich eine abwägende Gewichtung der Beein­träch­ti­gungen, die den betroffenen Rechtsgütern und Interessen, hier also der Meinungs­freiheit und der persönlichen Ehre, drohen. Eine Abwägung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn die streit­ge­gen­ständliche Äußerung sich als Schmähung oder Schmähkritik, als Formal­be­lei­digung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellt.

2. Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnah­me­kon­stel­la­tionen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungs­freiheit.Voraussetzung einer straf­recht­lichen Sanktion ist dann allerdings eine grundrechtlich angeleitete Abwägung. Hierfür bedarf es einer umfassenden Ausein­an­der­setzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte.

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungs­freiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emoti­o­na­li­sierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht. Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grund­recht­lichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungs­freiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen - unter Umständen weitreichenden - gesell­schaft­lichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können. Allerdings bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern oder Politikerinnen und Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächt­lich­machung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungs­rechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht aus. Dabei liegt insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch „soziale Netzwerke“ im Internet ein wirksamer Schutz der Persön­lich­keits­rechte von Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie Politikerinnen und Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persön­lich­keits­rechte gewährleistet ist.

II. Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Kammergericht, dass es sich bei den noch verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Bezeichnungen der Beschwer­de­führerin um erheblich ehrenrührige Herabsetzungen handelt. Das Kammergericht geht indes unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persön­lich­keits­rechts davon aus, dass eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen nur dann vorliege, wenn die streit­ge­gen­ständliche Äußerung „lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung“ zu verstehen sei. Dieses Fehlverständnis setzt sich bei den weiteren Ausführungen des Fachgerichts fort. Zwar deutet das Kammergericht die Notwendigkeit einer Abwägung an. Verfas­sungs­rechtlich fehlerhaft knüpft es die Voraussetzungen der Beleidigung sodann jedoch an die Sonderform der Schmähkritik an.Die angekündigte Abwägung mit dem Persön­lich­keitsrecht der Beschwer­de­führerin nimmt das Kammergericht in der Folge aber nicht vor. Es legt wiederholt einen fehlerhaften, mit dem Persön­lich­keitsrecht der von ehrenrührigen Äußerungen Betroffenen unvereinbaren Maßstab an, wenn es annimmt, eine strafrechtliche Relevanz erreiche eine Äußerung erst dann, wenn ihr diffamierender Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzu­sam­menhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine. Vorliegend hat sich das Fachgericht aufgrund einer fehlerhaften Maßstabsbildung, die eine Beleidigung letztlich mit der Schmähkritik gleichsetzt, mit der Abwägung der Gesichtspunkte des Einzelfalls nicht ausein­an­der­gesetzt. Hierin liegt eine Verletzung des Persön­lich­keits­rechts der Beschwer­de­führerin.

2. Infolge fehlerhafter Maßstabsbildung mangelt es für alle verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Äußerungen an der verfas­sungs­rechtlich gebotenen Abwägung der betroffenen Rechts­po­si­tionen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Die vom Fachgericht zum Teil begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwer­de­führerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung nicht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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