21.11.2024
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Dokument-Nr. 27446

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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.05.2019

Facebook-Seite der Partei "Der III. Weg" muss bis zur Feststellung des amtlichen Endergebnisses der Europawahl vorläufig entsperrt werdenVerpflichtung zur Entsperrung eines Facebook-Accounts im einstweiligen Rechtsschutz

Das Bundes­verfassungs­gericht hat das soziale Netzwerk Facebook im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Seite der Partei "Der III. Weg" bis zur Feststellung des amtlichen Endergebnisses der Europawahl vorläufig zu entsperren und ihr für diesen Zeitraum die Nutzung der Funktionen von www.facebook.com wieder zu ermöglichen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass eine in der Hauptsache gegebenenfalls noch zu erhebende Verfassungs­beschwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet wäre und die vorzunehmende Folgenabwägung zugunsten der Antragstellerin ausfällt. Das Recht und die Pflicht des Unternehmens, einzelne Inhalte auf ihre Vereinbarkeit mit ihren Nutzungs­be­din­gungen, den Rechten Dritter oder den Strafgesetzen zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen, bleiben durch die Verpflichtung zur Entsperrung unberührt.

Im Januar 2019 veröffentlichte die Antragstellerin auf ihrer Internetseite einen Beitrag unter dem Titel "Winter­hil­festand in Zwickau-Neuplanitz", den sie auch in ihrem Facebook-Profil verlinkte. In dem Beitrag heißt es unter anderem: "Im Zwickauer Stadtteil Neuplanitz gibt es zahlreiche Menschen, die man landläufig wohl als sozial und finanziell abgehängt bezeichnen würde. Während nach und nach immer mehr art- und kulturfremde Asylanten in Wohnungen in den dortigen Plattenbauten einquartiert wurden, die mitunter ihrer Dankbarkeit mit Gewalt und Kriminalität Ausdruck verleihen, haben nicht wenige Deutsche im Viertel kaum Perspektiven (...)". Daraufhin teilte Facebook der Antragstellerin mit, dass der Beitrag als "Hassrede" gegen die Gemein­schafts­s­tandards verstoße. Die Sichtbarkeit des Beitrags sei daher eingeschränkt und das Veröffentlichen von Beiträgen für 30 Tage gesperrt worden. Auf Einspruch der Antragstellerin, der unter Verweis auf die Meinungs­freiheit der Antragstellerin begründet wurde, erfolgte dann die Löschung des Nutzerkontos, dessen Inhalt seitdem nicht mehr verfügbar ist. Vor den ordentlichen Gerichten gestellte Anträge auf Eilrechtsschutz gegen die Sperrung des Beitrags und des Nutzerkontos der Antragstellerin blieben in beiden Instanzen erfolglos.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht darf im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung entscheiden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht verwies darauf, dass die einstweilige Anordnung als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes auch im verfas­sungs­ge­richt­lichen Verfahren die Aufgabe hat, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten. Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfas­sungs­wid­rigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Ist der Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens offen, so hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfas­sungs­be­schwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfas­sungs­be­schwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

Mögliche Verfas­sungs­be­schwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet

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Hier ist eine gegebenenfalls noch zu erhebende Verfas­sungs­be­schwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen betreffen die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz in einem Rechtsstreit zwischen sich als Private gegen­über­ste­henden Parteien über die Reichweite der zivil­recht­lichen Befugnisse des Betreibers eines sozialen Netzwerks, das innerhalb der Bundesrepublik Deutschland über erhebliche Marktmacht verfügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts können die Grundrechte in solchen Streitigkeiten im Wege der mittelbaren Drittwirkung Wirksamkeit entfalten. Dabei können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls in spezifischen Konstellationen auch gleich­heits­rechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten ergeben. Für das Verhältnis zwischen den Verant­wort­lichen sozialer Netzwerke und ihren Nutzern sind die Rechts­be­zie­hungen verfas­sungs­rechtlich insoweit noch ungeklärt. Auch ergibt sich aus den angegriffenen Entscheidungen nicht mit hinreichender Gewissheit, dass dem beanstandeten Beitrag bei Beachtung grund­recht­licher Maßstäbe ein strafbarer Inhalt entnommen werden muss und sich die Sperrung des Beitrages sowie des Nutzerkontos bereits hieraus rechtfertigen.

Zur Entscheidung stehen damit schwierige Rechtsfragen, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht entschieden werden können. Ihre Klärung ist - gegebenenfalls nach Durchführung eines Haupt­sa­che­ver­fahrens vor den Fachgerichten - der Klärung in der Hauptsache vorbehalten. Es bedarf daher gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG einer Folgenabwägung.

Folgeabwägung zugunsten der Antragstellerin

Die Folgenabwägung geht zum Teil zugunsten der Antragstellerin aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Antragstellerin eine Nutzung ihres Inter­ne­t­an­gebots auf Facebook versagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass die Antragsgegnerin des Ausgangs­ver­fahrens zur Wiedereröffnung des Zugangs hätte verpflichtet werden müssen, wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Antragsgegnerin des Ausgangs­ver­fahrens einstweilig zur Wieder­her­stellung des Zugangs verpflichtet würde, sich später aber herausstellte, dass die Sperrung beziehungsweise Zugangs­ver­wei­gerung zu Recht erfolgt war. Dies gilt jedenfalls für den Zeitraum bis zur Durchführung der Europawahl, für den die Antragstellerin eine besondere Dringlichkeit dargelegt hat.

Wahrnehmbarkeit der Antragstellerin und ihrer Foren wäre für Zeit der Sperrung in erheblichem Umfang beeinträchtigt

Durch den Ausschluss von der Nutzung des Angebots der Antragsgegnerin, das nach deren Werbeangaben von über 30 Millionen Menschen in Deutschland monatlich genutzt wird, wird der Antragstellerin eine wesentliche Möglichkeit versagt, ihre politischen Botschaften zu verbreiten und mit Nutzern des sozialen Netzwerks aktiv in Diskurs zu treten. Diese Möglichkeiten blieben ihr bei Nichterlass einer einstweiligen Anordnung verwehrt, so dass die Wahrnehmbarkeit der Antragstellerin und ihrer Foren für diese Zeit in erheblichem Umfang beeinträchtigt wäre. Das gilt mit besonderer Dringlichkeit für den Zeitraum bis zum Abschluss der unmittelbar bevorstehenden Europawahl, an der die Antragstellerin als politische Partei mit einem gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 EuWG vom Bundes­wahl­aus­schuss zugelassenen Wahlvorschlag teilnimmt und für den allein sie eine besondere Eilbe­dürf­tigkeit geltend macht.

Recht Facebooks zur Prüfung und eventuellen Löschung von Beiträgen bleibt unberührt

Demgegenüber wird die Antragsgegnerin des Ausgangs­ver­fahrens durch eine stattgebende Entscheidung lediglich verpflichtet, die von ihr aus freien Stücken eingegangene vertragliche Verpflichtung zur Verbreitung und Vorhaltung der von der Antragstellerin eingestellten Angebote vorläufig weiter zu erfüllen. Ihre Privatautonomie wird nur insoweit tangiert, als ihr eine Loslösung von der ursprünglich freiwillig eingegangenen Vertrags­be­ziehung vorläufig verwehrt wird. Sie wird dadurch nicht dazu verpflichtet, rechtswidrige oder gegen ihre Nutzungs­be­stim­mungen verstoßende Beiträge ungeprüft vorhalten und verbreiten zu müssen. Denn ihr Recht und ihre Pflicht, einzelne Inhalte auf ihre Vereinbarkeit mit ihren Nutzungs­be­din­gungen, den Rechten Dritter oder den Strafgesetzen zu prüfen und diese gegebenenfalls zu löschen, bleiben durch die vorläufige Bereitstellung des Accounts aufgrund dieser Anordnung unberührt.

Im Übrigen bleibt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg. Denn die Antragstellerin hat nicht substantiiert dargetan, dass ihr durch die Sperrung des konkreten Beitrags weitere schwere Nachteile entstünden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online (pm/kg)

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