21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil18.07.2015

"Bierdosen-Flashmob für die Freiheit" auf privatem Grundstück mit Publi­kums­verkehr zulässigVersammlungs­rechtliche Bedenken gegen Veranstaltung seitens der Versamm­lungs­behörde nicht erkennbar

Im Wege der einstweiligen Anordnung hat das Bundes­verfassungs­gericht festgestellt, dass der für Montag, 20. Juli 2015, zwischen 18.15 und 18.30 Uhr auf dem Nibelungenplatz in Passau geplante "Bierdosen-Flashmob für die Freiheit" durchgeführt werden darf. Zivil­ge­richtliche Entscheidungen, die u. a. das von der privaten Eigentümerin des Nibelun­gen­platzes ausgesprochene Hausverbot bestätigt hatten, hat das Bundes­verfassungs­gericht zu wesentlichen Teilen aufgehoben. Die einstweilige Anordnung des Gerichts beruht auf einer Folgenabwägung. Das trägt auch dem Umstand Rechnung, dass es bislang an gefestigter Rechtsprechung des Bundes­verfassungs­gerichts zur Inanspruchnahme von öffentlich zugänglich gemachten, aber in privater Hand gehaltenen Grundstücken für Versammlungen fehlt und eine inhaltlich abschließende Entscheidung im Eilverfahren nicht möglich war.

Der Antragsteller des zugrunde liegenden Verfahrens beabsichtigt, am 20. Juli 2015 für die Zeit von 18.15 Uhr bis 18.30 Uhr eine stationäre öffentliche Versammlung auf dem Nibelungenplatz in Passau durchzuführen. Dieser ist zentral in der Stadt am südlichen Ende der Fußgängerzone gelegen und für den Publi­kums­verkehr geöffnet. Er steht im Eigentum einer GmbH & Co. KG. Mit der geplanten Versammlung unter dem Motto "Bierdosen-Flashmob für die Freiheit" soll auf das Schwinden des staatlichen Gewaltmonopols sowie auf eine zunehmende Beschränkung von Freiheits­rechten hingewiesen werden. Auf Kommando "Für die Freiheit - trinkt AUS!" sollen die Versamm­lungs­teil­nehmer jeweils eine Dose Bier öffnen und diese schnellst­möglich leer trinken; anschließend folgen ein Redebeitrag des Antragstellers und eine Diskussion. Anträge des Antragstellers, u. a. ein von der Platzei­gen­tümerin ausgesprochenes Hausverbot für die Dauer der Versammlung aufzuheben, lehnten das Amts- und das Landgericht ab.

Verfas­sungs­be­schwerde nicht offensichtlich unbegründet

Die vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Rahmen der Eilentscheidung vorzunehmende Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Eine Verfas­sungs­be­schwerde erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt nicht offensichtlich unbegründet.

Im Privateigentum stehender Versammlungsort ist für Publi­kums­verkehr offen

Die Versammlungsfreiheit verschafft kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten; sie verbürgt die Durchführung von Versammlungen jedoch dort, wo bereits ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet worden ist. Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publi­kums­verkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.

Versamm­lungs­freiheit ist im Wege mittelbarer Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten

Als private Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin ist die GmbH & Co. KG nicht wie die staatliche Gewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden. Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien rechtliche Wirkungen; die Versamm­lungs­freiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Je nach Fallgestaltung kann dies einer Grund­rechts­bindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung der Rahmen­be­din­gungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren (vgl. BVerfGE 128, 226). Was hieraus im Einzelnen folgt, dazu hat sich das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bisher noch nicht geäußert; es kann folglich im Wege des vorliegenden Eilverfahrens nicht vom Gericht entschieden werden. Hier ist vielmehr lediglich eine Folgenabwägung für den konkreten Einzelfall vorzunehmen.

Beein­träch­tigung von Eigen­tums­rechten der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin nicht erkennbar

Vorliegend träfe das aus dem Hausverbot folgende faktische Verbot einer Durchführung der Versammlung den Antragsteller schwer. Dem vom Beschwer­de­führer ausgewählten Versammlungsort kommt angesichts des Themas der Versammlung - die zunehmende Beschränkung von Freiheits­rechten und die Privatisierung der inneren Sicherheit - eine besondere Bedeutung zu. Demgegenüber ist eine gleichwertige Beein­träch­tigung von Eigen­tums­rechten der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin nicht zu erkennen. Die Versammlung ist auf einen Zeitraum von etwa 15 Minuten beschränkt und soll stationär abgehalten werden. Versamm­lungs­rechtliche Bedenken gegen die Veranstaltung vermochte die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen. Sollte Gegenteiliges ersichtlich sein, kann dem im Wege beschränkender Verfügungen entgegengewirkt werden, die im Vergleich mit dem hier angegriffenen Totalverbot die milderen Mittel wären.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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