21.11.2024
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Dokument-Nr. 28534

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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.03.2020

Eilantrag gegen Berliner "Mietendeckel" erfolglosVermieterinnen und Vermieter haben ausreichend Zeit, sich mit neuen Vorgaben vertraut zu machen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einen Antrag auf vorläufige Außer­kraft­setzung der Bußgeld­vor­schriften des Gesetzes zur Mieten­be­grenzung im Wohnungswesen in Berlin (sogenannter "Mietendeckel") abgelehnt.

Das Gesetz zur Mieten­be­grenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) verbietet es im Land Berlin, höhere Mieten als im laufenden Mietverhältnis am 18. Juni 2019 geschuldet oder als bei Neu- beziehungsweise Wieder­ver­mietung nach dem 18. Juni 2019 vereinbart zu fordern. Bei Neu- oder Erstvermietung von Wohnraum ist ab Inkrafttreten des Gesetzes eine Miete verboten, die bestimmte Höchstgrenzen übersteigt. Ab dem 23. November 2020 ist darüber hinaus in allen Mietver­hält­nissen eine Miete verboten, die die Höchstgrenzen um mehr als 20 % übersteigt und nicht im Einzelfall genehmigt wurde. Vermieterinnen und Vermieter sind verpflichtet, Mieterinnen und Mietern sowie Behörden Auskunft über die am 18. Juni 2019 für die jeweilige Wohnung geschuldete Miete beziehungsweise die zur Berechnung der Mietobergrenzen maßgeblichen Umstände zu erteilen. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 MietenWoG Bln sind Verstöße gegen diese Vorgaben als Ordnungs­wid­rig­keiten definiert und können mit Bußgeldern belegt werden. Die Antrag­stel­lenden des zugrunde liegenden Verfahrens sind Vermieterinnen und Vermieter in Berlin und beantragen, diese Vorschrift vorläufig außer Kraft zu setzen.

BVerfG kann im Rahmen einer Folgenabwägung aufgrund summarischer Prüfung entscheiden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass nach § 32 Abs. 1 BVerfGG das Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfas­sungs­wid­rigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, wenn die Verfas­sungs­be­schwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Ist der Ausgang der Verfas­sungs­be­schwerde offen, so sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfas­sungs­be­schwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfas­sungs­be­schwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe.

Die hier beabsichtigte Verfas­sungs­be­schwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Jedenfalls die Frage, ob das Land Berlin die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz für die hier umstrittenen Regelungen zu Mietobergrenzen besaß, muss als offen bezeichnet werden.

Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist dabei ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines in Kraft getretenen Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung stets ein erheblicher Eingriff in die Gestal­tungs­freiheit des Gesetzgebers ist. Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall des Antrags, ein Gesetz außer Vollzug zu setzen, darüber hinaus besonderes Gewicht haben.

Mit Anwendbarkeit der Norm verbundenen Nachteile für Vermieter nicht überwiegend

Die für die Vermieterinnen und Vermieter mit der vorläufigen Anwendbarkeit der Norm verbundenen Nachteile überwiegen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit die Nachteile, die mit einem vorläufigen Wegfall der Bußgeld­be­wehrung für die Wirksamkeit des Gesetzes insgesamt einhergehen. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfas­sungs­be­schwerde später jedoch als begründet, sind die Nachteile, die sich aus der vorläufigen Anwendung der Bußgeld­vor­schriften ergeben, zwar von besonderem Gewicht. So liegt in der Belegung mit einer Geldbuße eine nachdrückliche Pflich­ten­mahnung und eine förmliche Missbilligung der Betroffenen. Auch kann die Geldbuße in Höhe von bis zu 500.000 Euro eine empfindliche Belastung darstellen. Dabei liegt die Verantwortung für die Kenntnis der sanktionierten Pflichten, die Erfassung ihrer Bedeutung im Einzelfall und die Ableitung der sich aus ihnen ergebenden Folgen bei den Vermieterinnen und Vermietern. Mit einer Geldbuße werden vorsätzliche und fahrlässige Fehlent­schei­dungen belegt. Insoweit verbindet sich die Wahrnehmung ihrer Eigentumsrechte mit dem Risiko persönlicher Sanktionen.

Kriterien des Gesetzes ist Vermieterinnen und Vermietern bereits bekannt

Demgegenüber ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gesetz auf Kriterien abstellt, die den Vermieterinnen und Vermietern bereits bekannt sind. Die für den Anwen­dungs­bereich des Gesetzes und für die Berechnung der zulässigen Miethöhe maßgeblichen Umstände haben weitgehend schon bislang zur Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete gemäß § 558 Abs. 2 BGB in den Berliner Mietspiegel Eingang gefunden. Zudem unterliegt die Ahndung einer Ordnungs­wid­rigkeit dem Oppor­tu­ni­täts­prinzip; von der Verhängung eines Bußgelds kann daher insbesondere dann abgesehen werden, wenn erkennbar überforderte Vermieterinnen oder Vermieter tatsächlich nur fahrlässig gehandelt haben. Schließlich gilt das Verbot des Forderns oder Entgegennehmens einer nach § 5 MietenWoG Bln unzulässigen Miete erst ab dem 23. November 2020, denn die Kappung der Bestandsmieten tritt erst neun Monate nach Verkündung des Gesetzes in Kraft. Vermieterinnen und Vermieter haben damit Zeit, um sich mit den neuen Vorgaben vertraut zu machen. Entgegen dem Vorbringen der Antrag­stel­lenden ist auch nicht erkennbar, dass Vermieterinnen und Vermieter jenseits des durch § 11 Abs. 1 Nr. 4 MietenWoG Bln sanktionierten Forderns und Entgegennehmens einer unzulässigen Miete daran gehindert wären, sich für den Fall der Verfas­sungs­wid­rigkeit des Gesetzes oder Teilen desselben bei Neuvermietungen eine höhere Miete versprechen zu lassen und ihnen deshalb ein irreversibler Schaden entstehen könnte.

Durch­setz­barkeit des Gesetzes würde ohne Bußgeld­be­wehrung erheblich leiden

Würde dagegen die einstweilige Anordnung erlassen und erweist sich das Gesetz später als verfas­sungsgemäß, entfiele die Bußgeld­be­wehrung. Das ließe zwar die in den §§ 3 ff. MietenWoG Bln geregelten Verbote und Pflichten selbst unberührt. Mieterinnen und Mieter könnten sich gegen die Verletzung von Auskunfts­pflichten und gegen überhöhte Mietverlangen grundsätzlich auch zur Wehr setzen und es wäre ein behördliches Einschreiten möglich. Doch entfiele mit der vorläufigen Außer­kraft­setzung der Bußgeld­be­wehrung der Druck, sich entsprechend dem Gesetz zu verhalten. Es steht zu befürchten, dass Vermieterinnen und Vermieter sich dann nicht an das Gesetz halten werden, was die Antrag­stel­lenden auch unumwunden einräumen. Die Wirksamkeit des Gesetzes wäre also deutlich gemindert. Zudem dürften Mieterinnen und Mieter - und sei es nur aus Unwissenheit - vielfach davon absehen, ihre Rechte zu verfolgen. Auch eine behördliche Durchsetzung der gesetzlichen Pflichten erforderte in Anbetracht von etwa 1,5 Millionen betroffener Wohnungen einen erheblichen Verwal­tungs­aufwand. Die Durch­setz­barkeit des Gesetzes litte ohne die Bußgeld­be­wehrung daher erheblich. Damit waren die strengen Anforderungen für eine vorläufige Außer­kraft­setzung eines Gesetzes nicht erfüllt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online (pm/kg)

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