23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 10013

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss06.07.2010

BVerfG zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonder­ver­sor­gungs­systemen der DDRKürzung hoher Zusatzrenten für einstige DDR-Minister rechtmäßig

Die Entgelt­kür­zungen im Rahmen der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonder­ver­sor­gungs­systemen der DDR sind verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Alterssicherung in der DDR beruhte neben der allgemeinen Sozia­l­ver­si­cherung und der Freiwilligen Zusatz­ren­ten­ver­si­cherung auf einer Vielzahl spezieller Siche­rungs­systeme für verschiedene Personengruppen, darunter dem Zusatz­ver­sor­gungs­system für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates.

Hintergrund

Im Einigungs­vertrag vom 31. August 1990 ist festgelegt, dass auch die Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz­ver­sor­gungs­systemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen sind. Jedoch sind dabei "ungerecht­fertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen" sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versor­gungs­systemen des Beitritts­gebiets (Anspruchs- und Anwart­schafts­über­füh­rungs­gesetz - AAÜG) umgesetzt. Die bisherigen Regelungen des Gesetzgebers zur Begrenzung des berück­sich­ti­gungs­fähigen Entgelts bei Angehörigen "staats- oder systemnaher" Versor­gungs­systeme bzw. Personen in "staats- oder systemnahen" Funktionen mit einkommensmäßig privilegierter Stellung erklärte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in seinen Entscheidungen vom 28. April 1999 und vom 23. Juni 2004 für verfassungswidrig. Der daraufhin vom Gesetzgeber neu gefasste § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des 1. AAüG-Änderungs­ge­setzes vom 21. Juni 2005 legt nunmehr eine Entgelt­be­grenzung für die Zeiten der Zugehörigkeit zu bestimmten zusätzlichen Versor­gungs­systemen fest und schränkt diese Kürzung zusätzlich auf bestimmte, im einzelnen aufgeführte Personengruppen mit leitenden Funktionen im Partei- und Staatsapparat der DDR ein. So ist in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG die Beschäftigung als "Minister, stell­ver­tretende Minister oder stimm­be­rech­tigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter" erfasst.

Sozialgericht: Auch neue Begren­zungs­re­gelung ist verfas­sungs­widrig

Die Kläger der beiden Ausgangs­ver­fahren waren in der DDR zeitweilig als Minister für Umweltschutz und Wasser­wirt­schaft bzw. als stell­ver­tretende Minister für Leichtindustrie tätig. Die von ihnen angerufenen Sozialgerichte sind der Auffassung, auch die neue Begren­zungs­re­gelung sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG verfas­sungs­widrig.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass der zur Prüfung gestellte § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG verfas­sungsmäßig ist.

Gesetzgeber steht bei Überführung der im Beitrittgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Renten­ver­si­cherung besonders großer Gestal­tungs­spielraum zu

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Entgelt­kür­zungen durch § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG sind mit dem Eigentumsschutz nach Art. 14 GG vereinbar. Dieser kommt den in der DDR begründeten Rente­n­ansprüchen und -anwartschaften aus Zusatz- und Sonder­ver­sor­gungs­systemen nur entsprechend der Vorgabe im Einigungs­vertrag und nur mit der Maßgabe zu, dass ungerecht­fertigte Leistungen abgeschafft und überhöhte Leistungen abgebaut werden dürfen. Im Rahmen seines Ausge­stal­tungs­auf­trages bei der Überführung der im Beitrittgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Renten­ver­si­cherung steht dem Gesetzgeber ein besonders großer Gestal­tungs­spielraum zu, der durch die Neuregelung in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG nicht überschritten ist. Die dadurch bewirkte Rentenkürzung rechtfertigt sich aus dem gesetz­ge­be­rischen Anliegen, ein renten­recht­liches Fortwirken eines Systems der Selbst­pri­vi­le­gierung zu verhindern. § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfasst einen sehr spezifischen und eng begrenzten Kreis von Personen mit Funktionen auf höchster Staatsebene. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass diese kleine Gruppe von Personen, die an wichtigen Schaltstellen des Partei- und Staatsapparates der DDR tätig waren, ihre Position entscheidend durch Parteilichkeit und Systemtreue erlangten und die gewährte Besoldung und Versorgung eben die honorierte. Die Minister der DDR wurden durch das Politbüro der SED in erster Linie nach politisch-ideologischen Kriterien ausgewählt. Daher ist die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die an solche Führungskräfte gezahlten Entgelte zu einem gewissen Tei nicht durch Leistung, sondern als Belohnung für politische Anpassung und unbedingte Erfüllung des Herrschafts­an­spruchs der SED erworben wurden, nicht zu beanstanden.

Renten der Kläger liegen immer noch erheblich über der Durch­schnittsrente eines früheren Bürgers der DDR

Der Einwand, bei dieser Rentenkürzung handele es sich um ein "Renten­strafrecht" des bundesdeutschen Gesetzgebers, greift nicht. § 6 Abs. 2 AAÜG sanktioniert nicht früheres Verhalten der Betroffenen, sondern versagt die Fortschreibung von Vorteilen aus dem System der DDR im Rentenrecht der Bundesrepublik. Die auf die Zeiten der Funkti­o­ns­ausübung beschränkte Rentenkürzung ist auch nicht unver­hält­nismäßig; die den Klägern verbleibenden Renten liegen immer noch erheblich über der Durch­schnittsrente eines früheren Bürgers der DDR.

Vom Gesetzgeber gewählte eng begrenzte Typisierung bei Entgeltkürzung verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden

er allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG wird ebenfalls eingehalten. Die Benachteiligung der in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG benannten Personengruppe gegenüber den allgemein renten­be­rech­tigten ehemaligen Bürgern der DDR und insbesondere gegenüber sonstigen Angehörigen von Zusatz- und Sonder­ver­sor­gungs­systemen, die nicht dem Kürzungs­me­cha­nismus des § 6 Abs. 2 AAÜG unterworfen werden, ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Es kann zwar nicht generell davon ausgegangen werden, dass die Zugehörigkeit zu einem der Zusatz- oder Sonder­ver­sor­gungs­systeme stets mit der Zahlung überhöhter, nicht leistungs­ge­rechter Entgelte einhergegangen ist. Den darin waren eine Vielzahl unter­schied­licher Berufs- und Personengruppen erfasst, welche hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates ebenso umfasste wie die Angehörigen der wissen­schaft­lichen und technischen Intelligenz, Ärzte und Zahnärzte mit eigener Praxis, Pädagogen und Hochschul­pro­fessoren sowie künstlerisch Beschäftigte des Rundfunks, Fernsehens und Filmwesens. Der Gesetzgeber hat demgegenüber aber in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG die Entgeltkürzung auf eine Personengruppe beschränkt, der unzweifelhaft Entgelte gezahlt worden sind, die teilweise nicht leistungs­bezogen waren, sondern Prämien für Systemtreue darstellten, und die damit von ungerecht­fer­tigten Vorteilen profitierten. Diese vom Gesetzgeber gewählte eng begrenzte Typisierung ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss10013

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI