Dokument-Nr. 4049
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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.02.2007
Verwaltungsentscheidungen der DDR bleiben grundsätzlich gültigNur bei Verstoß gegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze sind sie rücknehmbar
Verwaltungsentscheidungen, die in der DDR ergangen sind, sind gem. Art. 19 des Einigungsvertrages auch nach dem 3. Oktober 1990 hinaus wirksam. Etwas anderes gilt nur, wenn die Verwaltungsentscheidungen mit tragenden rechtsstaatlichen Grundsätzen in einer Weise unvereinbar sind, dass ihr Fortbestand in der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsordnung der Bundesrepublik nicht hingenommen werden kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Der 1926 geborene und zwischenzeitlich verstorbene ursprüngliche Beschwerdeführer rutschte im Februar 1984 auf dem Weg zur Arbeit bei Glatteis aus. Dabei zog er sich eine Prellung des linken Knies zu. Im September 1984 wurde sein linker Unterschenkel nach einem akuten Arterienverschluss amputiert. Die nach dem Unfallversicherungsrecht der DDR zuständige Betriebsgewerkschaftsleitung lehnte seinen Antrag auf Anerkennung der Unterschenkelamputation als Folge des Wegeunfalls im Dezember 1985 ab. Die aufgetretenen Durchblutungsstörungen und die nachfolgende Amputation seien keine Unfallfolge, sondern Folge einer anlagebedingten Erkrankung. Nach Herstellung der Deutschen Einheit beantragte der Versicherte bei der nun für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft die Anerkennung seiner Unterbeinamputation als Folge eines Arbeitsunfalls. Die Berufsgenossenschaft lehnte den Antrag ab. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in letzter Instanz ohne Erfolg. Das Bundessozialgericht führte aus, dass die Berufsgenossenschaft an den Bescheid der DDR-Behörde vom Dezember 1985 gebunden sei. Dies folge aus Art. 19 des Einigungsvertrags, wonach vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR grundsätzlich wirksam blieben und nur bei Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen aufgehoben werden könnten. Verwaltungsakte der DDR, die nicht gegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, seien daher von einer Rücknahme nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ausgeschlossen.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, da die Entscheidung des Bundessozialgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: In Art. 19 des Einigungsvertrags wurde im Interesse der Rechtssicherheit eine Entscheidung zugunsten der Rechtsbeständigkeit der Verwaltungsentscheidungen der DDR getroffen. Danach sind diese über den 3. Oktober 1990 hinaus wirksam, wenn und soweit sie nach der seinerzeitigen Staats- und Verwaltungspraxis der DDR ungeachtet etwaiger Rechtsmängel als wirksam angesehen und behandelt wurden. Art. 19 Einigungsvertrag ermöglicht nach allgemeiner Auffassung die Aufhebung nur solcher Verwaltungsentscheidungen, die mit tragenden rechtsstaatlichen Grundsätzen in einer Weise unvereinbar sind, dass ihr Fortbestand in der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsordnung der Bundesrepublik nicht hingenommen werden kann.
Es durfte ohne Verstoß gegen das Grundgesetz im Einigungsvertrag davon abgesehen werden, die 40-jährige Verwaltungspraxis der DDR am Maßstab der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland aufzuarbeiten. Wäre Art. 19 Einigungsvertrag dahingehend auszulegen, dass alle von den zuständigen Stellen der DDR im Rahmen der Unfallversicherung getroffenen Entscheidungen über die Anerkennung und Entschädigung als Arbeitsunfall einer Überprüfung auf der Grundlage des Rechts der DDR oder auf der Grundlage des gesamtdeutschen Rechts unterliegen, wäre diese Aufgabe in einem unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit vertretbaren Zeitrahmen nicht zu leisten gewesen. Die Gesetzesbegründung zum Renten- Überleitungsgesetz spricht von etwa 300.000 übernommenen, von den zuständigen Stellen der DDR verbeschiedenen Entschädigungsfällen und einer nicht unerheblichen Zahl von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, die weit zurücklägen und zur Prüfung und gegebenenfalls Anerkennung noch anstünden. Auch fehlt nach den Feststellungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften die erforderliche Gutachterkapazität, um eine größere Zahl der übergeleiteten etwa 300.000 Fälle auf die Richtigkeit der seinerzeit vorgenommenen Bewertungen zu beurteilen.
Aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes kann zwar unter bestimmten Voraussetzungen eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Ausgleich von Schäden folgen, die durch rechtswidriges Verhalten einer nicht an das Grundgesetz gebundenen Staatsgewalt entstanden sind. Für die Annahme einer solchen Ausgleichspflicht ist im vorliegenden Fall jedoch nichts ersichtlich. Zutreffend hat das Bundessozialgericht darauf hingewiesen, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Versicherten von seiner Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung aufgefangen wurde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.04.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 40/2007 des Bundesverfassungsgerichts vom 04.04.2007
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