Bundesverfassungsgericht Beschluss21.11.2023
Leistungen anderer Staaten dürfen auf Conterganrente angerechnet werdenAnrechnungsregelung im Conterganstiftungsgesetz ist verfassungsgemäß und verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Eigentum oder den Gleichbehandlungsgrundsatz
Das Bundesverfassungsgericht hat auf eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Conterganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz - ContStifG) in den Fassungen vom 26. Juni 2013 und vom 21. Februar 2017 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Nach dieser zum 1. August 2013 in Kraft getretenen Vorschrift werden Zahlungen, die wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate von Anderen, insbesondere von ausländischen Staaten, geleistet werden, auf die nach dem Conterganstiftungsgesetz zu zahlende Kapitalentschädigung und Conterganrente angerechnet.
Zwischen 1958 und 1962 kamen weltweit etwa 10.000 Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft thalidomidhaltige Schlaf- und Beruhigungsmittel des Pharmaunternehmens Chemie Grünenthal GmbH (Grünenthal) eingenommen hatten, mit schweren Fehlbildungen ihrer Gliedmaßen und anderen Körperschäden zur Welt. Seit 1972 erbringt die staatliche Conterganstiftung Rentenzahlungen und weitere Leistungen an contergangeschädigte Personen im In- und Ausland. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, ein Contergangeschädigter mit Wohnsitz in Irland, bezieht zusätzlich zur deutschen Conterganrente Leistungen des irischen Staates wegen seiner Conterganschädigung. Aufgrund von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG wird diese Zahlung seit dem Jahr 2013 auf die Conterganrente des Klägers angerechnet. Hiergegen wandte er sich bislang erfolglos an die Fachgerichte.
Anrechnung verhindert Doppelleistungen
Das BVerfG hat jetzt entschieden, dass die Regelungen in § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG mit dem Grundrecht auf Eigentum und den allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist. Die Conterganrente unterfällt als sozialrechtliche Position in ihrem gesetzlich gewährten Bestand dem Eigentumsschutz. § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG, der keine Enteignung darstellt, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Insbesondere stellen die von der Anrechnung erfassten Leistungen eine zu verhindernde Doppelleistung dar, weil sie – wie die deutsche Conterganrente – spezifisch und ausschließlich einen Ausgleich für die Conterganschädigung gewähren.
Keine unbeschränkte Schutzwürdigkeit
Die Conterganrente genießt eine besondere, nicht aber eine unbeschränkte Schutzwürdigkeit. Denn die Schutzwürdigkeit des Eigentums in seiner Bedeutung als individuelles Freiheitsgrundrecht ist bei der Conterganrente zwar stark ausgeprägt; gleichzeitig hat die Conterganrente aber auch einen ausgeprägten sozialen Bezug, weil sie in einen auf die Gemeinschaft der Contergangeschädigten bezogenen Gesamtzusammenhang eingefügt ist. § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG wird auch den Anforderungen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gerecht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.01.2024
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)