24.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil22.07.2011

Werbe­fi­nan­zierter Online-Journalismus: Für Autor besteht Versi­che­rungs­pflicht nach dem Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetzWerbeeinnahmen stehen in mittelbaren Zusammenhang zu journa­lis­tischer Arbeit und sind als Einnahmen aus publizistischer Tätigkeit zu werten

Für Online-Journalisten, die Ihre Tätigkeit überwiegend durch den Verkauf von Werbeflächen auf einer eigenen Website und in geringem Umfang über Honorare aus der Veräußerung verfasster Beiträge an andere Website-Betreiber finanziert, besteht eine Versi­che­rungs­pflicht nach dem Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz (KSVG). Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

Der Kläger des zugrunde liegenden Falls begehrt von der beklagten Künstlersozialkasse die Feststellung seiner Versi­che­rungs­pflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG). Er betreibt seit 1996 einen Fachin­for­ma­ti­o­ns­dienst zum Thema "Internet", indem er von ihm zu diesem Thema verfasste aktuelle Beiträge auf einer eigenen Website kostenlos zur Verfügung stellt. Einnahmen erzielt er überwiegend durch den Verkauf von Werbeflächen auf dieser Website. In geringem Umfang bezieht der Kläger darüber hinaus Honorare aus der Veräußerung von ihm verfasster Beiträge an andere Website-Betreiber, die jährlich den Betrag von 3.900 Euro aber nicht übersteigen. Die Beklagte lehnte die vom Kläger begehrte Feststellung ab. Die hiergegen gerichtete Klage war in den Vorinstanzen erfolglos.

BSG bejaht Versi­che­rungs­pflicht nach dem Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz

Das Bundes­so­zi­al­gericht gab der Revision des Klägers stattgegeben, die vorin­sta­nz­lichen Urteile geändert und die Versi­che­rungs­pflicht des Klägers nach dem Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz festgestellt.

Auch Einnahmen aus Verkauf von Werbeflächen auf Website finden bei Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­pflicht Berück­sich­tigung

Der Kläger übt eine selbständige publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig, d.h. mit der Absicht aus, ein über der Gering­fü­gig­keits­grenze des § 3 Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz liegendes Einkommen zur Finanzierung seines Lebens­un­terhalts zu erzielen und unterliegt daher der Versi­che­rungs­pflicht nach dem Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz. Zu den im Rahmen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 3 Abs. 1 Satz 1 Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz berück­sich­ti­gungs­fähigen Einnahmen "aus" einer publizistischen Tätigkeit zählen nicht nur die im unmittelbaren Zusammenhang mit der publizistischen Tätigkeit, d.h. "für" diese Tätigkeit, erzielten Einkünfte aus der Veräußerung von Beiträgen an andere Website-Betreiber, sondern auch die in einem mittelbaren Zusammenhang mit der publizistischen Tätigkeit stehenden Einnahmen aus dem Verkauf von Werbeflächen auf der eigenen Website.

Zwischen Werbeinnahmen und primärer publizistischer Arbeit besteht untrennbarer wirtschaft­licher und inhaltlicher Zusammenhang

Analog zu dem in § 14 SGB IV definierten Begriff des Arbeitsentgelts, der alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung erfasst, unabhängig davon, ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden, ist auch der Begriff des Arbeits­ein­kommens (§ 15 SGB IV) "aus einer selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit" auszulegen. Zwischen den vom Kläger aus dem Verkauf von Werbeflächen erzielten Einnahmen und seiner primären publizistischen Arbeit besteht ein untrennbarer wirtschaft­licher und inhaltlicher Zusammenhang, aufgrund dessen die "Werbeeinnahmen" dem von einem Verlag oder einer Redaktion für eine publizistische Leistung gezahlten Honorar vergleichbar und somit als Einnahmen "aus" publizistischer Tätigkeit zu werten sind. Wirtschaftlich ist die Refinanzierung einer über das Trägermedium "Internet" ausgeübten journa­lis­tischen Tätigkeit durch Werbeeinnahmen wegen der dort vorherrschenden kostenfreien Verfügbarkeit von Informationen ("Gratiskultur") eine notwendige Bedingung für die Ausübung dieser Tätigkeit. Inhaltlich ist der Erfolg der Werbung abhängig von der Websi­te­fre­quen­tierung, die wiederum durch die dort veröffentlichen Inhalte beeinflusst wird. Die in den Steuer­be­scheiden vorgenommene Einstufung der Einnahmen aus dem Verkauf der Werbeflächen als Einnahmen aus Gewerbebetrieb trifft nicht zu und ist aufgrund der abweichenden Zweckbestimmung des Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­ge­setzes nicht bindend.

Vorliegend handelt es sich um besonderen Fall der Selbst­ver­ma­rktung

Der Versi­che­rungs­pflicht nach dem Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz steht vorliegend auch nicht entgegen, dass bei dem vom Kläger gewählten Finan­zie­rungs­modell ein zur Zahlung der Künstlersozialabgabe verpflichteter Verwerter fehlt, weil es sich um einen besonderen Fall der Selbst­ver­ma­rktung handelt, bei der die fehlende Abgabepflicht über den Bundeszuschuss nach § 34 Künst­ler­so­zi­a­l­ver­si­che­rungs­gesetz auszugleichen ist.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 1 KSVG

Selbständige Künstler und Publizisten werden in der Renten­ver­si­cherung der Angestellten, in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung und in der sozialen Pflege­ver­si­cherung versichert, wenn sie

1. die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und

2. im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufs­aus­bildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozial­ge­setzbuch.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG

Versi­che­rungsfrei nach diesem Gesetz ist, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeits­ein­kommen erzielt, das 3.900 Euro nicht übersteigt.

§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV

Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

§ 15 Abs. 1 SGB IV

Arbeits­ein­kommen ist der nach den allgemeinen Gewin­n­er­mitt­lungs­vor­schriften des Einkom­mens­steu­er­rechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeits­ein­kommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkom­mens­steu­errecht zu bewerten ist.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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