21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil28.10.2009

Hartz IV: Arbeits­lo­sengeld II muss auch bei verspäteter Abgabe des Antrags­for­mulars gezahlt werdenGrund­si­che­rungs­träger ist verpflichtet Antragsteller auf Abgabe des vervoll­stän­digten Antrags hinzuweisen

Grund­si­che­rungs­träger sind auch dann dazu verpflichtet, Arbeits­lo­sengeld II auszuzahlen, wenn sich der betroffene Arbeitslose monatelang nicht darum gekümmert hat, seinen Antrag auf Arbeits­lo­sengeld bei der Behörde abzugeben. Der Grund­si­che­rungs­träger ist vielmehr dazu verpflichtet, den Antragsteller darauf hinzuweisen, fehlende Angaben zu ergänzen. Ein verspätet eingereichter Antrag kann somit nicht einfach verwirken. Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

Der Kläger sprach am 9. Juni 2005 bei der Beklagten wegen der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II vor. Ihm wurde dabei ein Antragsformular ausgehändigt, auf das im Feld "Tag der Antragstellung" der Stempel "9.6.05" aufgebracht wurde. Persönliche Daten des Klägers wurden an diesem Tag durch die Beklagte nicht erfasst. Am 3. Januar 2006 legte der Kläger sodann das nunmehr ausgefüllte Antragsformular vom 9. Juni 2005 bei der Beklagten vor. Er gab an, seinen Lebensunterhalt durch das Arbeits­lo­sengeld nach dem SGB III, Erspartes und Darlehen seiner Eltern bestritten zu haben. Der beklagte Grund­si­che­rungs­träger gewährte ab 3. Januar 2006 Arbeits­lo­sengeld II; das Begehren des Klägers, die Leistungen bereits ab 9. Juni 2005 zu erbringen, wurde von dem Beklagten abschlägig beschieden.

Leistungs­ansprüche laut Gericht wegen verspäteter Abgabe der Unterlagen erloschen

Das Sozialgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben, das Landes­so­zi­al­gericht hat den erstin­sta­nz­lichen Gerichts­be­scheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe zwar am 9. Juni 2005 wirksam einen Antrag gestellt; die mit dem Antrag geltend gemachten Leistungs­ansprüche seien aber für die Zeit bis vor dem 3. Januar 2006 durch Verwirkung erloschen. Der Kläger habe nach seiner Antragstellung nichts mehr getan, um seine Ansprüche weiter zu verfolgen. Insbesondere habe er das ausgefüllte Antragsformular erst fast sieben Monate nach der Antragstellung vorgelegt.

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat der Revision des Klägers nach mündlicher Verhandlung stattgegeben und den der Klage stattgebenden Gerichts­be­scheid des Sozialgerichts wieder­her­ge­stellt.

Grund­si­che­rungs­träger muss auf Abgabe des Antrags hinwirken – Antragssteller hat Mitwir­kungs­pflicht

Dem Kläger steht für den Zeitraum ab dem 9. Juni 2005 ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts zu. Er hat am 9. Juni 2005 (gemäß § 37 SGB II) wirksam einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt. Das Landes­so­zi­al­gericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers für den Zeitraum bis zur Vorlage des ausgefüllten Antrags­for­mulars entsprechend § 242 BGB verwirkt sei, weil der Kläger nach der Antragstellung seine Ansprüche nicht weiter verfolgt habe. Gemäß § 16 Abs. 3 SGB I muss der Grund­si­che­rungs­träger darauf hinwirken, dass der Antragsteller unverzüglich klare und sachdienliche Anträge stellt und unvollständige Angaben ergänzt. Für den antrag­stel­lenden Bürger besteht im Verwal­tungs­ver­fahren die Verpflichtung mitzuwirken. So kann nach § 60 SGB I von dem Antragsteller verlangt werden, bestimmte Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungs­trägers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. § 66 SGB I sieht bei fehlender oder nicht rechtzeitiger Mitwirkung die Sanktion der Leistungs­ver­sagung vor, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Der beklagte Grund­si­che­rungs­träger hätte sich dieser Instrumente des sozia­l­recht­lichen Verwal­tungs­ver­fahrens bedienen müssen, die hier einen Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Verwirkung ausschließen.

Hinweis zur Rechtslage:

§ 37 SGB II

(1) Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden auf Antrag erbracht. (2) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. …

§ 41 SGB II

(4) Satz 4: Die Leistungen sollen jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden.

§ 16 SGB I

(3) Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden.

§ 66 SGB I

(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwir­kungs­pflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. …

Quelle: ra-online, BSG

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