Dokument-Nr. 7940
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Bundessozialgericht Urteil02.06.2009
Bundessozialgericht erleichtert Zugang zu "Ghetto-Renten"
Das Bundessozialgericht hat über die Frage entschieden, ob Juden für die Arbeit in einem Ghetto während des Zweiten Weltkriegs eine Rente zusteht.
Nach dem im Jahr 2002 verkündeten "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto" (ZRBG) können für Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung "Ghetto-Beitragszeiten" angerechnet werden. Dies gilt für jüdische Verfolgte, die sich zwangsweise in einem Ghetto in einem vom Deutschen Reich besetzten oder diesem eingegliederten Gebiet aufgehalten und während dieser Zeit eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben. Für eine derartige Beschäftigung gelten Beiträge als entrichtet, aus denen Renten auch ins Ausland gezahlt werden können. Der Gesetzgeber hat damit an eine Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 1997 angeknüpft, die auch für Arbeitsleistungen in einem Ghetto zwischen (an sich) versicherungspflichtigen Beschäftigungen und nicht versicherungspflichtiger Zwangsarbeit differenziert.
Das Gesetz hat zu ca. 70 000 Anträgen geführt; die Bewilligungsquote der zuständigen Rentenversicherungsträger liegt - durchschnittlich - bei unter 10 %. Bisher war durch die Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, in welcher Weise die für die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung geltenden Regeln auch bei Anwendung des ZRBG zu beachten sind.
Bundessozialgericht stellt Grundsätze auf
Der 13. Senat des Bundessozialgerichts ist nunmehr in drei Revisionsverfahren von Grundsätzen ausgegangen, die in mehrfacher Hinsicht Leitlinien zur Handhabung des ZRBG aufstellen:
(1) "Aus eigenem Willensentschluss" kann eine Beschäftigung auch dann zustande gekommen sein, wenn für die Ghetto-Bewohner Arbeitspflicht bestand. Es kommt darauf an, dass der Betroffene nicht zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen wurde, sondern zB bei einer Vermittlung durch den Judenrat das "Ob" oder "Wie" der Arbeit beeinflussen konnte.
(2) "Entgelt" ist jegliche Entlohnung, ob in Geld oder Naturalien (zB Nahrungsmitteln). Geringfügigkeitsgrenzen sind nicht zu prüfen. Unerheblich ist, ob lediglich "freier Unterhalt" gewährt wurde.
(3) Es kommt nicht darauf an, ob das Entgelt dem Beschäftigten direkt ausgehändigt wurde oder an einen Dritten (z.B. den Judenrat zur Versorgung des Ghettos) floss.
(4) Für eine Ghetto-Beschäftigung besteht kein Mindestalter.
Bundessozialgericht hebt entgegenstehende eigene Rechtsprechung auf
Entgegenstehende eigene Rechtsprechung hat der 13. Senat aufgegeben. In den verhandelten Revisionsverfahren führte dies jeweils zur Bestätigung der durch die Rentenversicherungsträger angefochtenen Berufungsurteile.
Die einzelnen Fälle
In dem Fall - Az. B 13 R 81/08 R - hat das BSG zusätzlich entschieden, dass dem Zahlungsanspruch des Klägers sein Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU (Frankreich) nicht entgegensteht. Ferner hat es den Rentenbeginn auf den 1. Juli 1997 (Inkrafttreten des ZRBG) statt 1. Juni 1997 festgelegt.
Im Fall - Az. B 13 R 85/08 R - kam es entsprechend der o.a. Leitlinie (2) nicht darauf an, ob das Entgelt für die schwere Arbeit des Klägers "angemessen" war oder nicht. Ebenso wenig war darauf abzustellen, ob und welche Beziehungen zwischen dem (direkten) Arbeitgeber (dem Inhaber der Lederfabrik) und dem Kläger bestanden oder ob der Judenrat als Verleiher im Sinne einer "Arbeitnehmer-Überlassung" fungierte.
Im Fall - Az. B 13 R 139/08 R -der (zur Zeit der Ghetto-Beschäftigung 12 bis 14 Jahre alten) Klägerin hat das BSG schließlich entschieden, dass für eine Ghetto-Beschäftigung kein Mindestalter besteht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.06.2009
Quelle: ra-online (pt)
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