24.11.2024
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Urteil15.12.2009BundessozialgerichtB 1 AS 1/08 KL
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Bundessozialgericht Urteil15.12.2009

Land Berlin: 13,143 Mio Euro Schadensersatz für den Bund wegen Abwälzung gesetzeswidrig überhöhter Kosten für Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV")Streit um Kosten für Unterkunft

Das Land Berlin war bei der Erstattung von Unter­kunfts­kosten von Hartz-IV-Empfängern zu großzügig. Berlin habe "vorsätzlich" gegen geltendes Recht verstoßen, urteilte das Bundes­so­zi­al­gericht. Daher muss das Land nun dem Bund Schadensersatz in Höhe von 13,14 Mio EUR plus Zinsen zahlen.

Die klagende Bundesrepublik Deutschland begehrte vom Beklagten (Land Berlin) Schadensersatz, hilfsweise Erstattung von ca 47 Mio Euro nebst Zinsen wegen in Berlin überhöht aufgewandter Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU; § 22 Zweites Buch Sozial­ge­setzbuch - SGB II), an denen sich der Bund in den Jahren 2005 bis 2008 beteiligte

Sachverhalt

Zum 1. Januar 2005 wurden - mit Inkrafttreten des SGB II - in den Berliner Bezirken auf der Grundlage einer zwischen dem Land und den Agenturen für Arbeit geschlossenen Vereinbarung jeweils Arbeits­ge­mein­schaften (ARGEn) errichtet, die ua Berechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende KdU-Leistungen zu erbringen haben. Die ARGEn stellen - so das Bundes­ver­fas­sungs­gericht - eine nur vorübergehend, längstens bis 31. Dezember 2010 hinnehmbare verfas­sungs­widrige Form der Mischverwaltung dar. Der Beklagte bestimmte sich selbst zum kommunalen, für KdU-Leistungen zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und ermächtigte seine Senats­ver­waltung, KdU-Verwal­tungs­vor­schriften zu erlassen. Er erließ mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 Ausfüh­rungs­vor­schriften (Nr. 4 Abs. 3 AV Wohnen), wonach im Sinne eines Jahres­be­stands­schutzes nicht angemessene Kosten der Unterkunft zunächst für das gesamte erste Jahr des Leistungsbezugs in tatsächlicher Höhe übernommen werden sollten. Erst im Anschluss an die Jahresfrist sollte die gesetzliche Regelung des SGB II greifen, die eine solche Kostenübernahme (nur) "in der Regel längstens für sechs Monate" vorsieht. Die Klägerin beteiligte sich im gesetzlich festgelegten Umfang an den tatsächlich angefallenen Kosten der Unterkunft und Heizung in Berlin zwischen 2005 und 2008 mit Beträgen von ca 350 bis 450 Mio Euro jährlich. Sie hat nach erfolglosen Beanstandungen im Dezember 2008 beim Bundes­so­zi­al­gericht Klage auf Zahlung von 47.040.000 Euro erhoben.

Bundes­so­zi­al­gericht verurteilt das Land Berlin auf Zahlung von Schadensersatz

Der 1. Senat des Bundes­so­zi­al­ge­richts hat der Klage in Höhe von 13,143 Mio Euro nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen: Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz lediglich in dieser Höhe aus Artikel 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 Grundgesetz. Diese Regelung sieht eine Haftung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern vor, die auf das Ausein­an­der­fallen der Zuständigkeit für die Verwal­tung­s­tä­tigkeit einerseits und für die Finanzierung andererseits zugeschnitten ist. Sie zielt auf eine sachgerechte Zuordnung der Verantwortung für die durch eine nicht ordnungsmäßige Verwaltung entstandenen Schäden. Sie greift auch im vorliegenden Fall ein. Die gesetzliche Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung trifft hier teilweise die Klägerin. Der Beklagte trägt allein die Verwal­tungs­ver­ant­wortung für die Kosten der Unterkunft und Heizung; dies gilt insbesondere auch für die von ihm erlassene AV-Wohnen mit Bindungswirkung für die ARGEn im Land Berlin. Die im Gesetz angelegte Bindungswirkung rechtfertigt sich trotz Unvereinbarkeit der Regelung über ARGEn mit dem Grundgesetz daraus, dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine vorübergehende Anwendung der Regelung zugelassen hat. Es wollte damit Rechts­un­si­cherheit verhindern und eine wirkungsvolle, durch das Sozial­staats­prinzip gebotene Aufga­ben­wahr­nehmung ermöglichen, zumal es für die Vielzahl betroffener SGB II-Leistungs­be­rech­tigter regelmäßig um existenzielle Leistungen geht. Die Bindungswirkung entspricht zudem der bisherigen Verwal­tung­s­praxis. Der Beklagte hat durch den Erlass der AV Wohnen vorsätzlich und schwerwiegend seine Pflicht verletzt, höherrangiges Recht beim Erlass von Verwal­tungs­vor­schriften zu beachten. Er hat mit Nr. 4 Abs. 3 AV Wohnen eine Jahres­be­stands­schutz­re­gelung getroffen, die offensichtlich gesetzeswidrig war, weil sie klar den bundes­recht­lichen Vorgaben in § 22 Abs. 1 SGB II widersprach.

Bund entstand Schaden in Höhe von rund 13 Mio. Euro

Der Klägerin ist hierdurch ein Schaden von schätzungsweise rund 13.143.000 Euro entstanden. Der Gesamtbetrag überhöhter Zahlungen der Klägerin für die Geltungszeit der rechtswidrigen AV-Wohnen vom 1. Oktober 2005 bis 31. Dezember 2008 beläuft sich auf 54.761.913 Euro. Hiervon sind geschätzt lediglich rund 24 % als Schaden einzustufen, nicht 80 %, wie die Klägerin meint. Es ist nämlich ein Abzug für die sog Nichtab­sen­kungsfälle vorzunehmen, in denen es den Leistungs­be­ziehern selbst nach Ablauf der gesetzlichen Sechs-Monats-Frist nicht möglich oder zumutbar war, ihre unangemessen hohen KdU auf ein angemessenes Maß zu senken. Der Umfang der Nichtab­sen­kungsfälle bemisst sich nach der insoweit von der Klägerin nicht angegriffenen Berliner Verwal­tung­s­praxis. Das Bundes­so­zi­al­gericht hat weitergehende Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten verneint.

Quelle: ra-online, Bundessozialgericht

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