21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 24196

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss03.05.2017

BGH zu den Grenzen des Anspruchs auf Ausbildungs­unterhaltVater muss bei einem Alter seiner Tochter von fast 26 Jahren zum Studienbeginn nicht mit der Aufnahme eines Studiums rechnen

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang die Eltern eine Berufs­aus­bildung ihrer Kinder finanzieren müssen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das antragstellende Land nimmt den Antragsgegner, dessen Tochter es Voraus­leis­tungen nach dem Bundes­aus­bil­dungs­för­de­rungs­gesetz (BAföG) gewährt hat, auf Ausbil­dungs­un­terhalt aus übergegangenem Recht in Anspruch. Die im November 1984 geborene nichteheliche Tochter erwarb im Jahre 2004 das Abitur mit einem Noten­durch­schnitt von 2,3. Ab dem Wintersemester 2004/2005 bewarb sie sich im Verga­be­ver­fahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) um einen Medizin­stu­di­enplatz. Nachdem ihr kein solcher zugewiesen wurde, begann sie im Februar 2005 eine Lehre als anästhe­sie­tech­nische Assistentin, die sie im Januar 2008 erfolgreich abschloss. Ab Februar 2008 arbeitete sie in diesem erlernten Beruf. Für das Wintersemester 2010/2011 wurde ihr schließlich ein Studienplatz zugewiesen; seitdem studiert sie Medizin.

Vater stellt Unter­halts­zah­lungen nach ausbleibender Reaktion der Tochter über Ausbil­dungs­verlauf ein

Im September 2011 erhielt der Vater durch die Aufforderung des Studie­ren­denwerks zur Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse Kenntnis von der Studienaufnahme seiner Tochter. Er hatte weder mit deren Mutter noch mit ihr jemals zusammengelebt und seine Tochter letztmals getroffen, als sie 16 Jahre alt war. Per Brief hatte er ihr im Jahre 2004 nach dem Abitur - dessen erfolgreiche Ablegung er annahm - mitgeteilt, dass er vom Abschluss der Schulausbildung ausgehe und davon, keinen weiteren Unterhalt mehr zahlen zu müssen. Sollte dies anders sein, möge sich seine Tochter bei ihm melden. Nachdem eine Reaktion hierauf unterblieb, stellte er die Unterhaltszahlungen für seine Tochter ein.

Verfahrensgang

Das Amtsgericht wies den auf Zahlung von insgesamt 3.452,16 Euro (BAföG-Vorausleistung für Oktober 2011 bis September 2012) gerichteten Antrag ab, das Oberlan­des­gericht wies die Beschwerde des Landes zurück.

Ausbil­dungs­ab­schnitte bei Abitur-Lehre-Studium-Fällen müssen in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen

Die hiergegen eingelegte Rechts­be­schwerde blieb vor dem Bundes­ge­richtshof ohne Erfolg. Gemäß § 1610 Abs. 2 BGB* umfasst der Unterhalt eines Kindes die Kosten einer angemessenen Ausbildung zu einem Beruf. Geschuldet wird danach eine Berufs­aus­bildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit der Eltern hält. Ein einheitlicher Ausbildungsgang in diesem Sinn kann auch gegeben sein, wenn ein Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg (Abitur) eine praktische Ausbildung (Lehre) absolviert hat und sich erst danach zu einem Studium entschließt (sogenannte Abitur-Lehre-Studium-Fälle). Hierfür müssen die einzelnen Ausbil­dungs­ab­schnitte jedoch in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen; die praktische Ausbildung und das Studium müssen sich jedenfalls sinnvoll ergänzen.

Unter­halts­pflichtiger muss sich für eigene Lebensplanung auf Dauer der Unterhaltslast einstellen können

Der aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Anspruch ist zudem vom Gegen­sei­tig­keits­prinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unter­halts­schuldners zur Ermöglichung einer Berufs­aus­bildung steht auf Seiten des Unter­halts­be­rech­tigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit aufzunehmen und zu beenden, wobei ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes unschädlich ist. Eine feste Altersgrenze, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbil­dungs­un­terhalt entfällt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Unter­halts­pflicht richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich ist, ob den Eltern unter Berück­sich­tigung aller Umstände die Leistung von Ausbil­dungs­un­terhalt noch zumutbar ist. Dies wird nicht nur durch die wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit der Eltern bestimmt, sondern auch davon, ob und inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind weitere Ausbil­dungs­stufen anstrebt. Denn zu den schützenswerten Belangen des Unter­halts­pflichtigen gehört, sich in der eigenen Lebensplanung darauf einstellen zu können, wie lange die Unterhaltslast dauern wird. Eine Unter­halts­pflicht wird daher umso weniger in Betracht kommen, je älter der Auszubildende bei Abschluss seiner praktischen Berufs­aus­bildung ist. Auch wenn der Unter­halts­an­spruch keine Abstimmung des Ausbil­dungsplans mit dem Unter­halts­pflichtigen voraussetzt, kann es der Zumutbarkeit entgegenstehen, wenn der Unter­halts­pflichtige von dem Ausbildungsplan erst zu einem Zeitpunkt erfährt, zu dem er nicht mehr damit rechnen muss, zu weiteren Ausbil­dungs­kosten herangezogen zu werden.

Bei Alter von fast 26 Jahre zum Studienbeginn muss nicht mehr typischer Weise mit Aufnahme eines Studiums gerechnet werden

Nach diesen rechtlichen Maßgaben bestand im vorliegenden Fall kein Unter­halts­an­spruch mehr. Allerdings ist das Studium nicht allein wegen der Abiturnote unangemessen. Entstehen bei einem mit Numerus Clausus belegten Studiengang notenbedingte Wartezeiten, kann das lediglich zur Folge haben, dass das Kind seinen Bedarf während der Wartezeit durch eine eigene Erwer­b­s­tä­tigkeit sicherstellen muss. Auch fehlt insbesondere nicht der zeitliche Zusammenhang zwischen Lehre und Studium, weil die Tätigkeit im erlernten Beruf lediglich der Überbrückung der zwangsläufigen Wartezeit diente. Die Inanspruchnahme des Vaters ist aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls hier unzumutbar, selbst wenn er während der Lehre seiner Tochter nicht für ihren Unterhalt aufkommen musste. Denn bei dem Alter der Tochter von fast 26 Jahre bei Studienbeginn musste der Vater typischer Weise nicht mehr ohne weiteres mit der Aufnahme eines Studiums seiner Tochter rechnen. Entsprechend hatte er im Vertrauen darauf, nicht mehr für den Unterhalt der Tochter aufkommen zu müssen, verschiedene längerfristige finanzielle Dispositionen (kredit­fi­nan­zierter Eigenheimkauf; Konsu­men­ten­kredite) getroffen. Dieses Vertrauen war im vorliegenden Fall auch schützenswert, weil ihn seine Tochter trotz seiner schriftlichen Nachfrage zu keinem Zeitpunkt über ihre Ausbil­dungspläne in Kenntnis gesetzt hatte.

*§ 1610 Maß des Unterhalts

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss24196

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI