23.11.2024
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Dokument-Nr. 30907

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Bundesgerichtshof Urteil06.10.2021

Zinsän­de­rungs­klausel in Prämien­spar­verträgen unwirksamKein variabler Zinssatz bei Prämien­spar­verträgen

Der Bundes­ge­richtshof hat über die Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucher­schutz­verbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen das Muster­feststellungs­urteil des Oberlan­des­ge­richts Dresden vom 22. April 2020 über die Wirksamkeit von Zins­änderungs­klauseln in Prämien­spar­verträgen entschieden.

Die beklagte Sparkasse schloss seit dem Jahr 1994 mit Verbrauchern sogenannte Prämi­en­spa­r­verträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50 % der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertrags­for­mularen heißt es u.a.: "Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit .. % p.a. verzinst." In den in die Sparverträge einbezogenen "Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter: "Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist."

Musterkläger hielt Zinsän­de­rungs­klausel für unwirksam

Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben Feststel­lungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenz­zins­satzes und eines monatlichen Zinsan­pas­sungs­in­tervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhält­nis­methode vorzunehmen. Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgut­schriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass die wider­spruchslose Hinnahme der Zinsgut­schriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist. Das OLG hat der Muster­fest­stel­lungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststel­lungsziele mit der Revision weiter, soweit das OLG die Klage abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

BGH bejahrt Unwirksamkeit der Zinsän­de­rungs­klausel

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die angegriffene Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB in Bezug auf die Ausgestaltung der Variabilität der Verzinsung der Spareinlagen unwirksam ist und dass die in den Prämi­en­spa­r­ver­trägen insoweit entstandene Regelungslücke durch eine ergänzende Vertrags­aus­legung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Die angegriffene Klausel enthält bei der gebotenen objektiven Auslegung im Zusammenhang mit Ziffer 3.1 der Bedingungen für den Sparverkehr ein Zinsän­de­rungsrecht der Musterbeklagten, wonach diese den Vertrags­zinssatz durch die Änderung eines Aushangs in ihrem Kassenraum ändern kann. Das OLG hat zutreffend angenommen, dass die Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB in Bezug auf die Ausgestaltung der Variabilität unwirksam ist, da sie nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalku­lier­barkeit möglicher Zinsänderungen aufweist.

Zinsanpassungen sind nach der gebotenen ergänzenden Vertrags­aus­legung in einem monatlichen Rhythmus vorzunehmen

Rechts­feh­lerhaft ist das OLG allerdings davon ausgegangen, es könne einen Referenz­zinssatz deswegen nicht im Wege der ergänzenden Vertrags­aus­legung bestimmen, weil im Verfahren über die Muster­fest­stel­lungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche Indivi­du­a­l­ver­ein­ba­rungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die Bindungswirkung des Muster­fest­stel­lungs­urteils nach § 613 Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertrags­aus­legung im Muster­fest­stel­lungs­ver­fahren aus. Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge ist es inter­es­sen­gerecht, einen Zinssatz für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen heranzuziehen. Da das OLG - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu einem geeigneten Referenz­zinssatz getroffen hat, wird es dies nach Zurück­ver­weisung des Muster­ver­fahrens nachzuholen haben. Die Zinsanpassungen sind nach der gebotenen ergänzenden Vertrags­aus­legung in einem monatlichen Rhythmus vorzunehmen, weil der für langfristige Spareinlagen in Betracht kommende Referenz­zinssatz in der von der Deutschen Bundesbank erhobenen Zinsstatistik monatlich veröffentlicht wird. Im Wege der ergänzenden Vertrags­aus­legung ist weiter davon auszugehen, dass bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des Vertrags­zins­satzes zum Referenz­zinssatz beizubehalten ist. Nur eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der Vertrags­kon­di­tionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben.

Ansprüche auf Auszahlung weiterer Zinsbeträge frühestens ab Vertrags­be­en­digung fällig

Rechts­feh­lerfrei hat das OLG festgestellt, dass die Ansprüche der Verbraucher auf weitere Zinsbeträge aus den Sparverträgen frühestens ab dem Zeitpunkt der Vertrags­be­en­digung fällig werden. Die in einem Sparguthaben enthaltenen Zinsen unterliegen derselben Verjährung wie das angesparte Kapital. Das gilt auch für den Verbrauchern bislang nicht gutgeschriebene Zinsbeträge. Die Möglichkeit der Verbraucher, vor Vertrags­be­en­digung eine Gutschrift von weiteren Zinsbeträgen einzuklagen, bewirkt keine Vorverlagerung der Fälligkeit des Anspruchs auf Auszahlung der weiteren Zinsbeträge. Der rechtlich nicht vorgebildete Verbraucher, auf den bei der Auslegung der in den Sparverträgen getroffenen Abreden abzustellen ist, erwartet aufgrund der vertraglichen Absprache über die Zinska­pi­ta­li­sierung, dass die Bank die vertraglich geschuldeten Zinsen auch dann am Ende eines Geschäftsjahres dem Kapital zuschlägt, wenn er sein Sparbuch nicht zum Nachtrag vorlegt. Dieser berechtigten Erwartung widerspräche es, wenn der Anspruch auf Auszahlung der weiteren Zinsbeträge bei Vertrags­be­en­digung deswegen bereits verjährt wäre, weil der Anspruch auf Erteilung einer korrekten Zinsgutschrift nicht in einer die Verjährung hemmenden Art und Weise vom Verbraucher während der Laufzeit des Sparvertrags geltend gemacht worden ist.

Feststel­lungsziele zu Teilaspekten der Verjährung und Verwirkung unzulässig

Die vom Musterkläger verfolgten Feststel­lungsziele zu Teilaspekten der Verjährung und Verwirkung sind im Muster­fest­stel­lungs­ver­fahren unzulässig, weil sie nicht verall­ge­mei­ne­rungsfähig sind. Die Frage, ob ein bestimmter Umstand geeignet ist, einem Verbraucher Kenntnis oder auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis von seinem Anspruch auf weitere Zinsbeträge zu verschaffen, lässt sich nur individuell abhängig von der Person des Verbrauchers beantworten. Die Verwirkung eines Anspruchs wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Zeit- und Umstandsmoment können dabei nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Die Frage, ob ein Umstandsmoment vorliegt, das zusam­men­ge­nommen mit dem Zeitmoment eine Verwirkung des Anspruchs des Verbrauchers rechtfertigt, kann daher nur individuell und nicht in einem Musterverfahren beantwortet werden.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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