21.11.2024
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Dokument-Nr. 32134

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Urteil30.08.2022BundesgerichtshofX ZR 66/21
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil20.11.2020, 12 C 1596/20
  • Landgericht Stuttgart, Urteil22.07.2021, 5 S 217/20
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil30.08.2022

Corona-Pandemie - BGH zum Rücktritt von vorgesehenen Pauschalreisen wegen Covid 19: Seniorin durfte storno­kos­tenfrei im Juni 2020 von für sie risikoreicher Flusskreuzfahrt zurücktretenFlusskreuzfahrt hätte zu einer unzumutbaren Gesundheits­gefährdung für die ältere Frau geführt

Grundsätzlich können Pauscha­l­ur­lauber vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten. Dem Reise­ver­an­stalter steht dann eine angemessene Entschädigung zu (die Stornokosten). Dabei kommt es aber immer auf den Einzelfall an. Eine 84-jährige Frau, die im Juni 2020 eine Flusskreuzfahrt auf der Donau machen wollte, durfte laut BGH Anfang Juni 2020 storno­kos­tenfrei von ihrer Reise zurücktreten. Zum Zeitpunkt der Buchung sei ihr Alter noch völlig egal gewesen, in der Pandemie aber plötzlich zum Risikofaktor geworden. Das Anste­ckungs­risiko wegen der beengten Verhältnisse an Bord sei deutlich größer gewesen als zu Hause. Auch habe es noch keine Impfungen und Therapien gegeben.

In dem vorliegenden Fall streitet ein Reise­ver­an­stalter mit einer ältere Frau wegen der Erstattung der Anzahlung für eine Pauschalreise, nachdem die Frau vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten ist.

84-jährige Seniorin hatte eine Donaukreuzfahrt für Juni 2020 gebucht

Die Frau buchte im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni 2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 Euro. Die Klägerin, damals 84-jährig, trat am 7. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 Euro. Die Beklagte berechnete weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89 Euro (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die Klägerin bezahlte diesen Betrag nicht. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.

Das Amtsgericht und das Landgericht sind zu dem Ergebnis gelangt, schon im Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung sei aufgrund der erhöhten Anste­ckungs­gefahr eine erhebliche Beein­träch­tigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außer­ge­wöhn­lichen Umstand im Sinne von § 651 h Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen. Die Revision beim Bundes­ge­richtshof blieb erfolglos.

BGH: Reise­ver­an­stalter kann keine Entschädigung verlangen - Corona-Pandemie ist ein Umstand im Sinne von § 651 h Abs. 3 BGB

Nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) als Umstand im Sinne von § 651 h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet war, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine Anwendung von § 651 h Abs. 3 BGB ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beein­träch­ti­gungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.

Das Berufungs­gericht ist im Rahmen seiner tatrich­ter­lichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche Beein­träch­tigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war. Diese Würdigung hat der Bundes­ge­richtshof als rechts­feh­lerfrei bewertet.

Unzumutbare Gesund­heits­ge­fährdung

Das Berufungs­gericht hat eine unzumutbare Gesund­heits­ge­fährdung der Klägerin insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Fluss­kreuz­fahrt­schiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Corona bejaht. Es hat dabei das Hygienekonzept der Beklagten und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berücksichtigt. Zulässigerweise hat es auch auf das Alter der Klägerin Bezug genommen. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Klägerin einer Teilnahme an der Reise nicht entge­gen­ge­standen - erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken haben den Charakter der Reise verändert.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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