03.12.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 33027

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Bundesgerichtshof Urteil26.06.2023

BGH zum Diffe­renz­schaden in „Dieselverfahren“ nach Urteil des EuGHDieselkunden bekommen 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises bei Fahrlässigkeit

Der vom Präsidium des Bundes­ge­richtshofs vorübergehend als Hilfss­pruch­körper eingerichtete VIa. Zivilsenat hat im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Diesel­fahr­zeugen in „Dieselverfahren“ den Ersatz eines Diffe­renz­schadens vom Fahrzeug­her­steller verlangen können.

In dem Verfahren VIa ZR 335/21 verlangt der Kläger von der beklagten Volkswagen AG Schadensersatz wegen eines von ihr hergestellten VW Passat Alltrack 2. l TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schad­s­toff­klasse Euro 6 erteilt. Der Kläger erwarb das im Juli 2016 erstmals zugelassene Fahrzeug am 15. November 2017 von einem Händler. Die Abgas­rü­ck­führung erfolgt bei dem Fahrzeug in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster). Ferner ist eine Fahrkur­ve­n­er­kennung installiert. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schaden­s­er­satzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finan­zie­rungs­vertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision des Klägers. In dem Verfahren VIa ZR 533/21 kaufte der Kläger im Mai 2018 von einem Vertragshändler der beklagten Audi AG einen Audi SQ5 Allroad 3. TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 896Gen2BiT ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schad­s­toff­klasse Euro 6 erteilt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte bereits vor Abschluss des Kaufvertrags bei einer Überprüfung des auch in das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motors eine unzulässige Abschalt­ein­richtung in Form einer sogenannten Aufheiz­strategie festgestellt und durch Bescheid vom 1. Dezember 2017 nachträgliche Neben­be­stim­mungen für die der Beklagten erteilte EG-Typgenehmigung angeordnet. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schaden­s­er­satzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag mit dem Vertragshändler und einen Finan­zie­rungs­vertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine zweitin­sta­nz­lichen Anträge weiterverfolgt. In dem Verfahren VIa ZR 1031/22 kaufte der Kläger im Oktober 2017 von der beklagten Mercedes-Benz Group AG einen Mercedes-Benz C 220 d, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schad­s­toff­klasse Euro 6 erteilt. Die Abgas­rü­ck­führung erfolgt bei dem Fahrzeug unter anderem tempe­ra­tur­ge­steuert und wird beim Unterschreiten einer Schwel­len­tem­peratur reduziert. Weiter verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, bei der die verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finan­zie­rungs­vertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat der Klage unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung des Klägers überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungs­gericht die auf das Recht der unerlaubten Handlung gestützte Klage und darüber hinaus das auf kaufrechtliche Ansprüche gestützte Begehren des Klägers abgewiesen. Mit der vom Berufungs­gericht unter Verweis auf die Frage, ob die EG-Fahrzeug­ge­neh­mi­gungs­ver­ordnung ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei, zugelassenen Revision möchte der Kläger, der nur noch deliktische Ansprüche geltend macht, die Wieder­her­stellung des erstin­sta­nz­lichen Urteils erreichen.

Berufungs­urteile in allen drei Verfahren aufgehoben

Der Bundes­ge­richtshof hat auf die Revisionen der Kläger die Berufungs­urteile in allen drei Verfahren - in der Sache VIa ZR 1031/22 allerdings nicht bezogen auf Ansprüche aus Kaufrecht, die nicht mehr Gegenstand des Revisi­ons­ver­fahrens waren - aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungs­ge­richte zurückverwiesen, damit die Berufungs­ge­richte eine Haftung der beklagten Fahrzeug­her­steller aus unerlaubter Handlung weiter aufklären. Dabei hat der Bundes­ge­richtshof im Verfahren VIa ZR 335/21 bestätigt, dass die Tatbe­stands­wirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen den Fahrzeug­her­steller nicht entge­gen­ge­halten werden kann. Im Verfahren VIa ZR 533/21 hat er die höchst­rich­terliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer haftungs­aus­schlie­ßenden Verhal­ten­s­än­derung des Fahrzeug­her­stellers bekräftigt. Außerdem hat er - ausführlich begründet im Verfahren VIa ZR 335/21 - für eine Haftung der Fahrzeug­her­steller nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Diffe­renz­schadens im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 21. März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111) folgende Grundsätze aufgestellt.

Kein großer Schadensersatz bei Fahrlässigkeit

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21. März 2023 aus dem Gesamt­zu­sam­menhang des unions­recht­lichen Regelungs­gefüges gefolgert, dass der Käufer beim Erwerb eines Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Überein­stim­mungs­be­schei­nigung versehen ist, vernünf­ti­gerweise erwarten kann, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 eingehalten ist. Wird er in diesem Vertrauen enttäuscht, kann er von dem Fahrzeug­her­steller, der die Überein­stim­mungs­be­schei­nigung ausgegeben hat, Schadensersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen. Zu gewähren ist allerdings, wenn der Fahrzeug­her­steller den Käufer nicht sittenwidrig vorsätzlich geschädigt hat, in Übereinstimmung mit der bisherigen höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung, die zu ändern der Bundes­ge­richtshof keine Veranlassung hat, nicht großer Schadensersatz. Der Käufer kann auf der Grundlage der § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV im Falle der Enttäuschung seines auf die Richtigkeit der Überein­stim­mungs­be­schei­nigung gestützten Vertrauens - anders als bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch den Fahrzeug­her­steller und auf der Grundlage der §§ 826, 31 BGB - nicht verlangen, dass der Fahrzeug­her­steller das Fahrzeug übernimmt und den Kaufpreis abzüglich vom Käufer erlangter Vorteile erstattet. Ein solcher Anspruch, der im Kern nicht den Vermö­gens­schaden, sondern die freie Willen­s­ent­schließung des Käufers schützt, kommt nur bei einem im Sinne von §§ 826, 31 BGB arglistigen Verhalten des Fahrzeug­her­stellers in Betracht.

Schaden aufgrund drohender Betrie­bs­be­schränkung oder Betrie­bs­un­ter­sagung

Für § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein Schaden­s­er­satz­an­spruch nach dem maßgeblichen nationalen Recht eine Vermö­gens­min­derung durch die enttäuschte Vertrau­en­s­in­ves­tition bei Abschluss des Kaufvertrags über das Kraftfahrzeug voraussetzt. Da der EuGH bei der Ausgestaltung des Schaden­s­er­satz­an­spruchs auf das nationale Recht verwiesen hat, konnte der Bundes­ge­richtshof auf die allgemeinen Grundsätze des deutschen Schadensrechts zurückgreifen, die auch bei einem fahrlässigen Verstoß gegen das europäische Abgasrecht einen effektiven und verhält­nis­mäßigen Schaden­s­er­satz­an­spruch gewähren. Dabei hatte der Bundes­ge­richtshof davon auszugehen, dass die jederzeitige Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs Geldwert hat. Deshalb erleidet der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung im Sinne des Unionsrechts versehen ist, stets einen Schaden, weil aufgrund einer drohenden Betrie­bs­be­schränkung oder Betrie­bs­un­ter­sagung die Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage steht. Zugunsten des Käufers greift der Erfahrungssatz, dass er im Falle der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte.

Darlegungs- und Beweislast

Das Vorhandensein der Abschalt­ein­richtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 als solcher muss im Prozess der Käufer darlegen und beweisen, während die ausnahmsweise Zulässigkeit einer festgestellten Abschalt­ein­richtung aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 der Fahrzeug­her­steller darlegen und beweisen muss. Stellt der Tatrichter das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung fest, muss der Fahrzeug­her­steller darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Überein­stim­mungs­be­schei­nigung weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das Kraftfahrzeug den unions­recht­lichen Vorgaben nicht entspricht. Beruft sich der Fahrzeug­her­steller zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gelten dafür die in der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätze. Kann sich der Fahrzeug­her­steller von jedem Verschulden entlasten, haftet er nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht. Das deutsche Recht der unerlaubten Handlung setzt für eine deliktische Haftung des Schädigers stets ein Verschulden voraus. Eine verschul­den­su­n­ab­hängige deliktische Haftung können deutsche Gerichte, die auch nach den Vorgaben des EuGH im Rahmen des geltenden nationalen Rechts zu entscheiden haben, nicht anordnen.

5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises minus Vorteils­aus­gleich

Der dem Käufer zu gewährende Schadensersatz muss nach den Vorgaben des EuGH einerseits eine effektive Sanktion für die Verletzung des Unionsrechts durch den Fahrzeug­her­steller darstellen. Andererseits muss der zu gewährende Schadensersatz - so die zweite Vorgabe des EuGH - den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit wahren. Dem einzelnen Käufer ist daher stets und ohne, dass das Vorhandensein eines Schadens als solches mittels eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens zu klären wäre oder durch ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten in Frage gestellt werden könnte, ein Schadensersatz in Höhe von wenigstens 5 % und höchstens 15 % des gezahlten Kaufpreises zu gewähren. Innerhalb dieser Bandbreite obliegt die genaue Festlegung dem Tatrichter, der sein Schät­zungs­er­messen ausüben kann, ohne sich vorher sachverständig beraten lassen zu müssen. Auf den vom Tatrichter geschätzten Betrag muss sich der Käufer Vorteile nach Maßgabe der Grundsätze anrechnen lassen, die der Bundes­ge­richtshof für die Vorteils­aus­gleichung auf der Grundlage der Gewähr kleinen Schaden­s­er­satzes nach §§ 826, 31 BGB entwickelt hat.

Fälle werden nun neu verhandelt

Die Kläger werden in allen Verfahren Gelegenheit haben, ihre Anträge anzupassen, soweit sie einen Diffe­renz­schaden nach diesen Maßgaben geltend machen wollen. Die Parteien haben nach einer Zurück­ver­weisung der Sachen Gelegenheit, zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergänzend vorzutragen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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