18.10.2024
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Urteil27.01.2010BundesgerichtshofVIII ZR 326/08
Vorinstanzen:
  • Landgericht Potsdam, Urteil13.11.2007, 12 O 163/07
  • Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil19.11.2008, 7 U 223/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil27.01.2010

BGH: Klauseln in Vertrags­be­din­gungen von branden­bur­gischem Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen unwirksamUnangemessene Benachteilung der Kunden führt zur Unwirksamkeit der Vertrags­klauseln

Der Bundes­ge­richtshof hat ein branden­bur­gisches Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen zur Unterlassung der Verwendung von insgesamt fünf Klauseln in seinen Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen verurteilt.

Das beklagte Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen verwendet seit April 2007 für Grund­ver­sor­gungs­kunden neben der Gasgrund­ver­sor­gungs­ver­ordnung (GasGVV)* "Ergänzende Bedingungen … zur GasGVV" und für Sonderkunden "Besondere Bedingungen für die Belieferung von Haushalts- und Nicht-Haushaltskunden in Niederdruck außerhalb der Grundversorgung". Der klagende Verbrau­cher­schutz­verband verlangt die Unterlassung der Verwendung von insgesamt fünf darin enthaltenen Klauseln. Das Klauselwerk lautet auszugsweise wie folgt:

"A. Ergänzende Bedingungen zur GasGVV

Erläuterungen

IX. Einstellung der Versorgung

1. E. ist u. a. bei Nichterfüllung der Zahlungs­ver­pflichtung trotz Zahlungs­er­in­nerung gemäß § 19 Abs. 2 GasGVV berechtigt, die Gasversorgung vier Wochen nach Androhung einzustellen zu lassen [Klausel Nr. 1]. Die Wieder­in­be­triebnahme erfolgt in diesen Fällen regelmäßig erst dann, wenn die offenen Gaslie­fe­rungs­for­de­rungen und die Kosten der Versor­gungs­ein­stellung und der Wieder­in­be­triebnahme in voller Höhe beglichen wurden.

2. Eine in nicht unerheblichem Maße schuldhafte Zuwiderhandlung des Kunden gegen die GasGVV im Sinne von § 19 Abs. 1 GasGVV liegt vor, wenn der Kunde grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt [Klausel Nr. 2].

X. Preisänderungen

1. Änderungen der allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gemäß § 5 Abs. 2 GasGVV jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss [Klausel Nr. 3].

2. Im Falle einer Änderung nach Abs. 1 steht dem Kunden nach § 5 Abs. 3 GasGVV ein Sonder­kün­di­gungsrecht zu. Das Sonder­kün­di­gungsrecht muss innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Veröf­fent­lichung der Preisänderung gemäß § 5 Abs. 3 GasGVV ausgeübt werden. Ist der neue Lieferant nicht in der Lage, die Versorgung des Kunden unmittelbar nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung aufzunehmen, gelten die allgemeinen Preise bzw. Ergänzenden Bestimmungen dem Kunden gegenüber weiter. Dies gilt maximal für den Zeitraum, den der neue Lieferant ab dem Zeitpunkt des Vertrags­schlusses im Rahmen eines üblichen Wechsel­pro­zesses benötigt, um die Belieferung aufzunehmen. Als üblicher Zeitraum gelten maximal zwei Monate. Erfolgt nach Ablauf dieser Frist keine Versorgung durch den neuen Lieferanten, fällt der Kunde in die Ersatz­ver­sorgung [Klausel Nr. 4].

B. Besondere Bedingungen für die Belieferung von Haushalts- und Nicht-Haushaltskunden in Niederdruck außerhalb der Grundversorgung

IV. Preisänderungen und Sonder­kün­di­gungsrecht

1. Änderungen der Sonderpreise E. Klassik und E. Komfort werden entsprechend § 5 GasGVV jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss [Klausel Nr. 5]. Das Änderungsrecht der E. nach Satz 1 bezieht sich beim Sonderpreis Komfort auf beide Preis­be­standteile, d. h., sowohl auf den zugrunde liegenden E. Klassik-Preis als auch auf den Rabatt. Im Falle einer Preis- oder Rabattänderung steht dem Kunden entsprechend § 5 Abs. 3 GasGVV ein Sonder­kün­di­gungsrecht zu. Bezüglich der Voraussetzungen und Folgen einer solchen Kündigung wird auf Ziffer X. Absatz 2 der Ergänzenden Bedingungen zur GasGVV verwiesen.

…"

Vertrags­klauseln unwirksam

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme von Klausel Nr. 3 stattgegeben. Das Oberlan­des­gericht hat das erstin­sta­nzliche Urteil geändert und der Klage auch hinsichtlich Klausel Nr. 3, nicht aber hinsichtlich Klausel Nr. 4 stattgegeben. Auf die Revision des klagenden Verbandes hat der Bundes­ge­richtshof der Klage auch im Hinblick auf Klausel Nr. 4 stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte hingegen keinen Erfolg.

Sonderkunden werden unangemessen benachteiligt

Die für die Gasversorgung außerhalb der Grundversorgung geltende Preis­an­pas­sungs­klausel (Klausel Nr. 5) benachteiligt die Sonderkunden der Beklagten unangemessen. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs stellt zwar eine Preis­an­pas­sungs­klausel in einem Sonder­kun­den­vertrag, die das in § 5 der Gasgrund­ver­sor­gungs­ver­ordnung (GasGVV)* geregelte gesetzliche Preis­an­pas­sungsrecht unverändert übernimmt, keine unangemessene Benachteiligung dar (vgl. Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 15.07.2009 - VIII ZR 56/08 -). Hier handelt es sich aber nicht um eine inhaltlich mit § 5 GasGVV überein­stimmende Preis­an­pas­sungs­klausel. Denn die unveränderte Übernahme des gesetzlichen Preis­an­pas­sungs­rechts muss auch die in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten Mittei­lungs­pflichten des Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmens erfassen (u. a. briefliche Mitteilung der beabsichtigten Änderungen an den Kunden). Diese Pflichten sind auch gegenüber Sonderkunden von wesentlicher Bedeutung, weil auch diese ein Interesse daran haben, rechtzeitig und zuverlässig in einer Weise über Preisänderungen informiert zu werden, die gegebenenfalls einen zügigen Liefe­ran­ten­wechsel ermöglicht. In Klausel Nr. 5 wird aber nur der erste Satz von § 5 Abs. 2 GasGVV inhaltlich wiedergegeben. Deshalb ist nach der maßgeblichen kunden­feind­lichsten Auslegung davon auszugehen, dass die in Satz 2 der Vorschrift enthaltene Regelung über die Mittei­lungs­pflichten nicht gelten soll. Aus den gleichen Gründen ist Klausel Nr. 3, die für den Bereich der Grundversorgung gilt, wegen Verstoßes gegen die in diesem Bereich zwingende Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV unwirksam.

Regelungsgehalt der Vorschriften in ergänzenden Bedingungen nur unvollständig wiedergegeben

Der Bundes­ge­richtshof hat ferner entschieden, dass die Klauseln Nr. 1, 2, 3 und 4, die für die Belieferung von Grund­ver­sor­gungs­kunden und Ersatz­ver­sor­gungs­kunden gelten, zum Nachteil der Kunden von zwingenden Vorschriften der GasGVV abweichen. Darin liegt eine unangemessene Benachteiligung der Kunden, die zur Unwirksamkeit der Klauseln führt. Die Abweichung von den Vorschriften der GasGVV ergibt sich zum Teil daraus, dass deren Regelungsgehalt in den Ergänzenden Bedingungen der Beklagten nur unvollständig wiedergegeben wird. So beschränkt sich Klausel Nr. 1 auf die Wiedergabe von § 19 Abs. 2 Satz 1 GasGVV, nach der der Grundversorger insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungs­ver­pflichtung trotz Mahnung berechtigt ist, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen. Keine Erwähnung findet hingegen die einschränkende Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 2 GasGVV, nach der dies unter anderem dann nicht gilt, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen. Klausel Nr. 4 weicht von dem in § 5 Abs. 3 GasGVV gewährleisteten Schutz in der Übergangszeit bei einem Versor­ger­wechsel zum Nachteil des Kunden ab.

Im Hinblick auf die Befugnis zur Unterbrechung der Grundversorgung ohne vorherige Androhung gemäß § 19 Abs. 1 GasGVV (Klausel Nr. 2) hat der Bundes­ge­richtshof klargestellt, dass eine von der Regelung vorausgesetzte "in nicht unerheblichem Maße schuldhafte" Zuwiderhandlung des Kunden nicht immer und unwiderleglich dann vorliegt, wenn der Kunde vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt. Mit der Formulierung beschreibt die GasGVV nicht nur einen bestimmten Verschul­densgrad, sondern verlangt neben einem Verschulden des Kunden einen bestimmten Schweregrad der Zuwiderhandlung. Damit ist eine Unterbrechung der Grundversorgung ohne vorherige Androhung auch dann unzulässig, wenn es sich zwar um eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Zuwiderhandlung des Kunden handelt, diese aber – zum Beispiel im Hinblick auf ihre Auswirkungen für das Versor­gungs­un­ter­nehmen – objektiv unerheblich ist.

* Gasgrund­ver­sor­gungs­ver­ordnung (GasGVV)

§ 5 Art der Versorgung

(1) …

(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

(3) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gegenüber demjenigen Kunden nicht wirksam, der bei einer fristgemäßen Kündigung des Vertrages mit dem Grundversorger die Einleitung eines Wechsels des Versorgers durch entsprechenden Vertragsschluss innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung nachweist.

§ 19 Unterbrechung der Versorgung

(1) Der Grundversorger ist berechtigt, die Grundversorgung ohne vorherige Androhung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen, wenn der Kunde dieser Verordnung in nicht unerheblichem Maße schuldhaft zuwiderhandelt und die Unterbrechung erforderlich ist, um den Gebrauch von Gas unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Messein­rich­tungen zu verhindern.

(2) Bei anderen Zuwider­hand­lungen, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungs­ver­pflichtung trotz Mahnung, ist der Grundversorger berechtigt, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen und den zuständigen Netzbetreiber nach § 24 Abs. 3 der Nieder­druck­an­schluss­ver­ordnung mit der Unterbrechung der Grundversorgung zu beauftragen. Dies gilt nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Der Grundversorger kann mit der Mahnung zugleich die Unterbrechung der Grundversorgung androhen, sofern dies nicht außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung steht.

(3) Der Beginn der Unterbrechung der Grundversorgung ist dem Kunden drei Werktage im Voraus anzukündigen.

(4) Der Grundversorger hat die Grundversorgung unverzüglich wieder­her­stellen zu lassen, sobald die Gründe für ihre Unterbrechung entfallen sind und der Kunde die Kosten der Unterbrechung und Wieder­her­stellung der Belieferung ersetzt hat. Die Kosten können für strukturell vergleichbare Fälle pauschal berechnet werden; die pauschale Berechnung muss einfach nachvollziehbar sein. Die Pauschale darf die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Kosten nicht übersteigen. Auf Verlangen des Kunden ist die Berech­nungs­grundlage nachzuweisen. Der Nachweis geringerer Kosten ist dem Kunden zu gestatten.

Quelle: ra-online, BGH

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