21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen ausschnittsweise zwei FrauenKI generated picture

Dokument-Nr. 31759

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil06.04.2022

BGH trifft erste Entscheidung in Klageserie gegen Berliner Fernwärme­versorgungs­unternehmenÄnderungs­klauseln zu Arbeitspreis und Grundpreis bei Fernwärme trennbar

Der Bundes­ge­richtshof hat sich in einer Entscheidung mit verschiedenen Rechtsfragen zu Preisänderungs­klauseln in Fernwärme­lieferungs­verträgen befasst. Es handelt sich hierbei um das erste von zahlreichen beim Bundes­ge­richtshof anhängigen Verfahren, in denen Ansprüche gegen ein Energie­versorgungs­unternehmen geltend gemacht werden, welches in einem Berliner Wohngebiet über 700 Kunden mit Fernwärme beliefert. Auch am Land- und Kammergericht in Berlin werden in diesem Zusammenhang derzeit noch weitere Rechts­streitigkeiten geführt.

Die Beklagte beliefert die Kläger seit 2009 auf der Grundlage von Allgemeinen Versor­gungs­be­din­gungen im Sinne von § 1 Abs. 1 AVBFernwärmeV mit Fernwärme. Hiernach stellt die Beklagte ihren Kunden einen verbrauch­s­u­n­ab­hängigen Bereit­stel­lungspreis und einen verbrauchs­ab­hängigen Arbeitspreis in Rechnung, die sie nach Maßgabe im Vertrag vorgesehener Preis­än­de­rungs­klauseln jährlich anpasst.

Kunden verlangten nach KG-Urteil Rückerstattung überhöhter Wärmeentgelte

Im Januar 2019 entschied das Kammergericht in einem anderen gegen die Beklagte gerichteten Rechtsstreit, dass die auf den Arbeitspreis bezogene Preis­än­de­rungs­klausel den Trans­pa­ren­zan­for­de­rungen in § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV nicht genüge und damit sämtliche in den Allgemeinen Versor­gungs­be­din­gungen der Beklagten enthaltenen Anpas­sungs­klauseln - also auch die den Bereit­stel­lungspreis betreffende - nach § 139 BGB unwirksam seien. Unter Berufung auf dieses Urteil verlangten nachfolgend mehrere ihrer Kunden von der Beklagten die Rückerstattung überhöhter Wärmeentgelte. Ab Mai 2019 legte die Beklagte ihren Abrechnungen eine geänderte Preis­an­pas­sungs­formel zum Arbeitspreis zugrunde, welche sie zuvor öffentlich bekannt gegeben hatte.

Berufungs­gericht gibt Zahlungsklage nur teilweise statt

Auch vorliegend haben die Kläger von der Beklagten mit ihrer Klage die Rückerstattung in den Jahren 2015 bis 2018 vermeintlich überzahlter Arbeits- und Bereit­stel­lungs­preise in Höhe von 1.980,77 € nebst Zinsen, die Feststellung der Unwirksamkeit der (ursprünglichen) Preis­an­pas­sungs­klauseln sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur einseitigen Änderung der Preisanpassungsklausel nicht berechtigt gewesen sei. Das Berufungs­gericht ist allerdings davon ausgegangen, dass die Unwirksamkeit nach § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV nur die Änderungs­klausel zum Arbeitspreis, nicht aber auch diejenige zum Bereit­stel­lungspreis erfasse, und hat der Zahlungsklage deshalb lediglich in Höhe von 4,66 € stattgegeben. Überdies hat es festgestellt, dass die Beklagte zur einseitigen Anpassung der Preis­än­de­rungs­be­stimmung zum Arbeitspreis ab Mai 2019 nicht berechtigt gewesen sei; eine solche Änderung sei nur mit Zustimmung des jeweiligen Kunden möglich.

Unwirksamkeit einer dieser Preis­än­de­rungs­klauseln führt nicht zugleich zur Unwirksamkeit der anderen Anpas­sungs­klausel

Die Revisi­ons­zu­lassung hat das Berufungs­gericht zulässigerweise auf die Fragen der Wirksamkeit der Preis­än­de­rungs­klausel zum Bereit­stel­lungspreis und der Berechtigung der Beklagten zur einseitigen Anpassung der Preis­än­de­rungs­klausel zum Arbeitspreis beschränkt. Beide Parteien haben gegen das Urteil Revision eingelegt. Der Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dass es sich bei in Allgemeinen Versor­gungs­be­din­gungen enthaltenen Preis­än­de­rungs­klauseln zum Arbeitspreis einerseits und zum Bereitstellungs- beziehungsweise Grundpreis andererseits im Regelfall und auch vorliegend um inhaltlich voneinander trennbare Vertrags­klauseln handelt, die jeweils Gegenstand einer gesonderten Wirksam­keits­prüfung nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV sind. Nach Maßgabe des § 306 Abs. 1 BGB (als der bei Formu­l­a­r­be­stim­mungen gegenüber § 139 BGB vorrangigen Bestimmung) führt deshalb die Unwirksamkeit einer dieser Preis­än­de­rungs­klauseln nicht zugleich zur Unwirksamkeit der anderen Anpas­sungs­klausel. Da die von der Beklagten in ihren Vertrags­be­din­gungen vorgesehene Preis­än­de­rungs­klausel zum Bereit­stel­lungspreis als solche den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entspricht, können die Kläger mithin vorliegend keine Rückzahlung des insoweit geleisteten Wärmeentgelts verlangen. Ihre hierauf gerichtete Revision blieb deshalb ohne Erfolg.

Befugnis zur Anpassung der für unwirksam befundenen Preis­än­de­rungs­klausel zum Arbeitspreis darf nicht allgemein verneint werden

Keinen Bestand konnte des Berufungsurteil hingegen haben, soweit hierin eine Befugnis der Beklagten zur Anpassung der für unwirksam befundenen Preis­än­de­rungs­klausel zum Arbeitspreis allgemein verneint worden war. Vielmehr sind Fernwär­me­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen im Fall einer unwirksamen Preis­än­de­rungs­klausel gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBFernwärmeV in Verbindung mit § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV grundsätzlich berechtigt und gegebenenfalls sogar verpflichtet, diese auch während eines laufenden Versor­gungs­ver­hält­nisses mit Wirkung für die Zukunft einseitig an die Angemessenheits- und Trans­pa­ren­zan­for­de­rungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV anzupassen. Denn nur so kann für die typischerweise langfristig angelegten Wärme­ver­sor­gungs­ver­hältnisse durchgängig eine kosten- und markto­ri­en­tierte Preisbemessung und damit ein angemessener Ausgleich der Interessen von Versorger und Kunden gewährleistet werden. Dies hatte der Senat grundlegend bereits mit Urteil vom 26. Januar 2022 (VIII ZR175/19), entschieden. Davon ausgehend bedarf es vorliegend zunächst weiterer Feststellungen dazu, ob die von der Beklagten ab Mai 2019 verwendete Änderungs­klausel nunmehr den Vorgaben des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entspricht. Auf die Revision der Beklagten war das Berufungsurteil deshalb insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurück­zu­ver­weisen.

Weitere Rechtsfragen werden zeitnah in kommenden Entscheidungen behandelt werden

Weitere Rechtsfragen (etwa zur Wirksamkeit der ursprünglichen Anpas­sungs­klausel zum Arbeitspreis oder zur Anwendung der sogenannten Dreijah­res­lösung), die vorliegend aufgrund der beschränkten Revisi­ons­zu­lassung beziehungsweise aufgrund mangelnder Entschei­dungs­er­heb­lichkeit nicht zu beantworten waren, wird der Senat voraussichtlich zeitnah in kommenden Entscheidungen zu dieser Klageserie behandeln.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil31759

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI