18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen ausschnittsweise zwei FrauenKI generated picture

Dokument-Nr. 32367

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.11.2022

Pfandleiher "Pfando" - BGH zur Frage des Vorliegens eines verbotenen beziehungsweise wucherähnlichen Rechtsgeschäfts bei einem kombinierten Kauf- und Mietvertrag im Rahmen eines sogenannten "sale and rent back"Verstoß gegen die Gewerbeordnung liegt nicht vor

Der Bundes­ge­richtshof hat über die Frage entschieden, ob ein nach § 34 Abs. 4 GewO i.V.m. § 134 BGB verbotenes Rückkaufs­ge­schäft beziehungsweise ein wucherähnliches Geschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) vorliegt, wenn ein staatlich zugelassener Pfandleiher gewerblich Kraftfahrzeuge ankauft, diese an den Verkäufer zurückvermietet und nach dem Ende der vertraglich festgelegten Mietzeit durch öffentliche Versteigerung, an der der Verkäufer teilnehmen kann, verwertet.

Die Beklage betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Im Rahmen ihrer Geschäft­s­tä­tigkeit kauft sie Kraftfahrzeuge an und vermietet diese unmittelbar an die Verkäufer zurück ("sale and rent back"). Am Ende des Mietver­hält­nisses gibt sie die Kraftfahrzeuge zur öffentlichen Versteigerung. In allen vier Verfahren veräußerten die Kläger (Kunden) der Beklagten ihr Kraftfahrzeug. Nach den vertraglichen Vereinbarungen soll das betroffene Kraftfahrzeug nach dem Ende der jeweils für 6 Monate vereinbarten Mietzeit im Wege der öffentlichen Versteigerung, an der die jeweiligen Kläger und auch die Beklagte teilnehmen dürfen, durch die Beklagte verwertet werden. Der vertraglich vereinbarte Aufrufpreis setzt sich jeweils aus dem Ankaufspreis zuzüglich verschiedener weiterer Positionen, wie ausstehender Mieten, nicht ersetzter Schäden und den Kosten der Versteigerung zusammen. Ein in der Versteigerung erzielter Mehrerlös soll den Klägern nach dem Mietvertrag dann nicht zufließen, wenn sie das Kraftfahrzeug selbst erfolgreich im Wege der Versteigerung erwerben.

Berufungs­ge­richte: Kauf- und Mietvertrag stellen ein gemäß § 34 Abs. 4 GewO verbotenes Rückkaufs­ge­schäft dar

In allen vier Verfahren haben die Berufungs­ge­richte angenommen, dass nach einer Gesamt­be­trachtung von Kauf- und Mietvertrag ein gemäß § 34 Abs. 4 GewO verbotenes Rückkaufs­ge­schäft gegeben sei. Der Verstoß gegen § 34 Abs. 4 GewO führe gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge. In drei der Verfahren (VIII ZR 221/21, VIII ZR 290/21, VIII ZR 436/21) sind die Berufungs­ge­richte ferner davon ausgegangen, dass sich die Nichtigkeit auch auf die jeweilige Übertragung des Eigentums an dem Kraftfahrzeug erstrecke. In einem Verfahren (VIII ZR 436/21) hat das Berufungs­gericht zusätzlich eine Nichtigkeit des Kauf- und Mietvertrags sowie der Übereignung des Kraftfahrzeugs wegen Vorliegens eines wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) angenommen. Im Verfahren VIII ZR 221/21 verkaufte die Klägerin ihr Kraftfahrzeug vom Typ Smart Fortwo MHD am 13. August 2018 für 1.500 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Marktwert von 4.500 €. Nach Unterzeichnung der Verträge erhielt die Beklagte von der Klägerin den Zweitschlüssel und die Zulas­sungs­be­schei­nigung Teil II. Der Klägerin wurde von der Beklagten ein Barscheck über 1.500 € ausgehändigt. Diesen löste sie jedoch nicht ein und zahlte an die Beklagte auch keine Miete. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Klägerin Eigentümerin des Kraftfahrzeugs geblieben sei, und hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Zulas­sungs­be­schei­nigung Teil II und den Zweitschlüssel herauszugeben. Ferner hat es festgestellt, dass der Beklagten aus dem Mietvertrag keine Ansprüche gegen die Klägerin zustünden. Das Berufungs­gericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 116/20) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

BGH: Kein Verstoß gegen Verbot des Rückkaufs­handels

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass zwar kein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 4 GewO normierte Verbot des Rückkaufs­handels vorliegt und die geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge daher nicht gemäß § 134 BGB nichtig sind. Jedoch kann ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) - mit der Folge der Nichtigkeit der Verträge - vorliegen. Hierauf wurde die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz sowie zur Rückzahlung vom Kläger geleisteter Miete in einem Fall (auch) gestützt (VIII ZR 436/21); diese Verurteilung der Beklagten hat Bestand. In den weiteren Fällen wurde das allein auf das Vorliegen eines verbotenen Rückkaufs­handels nach § 34 Abs. 4 GewO gestützte Urteil des Berufungs­ge­richts jeweils aufgehoben, damit dieses die - auch dort - seitens der Kläger aufgeworfene Frage des Vorliegens eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts sowie einer wirksamen Anfechtung der Verträge wegen arglistiger Täuschung der Kunden im weiteren Prozessverlauf klären kann. Das von der Beklagten vorgegebene Vertragsmodell des (gewerblichen) Ankaufs von Kraftfahrzeugen unter anschließender Vermietung an die Kläger (Verkäufer) und späterer Verwertung durch öffentliche Versteigerung unterfällt nicht dem in § 34 Abs. 4 GewO normierten Verbot des Rückkaufs­handels. Denn den Klägern wird, anders als es die Vorschrift verlangt, ein Rückkaufsrecht nicht eingeräumt. Um ein solches anzunehmen, genügt nicht allein die Wahl einer Vertrags­ge­staltung, mit der Pfand­leih­vor­schriften umgangen werden. Es bedarf vielmehr der Vereinbarung eines Rechts des Verkäufers (Kunden) zum Rückerwerb der Sache. Dies kann auch in Form eines Rücktritts­rechts des Kunden geschehen, da dieser es dann, vergleichbar einem Rückkaufsrecht, in der Hand hat, durch eine eigene Willen­s­er­klärung den Rückerwerb der Sache zumindest mittelbar zu vorab festgelegten Voraussetzungen - insbesondere zur Höhe des (zurück) zu zahlenden Kaufpreises - herbeizuführen. Ein solches Recht wurde den Klägern vorliegend nicht eingeräumt. Sie haben lediglich faktisch die Möglichkeit, das zuvor an die Beklagte veräußerte Fahrzeug im Wege der Teilnahme an der öffentlichen Versteigerung durch Zuschlag wieder zurück zu erwerben. Bei einer am Wortsinn der Vorschrift orientierten Auslegung, welche auch die sich aus der historischen Entwicklung der Norm ergebende Zielsetzung des Gesetzgebers zu berücksichtigen hat, liegt in einem solchen Fall ein verbotener Rückkaufshandel nicht vor. Einer über diesen Wortsinn hinausgehenden Auslegung der Vorschrift des § 34 Abs. 4 GewO oder (gar) deren analoger Anwendung steht vorliegend das sich aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG folgende Bestimmtheits- und Analogieverbot entgegen. Denn ein Verstoß gegen die Verbotsnorm des § 34 Abs. 4 GewO ist nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 GewO bußgeldbewehrt. Solche Normen dürfen, in gleicher Weise wie Straf­tat­be­stände, nicht über ihren Wortsinn hinausgehend ausgelegt und auch nicht analog angewandt werden. Dem Verbot einer analogen Anwendung steht vorliegend nicht entgegen, dass es nicht um die Verhängung eines Bußgelds, sondern um die Beurteilung der Nichtigkeit (§ 134 BGB) zivil­recht­licher Verträge geht. Denn der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet es, dass ein objektiv gleiches Verhalten nicht einerseits zivilrechtliche Folgen nach sich zieht, andererseits aber eine - grundsätzlich vorgesehene - Verhängung eines Bußgelds aufgrund des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) ausscheiden muss.

BGH bejaht Vorliegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts

Die Beurteilung des Berufungs­ge­richts im Fall VIII ZR 436/21, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) vorliegt, so dass der Kauf- und Mietvertrag sowie die sich anschließende Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte nichtig sind, hatte dagegen Bestand. Der Bundes­ge­richtshof bestätigte die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz - in Höhe des Wieder­be­schaf­fungswerts des von ihr versteigerten Fahrzeugs (16.000 €) - und zur Rückzahlung der erhaltenen Mieten sowie der Bearbei­tungs­gebühr (insgesamt 4.554 €), gekürzt um den vom Kläger selbst in Abzug gebrachten Kaufpreis (5.000 €). Aufgrund des besonders groben Missver­hält­nisses zwischen dem an den Kläger gezahlten Kaufpreis (5.000 €) und dem zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags bestehenden Händle­rein­kaufswerts (13.700 €) wird eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vermutet. Die angesichts dieser Umstände gegen die Beklagte sprechende tatsächliche Vermutung, dass sie bewusst oder grob fahrlässig einen den Kläger in dessen Entschei­dungs­freiheit beein­träch­ti­genden Umstand zu ihren Gunsten ausgenutzt hat, ist nicht widerlegt. Im Gegenteil sprechen weitere vertragliche Vereinbarung für eine Übervorteilung des Klägers. Denn dieser zahlte für die Nutzung seines ehemaligen Fahrzeugs eine monatliche Miete in Höhe von 495 € und musste zusätzlich sämtliche Unter­hal­tungs­kosten (Versicherung, Steuern, Wartung, Reparatur) tragen. Die Miete stellt nicht allein die Gegenleistung für die Nutzungs­über­lassung des Fahrzeugs, sondern der Sache nach auch eine "Vergütung" für die Überlassung des dem Kläger durch die Kaufpreis­zahlung zur Verfügung gestellten Kapitals dar. Denn in der vereinbarten Mietzeit von sechs Monaten hatte der Kläger bereits etwa 59 % des von ihm zuvor erhaltenen Kaufpreises als Miete aufzuwenden. Einen Mehrerlös nach der - nach Ablauf der Mietzeit erfolgten - Versteigerung erhält der Kläger nur, wenn das Fahrzeug durch einen Dritten ersteigert wird. Demgegenüber stellt die Beklagte durch die Festlegung der Höhe des Aufrufpreises sicher, dass ihr sowohl der an den Kläger gezahlte Kaufpreis als auch sämtliche Unkosten wieder erstattet werden. Da der Kläger, wenn er das Fahrzeug nach Ablauf der Mietzeit wieder (zurück-)erwerben möchte, zumindest den erhaltenen Kaufpreis an die Beklagte (zurück-)zahlen müsste, trägt er auch den während der Mietzeit eingetretenen Wertverlust des Fahrzeugs.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil32367

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI