23.11.2024
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Dokument-Nr. 7593

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Beschluss18.03.2009BundesgerichtshofVIII ZR 149/08
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Aachen, Urteil22.11.2007, 80 C 124/07
  • Landgericht Aachen, Urteil16.05.2008, 5 S 233/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss18.03.2009

Europäischer Gerichtshof muss Widerrufsrecht für Strom- und Gasverträge prüfenVorla­ge­be­schluss des Bundes­ge­richtshofs an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Richtlinie 97/7/EG (Fernab­satz­richtlinie)

Der Bundes­ge­richtshof stellt sich die Frage, ob die erleichterte Wider­rufs­mög­lichkeit für Bestellungen, die per Telefon oder Internet abgeschlossen werden (Fernab­satz­verträge), auch für Verträge mit Energie­ver­sorgern gelten kann. Diesbezüglich hat wegen der Auslegungen der Europäischen Fernab­satz­richtlinie den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen und ihm eine entsprechende Frage vorgelegt.

Der Kläger unterzeichnete am 20. Januar 2007 einen von der Beklagten, einem Strom- und Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen, gestellten Formularvertrag "Vertrags­ver­ein­barung KombiSTA Strom & Gas", nach der die Beklagte den Kläger ab dem 1. März 2007 für die Dauer von mindestens einem Jahr mit Strom und Gas beliefern sollte. Mit Schreiben vom 27. Januar 2007 widerrief der Kläger seine auf Abschluss des Vertrages gerichtete Willen­s­er­klärung vom 20. Januar 2007.

Kläger will den Vertrag wirksam widerrufen haben

Mit der Klage hat der Kläger unter anderem die Feststellung begehrt, dass er seine auf Abschluss der Vertrags­ver­ein­barung KombiSTA Strom & Gas gerichtete Willen­s­er­klärung wirksam widerrufen hat. Er macht geltend, dass ihm das für Fernabsatzverträge geltende Widerrufsrecht zustehe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, ein Widerrufsrecht sei gemäß § 312 d Abs. 4 Nr. 1 BGB ausgeschlossen, weil Strom und Gas zur Rücksendung nicht geeignet seien.

BGH ruft EuGH an

Der VIII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG die Frage zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt, ob die Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 Spiegelstrich 3 Fall 3 der Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbrau­cher­schutz bei Vertrags­ab­sch­lüssen im Fernabsatz (Fernab­satz­richtlinie) dahin auszulegen ist, dass ein Widerrufsrecht nicht besteht bei Vertrags­ab­sch­lüssen im Fernabsatz über die leitungs­ge­bundene Lieferung von Strom und Gas.

Vereinbarter Vertrag stellt einen Fernab­satz­vertrag dar

Bei der Vertrags­ver­ein­barung KombiSTA Strom & Gas handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag über Waren. Nach deutschem Recht (§ 312 d Abs. 1 Satz 1 BGB) steht dem Kläger folglich ein Widerrufsrecht zu, wenn es nicht durch § 312 d Abs. 4 Nr. 1 Fall 3 BGB ausgeschlossen ist. Das ist nach nationalem Recht unklar. Nach Auffassung des Senats spricht zwar der Wortlaut der Vorschrift dafür, dass bei der leitungs­ge­bundenen Lieferung von Strom und Gas, die zum sofortigen Verbrauch durch den Kunden bestimmt sind, ein Widerrufsrecht nicht besteht, weil eine Rücksendung der Ware durch den Verbraucher ausscheidet. Nach der Geset­zes­be­gründung soll die Bestimmung jedoch weniger den Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit der Rücksendung erfassen, als vielmehr Fälle, in denen ein Widerrufsrecht und die Rücksendung der Ware für den Unternehmer – ebenso wie in anderen in § 312 d Abs. 4 BGB geregelten Fällen – unzumutbar sind. Unzumutbar ist der Widerruf bei Waren, die wie Strom und Gas zum Verbrauch durch den Kunden bestimmt und im Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufs bereits verbraucht sind, für den Unternehmer nicht. Denn an die Stelle der Verpflichtung zur Rückgewähr der Ware tritt in diesen Fällen gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB eine Werter­satz­pflicht des Verbrauchers. Daraus wird im Schrifttum gefolgert, dass der Verbrauch der Ware für das Bestehen und die Ausübung des Widerrufsrechts ohne Bedeutung ist. Danach könnte ein Widerrufsrecht auch bei der leitungs­ge­bundenen Lieferung von Strom und Gas anzunehmen sein.

Sind Strom- und Gasverträge vom Widerrufsrecht ausgeschlossen?

Da der nationale Gesetzgeber mit § 312 d Abs. 4 Nr. 1 Fall 3 BGB bewusst den Ausnah­me­tat­bestand des Art. 6 Abs. 3 Spiegelstrich 3 Fall 3 der Fernabsatzrichtlinie wörtlich übernommen hat, hängt die Auslegung von § 312 d Abs. 4 Nr. 1 Fall 3 BGB nach der Ansicht des Senats davon ab, ob Art. 6 Abs. 3 Spiegelstrich 3 Fall 3 der Fernab­satz­richtlinie mit dem Ausschluss des Widerrufsrechts bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind, auch Strom- und Gaslie­fe­rungs­verträge erfasst.

BGH: Systematische Erwägungen sprechen für einen Ausschluss des Widerrufsrechts

Neben dem Wortlaut der Regelung deuten systematische Erwägungen darauf hin, dass dies der Fall ist. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 der Fernab­satz­richtlinie sind die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Damit könnte eine Werter­satz­pflicht, wie sie nach deutschem Recht im Fall des Verbrauchs der Ware besteht, unvereinbar sein. Da aber ohne eine solche der Widerruf für den Unternehmer unzumutbar wäre, könnte Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 der Fernab­satz­richtlinie dafür sprechen, dass bei zum Verbrauch bestimmten und tatsächlich verbrauchten Waren – und damit auch bei der leitungs­ge­bundenen Lieferung von Strom und Gas – das Widerrufsrecht gemäß Art. 6 Abs. 3 Spiegelstrich 3 Fall 3 der Fernab­satz­richtlinie ausgeschlossen ist.

BGH zum Sinn und Zweck des Widerrufsrechts

Andererseits besteht der Sinn und Zweck des Widerrufsrechts darin, dem Verbraucher nach der Lieferung der Ware ein Recht zur Lösung vom Vertrag zu geben, weil er vorher keine Möglichkeit hat, das Erzeugnis zu sehen. Das gilt auch bei Waren, die zum Verbrauch bestimmt sind. Im Hinblick darauf könnte Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 der Fernab­satz­richtlinie möglicherweise auch dahin auszulegen sein, dass die Regelung nur Kosten im Zusammenhang mit der tatsächlichen Rücksendung der Ware betrifft, aber einem Werter­satz­an­spruch – und deshalb auch einem Widerrufsrecht – bei verbrauchten Waren nicht entgegensteht. Damit würde der Sinn und Zweck des Widerrufsrechts optimal verwirklicht, insbesondere wenn der Vertrag – wie in dem zu entscheidenden Fall – auf die wiederkehrende Lieferung gleichartiger Waren gerichtet ist und die Werter­satz­pflicht nur für eine Teillieferung eingreift.

Europäischer Gerichtshof soll entscheiden

Da sich nach alledem nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lässt, wie Art. 6 Abs. 3 Spiegelstrich 3 Fall 3 der Fernab­satz­richtlinie im Hinblick auf Strom- und Gaslie­fe­rungs­verträge auszulegen ist, ist die Antwort auf die Vorlagefrage der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 59/2009 des BGH vom 18.03.2009

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