18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 29971

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Bundesgerichtshof Beschluss09.03.2021

BGH: Kein Anspruch auf Schadensersatz für Software-Update im DieselskandalErhöhter Kraft­stoff­ver­brauch und Verschleiß begründen keine Arglist

Der BGH hat sich erstmals zu der Frage geäußert, ob dem Käufer eines mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestatteten Gebrauchtwagens, der sein Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft hat, Schadens­ersatz­ansprüche gegen die Volkswagen AG zustehen, weil in dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstands­erkennungs­software entwickelten Software-Update nach der Behauptung des Käufers ein "Thermofenster" implementiert ist und das Update negative Auswirkungen auf den Kraft­stoff­ver­brauch und den Verschleiß hat. Der BGH hat in diesem Fall Schadens­ersatz­ansprüche verneint.

Der Kläger erwarb am 16. September 2016 einen gebrauchten VW Tiguan 2. TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stick­o­xid­grenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Vor dem Erwerb des Fahrzeugs hatte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregel­mä­ßig­keiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstands­werten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe.

Nach Software-Update: Kläger hält "Thermofenster" ebenfalls für unzulässige Abschalt­vor­richtung

Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalt­ein­richtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschrifts­mä­ßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wieder­her­zu­stellen. In der Folge stellte die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Der Kläger behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschalt­vor­richtung in Form eines "Thermofensters" implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraft­stoff­ver­brauch und den Verschleiß des Fahrzeugs. Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungs­ent­schä­digung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Nachdem die Klage in den Instanzen erfolglos war, legte er Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein.

BGH: Kein Anspruch auf Schadensersatz

Der BGH hat die Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde des Klägers zurückgewiesen. Das Berufungs­gericht hat einen Schaden­s­er­satz­an­spruch aus §§ 826, 31 BGB zu Recht verneint, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen ist. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20, Rn. 30 ff.) entschieden hat, ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schaden­s­ur­sächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich ausein­an­der­fallen und der Schädiger sein Verhalten zwischen­zeitlich nach außen erkennbar geändert hat.

Vorwurf der Sitten­wid­rigkeit nicht mehr gerechtfertigt

Durch die vom Berufungs­gericht festgestellte Verhal­ten­s­än­derung der Beklagten wurden wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sitten­wid­rigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies gilt auch, wenn die Behauptung des Klägers als zutreffend zugrunde gelegt wird, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschalt­vor­richtung in Form eines Thermofensters implementiert worden, die die Abgas­rü­ck­führung bei Außen­tem­pe­raturen unter 15 und über 33 Grad Celsius deutlich reduziere.

Thermofensters ist nicht mit Verwendung der Prüfstand­ser­ken­nungs­software vergleichbar

Der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß reicht in der gebotenen Gesamt­be­trachtung nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters ist nicht mit der Verwendung der Prüfstand­ser­ken­nungs­software zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typge­neh­mi­gungs­behörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeu­g­er­werber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer tempe­ra­tu­r­ab­hängigen Steuerung des Emissi­ons­kon­troll­systems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstands­betrieb eine verstärkte Abgas­rü­ck­führung aktiviert und der Stick­o­xid­ausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Besondere Verwerflichkeit nicht feststellbar

Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der tempe­ra­tu­r­ab­hängigen Steuerung des Emissi­ons­kon­troll­systems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalt­ein­richtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Anhaltspunkte hierfür waren aber nicht dargetan.

Negative Auswirkungen auf Kraft­stoff­ver­brauch und Verschleiß begründen kein arglistige Täuschung

Es war insbesondere nicht dargetan, dass die Beklagte das KBA im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates arglistig getäuscht haben könnte. Eine abweichende Beurteilung war auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten entwickelte Software-Update nach der - unterstellten - Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraft­stoff­ver­brauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Dieser Umstand führt in der gebotenen Gesamt­be­trachtung nicht dazu, dass das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu werten wäre.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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