21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Bundesgerichtshof Urteil16.11.1971

Sturz in Straßenbahn: Fahrgäste müssen sich stets festen Halt suchen oder Platz nehmenKein Anspruch auf Schadenersatz wegen Sturzes nach ruckartigem Anfahren

Einem Fahrgast steht kein Anspruch auf Schadenersatz zu, wenn er aufgrund des ruckartigen Anfahrens der Straßenbahn fällt und sich verletzt. Denn grundsätzlich muss sich jeder Fahrgast selbst sicheren Halt verschaffen. Einem Straßen­bahn­führer treffen keine diesbezüglichen Sorgfalts­pflichten. Dies gilt auch, wenn ein armamputierter Fahrgast eingestiegen ist. Das hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Februar 1966 stürzte ein etwa 71-jähriger Fahrgast aufgrund des ruckartigen Anfahrens der Straßenbahn und verletzte sich dabei erheblich. Der Fahrgast machte dafür den Straßen­bahn­führer verantwortlich. Dieser hätte warten müssen, bis er einen Platz oder zumindest einen sicheren Halt gefunden hätte. Dies habe umso mehr gegolten, da er rechtsseitig armamputiert war und er dem Straßenbahnfahrer seinen Schwer­be­schä­dig­te­n­ausweis vorgezeigt hatte. Der Straßen­bahn­führer entgegnete dem, dass der Fahrgast nach dem Einsteigen zehn Sekunden Zeit gehabt habe einen Sitz oder sicheren Halt zu finden, bevor er losfuhr. Zudem müsse er nicht dafür Sorge tragen, dass alle Fahrgäste sicher sitzen oder stehen. Der Fall kam schließlich vor Gericht.

Kein Anspruch auf Schadenersatz

Der Bundes­ge­richtshof entschied gegen den Fahrgast. Diesem habe kein Anspruch auf Schadenersatz zugestanden. Denn dem Straßen­bahn­führer sei keine Verletzung der Sorgfaltspflichten anzulasten.

Kein Schuldvorwurf wegen ruckartigem Anfahren

Dem Straßen­bahn­führer sei nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs nicht deswegen ein Schuldvorwurf zu machen, weil er ruckartig losgefahren ist. Denn selbst beim normalen Anfahren einer Straßenbahn könnten ruckartige Bewegungen auftreten. Dies liege in der Natur des Straßen­bahn­be­triebs. Mit ruckartigen Bewegungen müsse jeder Fahrgast rechnen.

Keine Pflicht zur Überprüfung der Standsicherheit der Fahrgäste

Der Bundes­ge­richtshof hielt es zudem für nicht erforderlich, dass der Straßen­bahn­führer überprüft, ob alle Fahrgäste einen Sitzplatz oder einen sicheren Halt gefunden haben. Vielmehr müsse dafür jeder Fahrgast selbst sorgen. Ein Fahrgast könne nicht damit rechnen, dass der Straßen­bahn­führer sich um ihn kümmert. Denn dieser sei in der Regel mit dem Kassieren des Fahrgelds und der Beobachtung der äußeren Fahrtsignale beschäftigt.

Behinderung des Fahrgastes begründete keine Sorgfalts­pflichten

Eine besondere Sorgfalts­pflicht könne zwar in Ausnahmefällen angenommen werden, so der Bundes­ge­richtshof. So etwa, wenn der Fahrgast gehbehindert oder blind sei. Ein solcher Ausnahmefall habe hier aber nicht vorgelegen. Der Fahrgast habe trotz seiner Behinderung ohne Hilfe in die Straßenbahn einsteigen können. Darüber hinaus sei er von seiner Ehefrau begleitet worden. Der Bundes­ge­richtshof war daher davon überzeugt, dass sich der Fahrgast trotz seines fehlenden Arms innerhalb von zehn Sekunden einen sicheren Platz oder Halt habe verschaffen können.

Erläuterungen

Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1971 und erscheint im Rahmen der Reihe "Wissenswerte Urteile".

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (zt/VersR 1972, 152/rb)

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