Bundesgerichtshof Urteil18.11.1980
Festnahmerecht des § 127 Abs. 1 StPO setzt nicht Vorhandensein einer tatsächlichen Straftat vorausEin aus den Umständen ergebender dringender Tatverdacht genügt
Wer von dem Festnahmerecht des § 127 StPO Gebrauch machen will, muss jemanden auf frischer Tat ertappen. Dies setzt nicht voraus, dass tatsächlich eine Straftat begangen wurde. Vielmehr genügt ein aus den Umständen ergebender dringender Tatverdacht. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Um die Diebstähle seines Leerguts zu unterbinden, legte sich der Leiter einer Brauerei-Niederlassung an einen Abend im Januar 1975 mit einer geladenen Pistole auf die Lauer. Tatsächlich näherte sich auch eine Person dem Brauerei-Gelände. Als sich diese Nahe an dem das Grundstück umschließenden und an mehreren Stellen beschädigten Zaunes befand, zeigte sich der Brauereileiter und forderte die Person auf stehen zu bleiben. Die Person lief jedoch weg. Im Zuge der Verfolgung gab der Brauereileiter mehrere Warnschüsse ab. Da die Person dennoch nicht stehen blieb, schoss der Brauereileiter dieser in den Rücken. Die Person erlitt aufgrund des Schusses eine Querschnittslähmung und klagte deswegen auf Schadenersatz. Der Schütze wehrte sich gegen die Inanspruchnahme mit der Begründung, ihm habe ein Festnahme- bzw. Verfolgungsrecht zugestanden und er habe in Notwehr gehandelt. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Nunmehr musste sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall beschäftigen.
Brauereileiter stand Verfolgungsrecht zu
Der Bundesgerichtshof entschied zunächst, dass dem Brauereileiter ein Festnahme- bzw. Verfolgungsrecht nach § 127 Abs. 1 StPO zugestanden habe. Denn dieser habe den Kläger auf frischer Tat im Sinne der Vorschrift betroffen. Im Rahmen des Festnahme- und Verfolgungsrechts komme es maßgeblich darauf an, ob der Festnehmende bzw. Verfolgende die sich ihm darbietenden Umstände zumindest als Versuch einer Straftat werten darf. Daher sei eine Festnahme bzw. Verfolgung nach § 127 Abs. 1 StPO gerechtfertigt, wenn die erkennbaren äußeren Umstände einen dringenden Tatverdacht vermitteln. Dies sei hier der Fall gewesen.
Bestehen eines Notwehrechts war zweifelhaft
Da dem Bundesgerichtshof das Bestehen eines Notwehrechts des Brauereileiters jedoch als zweifelhaft erschien und das Berufungsgericht dazu keine ausreichenden Erwägungen getroffen hatte, hoben die Bundesrichter das Berufungsurteil auf und wiesen die Sache zur Neunentscheidung zurück.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 13.11.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)