15.11.2024
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Sie sehen eine Figur, die einen Mann darstellt, der mit einem Fernglas in der Hecke sitzt.

Dokument-Nr. 11095

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Urteil05.02.1993BundesgerichtshofV ZR 62/91
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BGHZ 121, 248Sammlung: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ), Band: 121, Seite: 248
  • FamRZ 1993, 939Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 1993, Seite: 939
  • MDR 1993, 541Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1993, Seite: 541
  • NJW 1993, 1656Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1993, Seite: 1656
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil05.02.1993

Auch in reinem Wohngebiet ist Lärm von Kindern und Jugendlichen in höherem Maße als generell hinzunehmenInteresse der Allgemeinheit an kinder- und jugend­freund­lichen Umgebung ist bei Inter­es­se­n­ab­wägung zu berücksichtigen

Die am Stadtrand wohnende Eigentümerin eines Grundstücks, das an einen Jugendzeltplatz angrenzt, muss die von diesem ausgehenden Lärmbe­ein­träch­ti­gungen hinnehmen. Sie hat keinen Anspruch gegen die Betreiberin des Zeltplatzes auf Unterlassung des Betriebs oder Vornahme von Maßnahmen zur Vermeidung von Geräu­schim­mis­sionen. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof in letzter Instanz.

Die Klägerin bewohnte ein Grundstück im landwirt­schaftlich genutzten Außenbereich. Die Beklagte betrieb einen Jugendzeltplatz etwa 50 Meter entfernt. Zu dem Zeltplatz gehörten u.a. eine Spielwiese, eine als Aufenthaltsraum genutzte Blockhütte, ein Grillplatz sowie mehrere Rundzelte aus Holz. Der Zeltplatz wurde jeweils in der Zeit von März bis Oktober genutzt, wobei die Durch­schnitts­gruppe aus 30 Personen bestand.

Verfahrensgang

Die Klägerin hatte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Betrieb und die Vermietung des Platzes zu unterlassen. Die Klage wurde in 1. Instanz vor dem Landgericht Koblenz zurückgewiesen. In der Berufung vor dem Oberlan­des­gericht Koblenz wurde dem Hilfsantrag stattgegeben und die Beklagte verurteilt, geeignete Maßnahmen vorzunehmen, die gewährleisten, dass von dem Platz nachts zwischen 22 Uhr und 6 Uhr keine höheren Beurtei­lungspegel als 35 Dezibel und tagsüber keine höheren Pegel als 50 Dezibel ausgehen. Der Bundes­ge­richtshof hob diese Entscheidung in der Revision auf.

Gründ­s­tücks­ei­gentümer am Rand zum Außenbereich müssen höhere Belästigungen hinnehmen als in anderen Wohnlagen

Zunächst stellte das Gericht klar, dass es sich bei dem Gebiet, auf dem sich das Grundstück der Klägerin befand, um ein reines Wohngebiet handele. Wenn ein Bebauungsplan fehle, ergebe sich der Gebiets­cha­rakter aus der tatsächlichen baulichen Nutzung, die hier einem reinen Wohngebiet entspreche. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass das Grundstück der Klägerin in einer Randlage zum Außenbereich liege. Dort könne der Eigentümer nicht damit rechnen, dass in seiner Nachbarschaft eine reine Wohnnutzung stattfinde. Er dürfe lediglich darauf vertrauen, dass keine Nutzung entstehe, die mit der Wohnnutzung nicht mehr verträglich sei.

Gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme

In den Bereichen, in denen Gebiete von unter­schied­licher Qualität und Schutz­wür­digkeit zusammentreffen, müsse der Belästigte Nachteile hinnehmen, die er außerhalb eines derartigen Grenzbereichs nicht hinnehmen müsse. Dies ergebe sich aus der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme. Andernfalls hätten Grund­s­tücks­ei­gentümer in solchen Grenzgebieten einen Anspruch darauf, dass alles so bleibe, wie es sei. Dieser Anspruch bestehe aber nicht. Vielmehr sei im Grenzbereich damit zu rechnen, dass im daran angrenzenden Außenbereich Beläs­ti­gungs­quellen entstehen.

Maßgebend ist Empfinden eines verständigen Durch­schnitts­menschen

Es bleibe im wesentlichen tatrich­ter­licher Würdigung überlassen, wie im Rahmen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme im Einzelfall Eckewerte zur Bildung eines Zwischenwertes zu bestimmen seien, aus denen sich die Zumutbarkeit von Lärm ergebe. Dabei könnte von Bedeutung sein, dass auf das Empfinden eines verständigen Durch­schnitts­menschen abzustellen sei.

Interesse der Allgemeinheit an kinder- und jugend­freund­licher Umgebung

Es gehe in vorliegendem Fall um den von einer Jugend­frei­zeit­stätte ausgehenden Lärm. Im Rahmen einer wertenden Abgrenzung könnte jedenfalls für den Lärm bis 22 Uhr das Interesse der Allgemeinheit an einer kinder- und jugend­freund­lichen Umgebung eine gewisse Rolle spielen, die die Klägerin zur Hinnahme von etwas höheren Grenzwerten für Lärm als Beglei­t­er­scheinung kindlichen und jugendlichen Freizeit­ver­haltens zwinge, als sie generell in reinen Wohngebieten zulässig sei.

Prozessuales: Klageantrag auf allgemeine Störungs­be­sei­tigung ist bei immis­si­ons­recht­licher Unter­las­sungsklage zulässig

In prozessualer Hinsicht stellte der Bundes­ge­richtshof bezüglich des Bestimmt­heits­gebots des Klageantrags schließlich folgendes klar: Im Bereich der immis­si­ons­recht­lichen Unter­las­sungsklage werden Anträge mit dem Gebot, allgemein Störungen bestimmter Art, beispielsweise durch Geräusche und Gerüche, zu unterlassen, als zulässig erachtet. Von dieser Rechtsprechung abzuweichen besteht kein Anlass. Es ist vielfach unmöglich, mit Worten das Maß unzulässiger Einwirkungen so zu bestimmen, dass der Beeinträchtigte hinreichend geschützt ist und nicht schon eine geringfügige Änderung der Einwirkung trotz einer fortdauernden nicht zu duldenden Belästigung das Verbot hinfällig macht.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)

der Leitsatz

ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

Wegen der Besonderheiten der immis­si­ons­recht­lichen Unter­las­sungsklage sind in diesem Bereich Klageanträge mit dem Gebot, allgemein Störungen bestimmter Art, beispielsweise Geräusche und Gerüche, zu unterlassen, zulässig.

BGB § 906

a) Zur Beurteilung der Wesentlichkeit von Lärmimmissionen auf ein Wohngrundstück, das in der Randlage zum Außenbereich liegt, in dem später der emittierende Jugendzeltplatz gebaut wurde.

b) Bei der notwendigen Wertung kann im Interesse der Allgemeinheit an einer kinder- und jugend­freund­lichen Umgebung auch den Bewohnern eines reinen Wohngebiets Lärm als Beglei­t­er­scheinung kindlichen und jugendlichen Freizeit­ver­haltens in höherem Maße zugemutet werden, als er generell in reinen Wohngebieten zulässig ist (Empfinden eines verständigen Durch­schnitts­menschen).

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