21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil07.05.2021

Auswirkungen von § 9 a Abs. 2 WEG auf Prozess­führungs­befugnis eines Wohnungs­ei­gen­tümers für bereits vor 01.12.2020 anhängige VerfahrenProzess­führungs­befugnis einzelner Wohnungs­ei­gentümer für begonnene Verfahren besteht trotz WEG-Reform fort

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass für die bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Prozess­führungs­befugnis eines Wohnungs­ei­gen­tümers, der sich aus dem gemein­schaft­lichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fortbesteht, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9 b WEG vertretungs­berechtigten Organs (z.B. Verwalter) über einen entge­gen­ste­henden Willen der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer zur Kenntnis gebracht wird.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Baden-Württemberg. Das eine Grundstück steht im Eigentum des Klägers und einer weiteren Person, die zusammen eine Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft bilden. Ihr Grundstück grenzt in dem Bereich des Gartens, an welchem dem weiteren Wohnungseigentümer ein Sonder­nut­zungsrecht zusteht, unmittelbar an das Grundstück der Beklagten an. 2011 pflanzten die Beklagten auf ihrem Grundstück entlang dieser Grenze vier Zypressen mit einem Grenzabstand von unter vier Metern. Der Kläger verlangt deren Beseitigung, hilfsweise den Rückschnitt auf eine Höhe von maximal 3,5 Metern. Zu einer selbständigen gerichtlichen Geltendmachung solcher Ansprüche war er nach dem bisher geltenden Recht befugt, wenn - wie hier - die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft die Ausübung nicht an sich gezogen hatte. Nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden § 9 a Abs. 2 WEG liegt die Ausübungs­be­fugnis für die sich aus dem gemein­schaft­lichen Eigentum ergebenden Rechte dagegen allein bei der Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft. Der einzelne Wohnungs­ei­gentümer ist nach dem neuen Recht nicht zur selbständigen gerichtlichen Geltendmachung solcher Ansprüche befugt.

WEG sieht keine Überg­angs­re­ge­lungen vor

Für diese Situation sieht das Wohnungs­ei­gen­tums­gesetz keine speziellen Überlei­tungs­re­ge­lungen vor. Daher stellte sich die Frage, ob der ursprünglich allein prozess­füh­rungs­befugte Kläger mit dem Inkrafttreten des neuen Wohnungs­ei­gen­tums­ge­setzes am 1. Dezember 2020 seine Prozess­füh­rungs­be­fugnis verloren hatte und die Klage aus diesem Grund als unzulässig abzuweisen wäre. Das Amtsgericht hat der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten im November 2019 zurückgewiesen. Mit der Revision möchten die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen

BGH: Prozess­füh­rungs­be­fugnis des Wohnungs­ei­gen­tümers bleibt bestehen

Der BGH hat nun entschieden, dass für bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Prozess­füh­rungs­be­fugnis des Wohnungs­ei­gen­tümers über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fortbesteht, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9 b WEG vertre­tungs­be­rech­tigten Organs (z.B. Verwalter) über einen entge­gen­ste­henden Willen der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer zur Kenntnis gebracht wird. Die Überg­angs­vor­schrift des § 48 Abs. 5 WEG enthält insoweit eine planwidrige Regelungslücke.

Langjährige, nutzlose Verfahren nicht Wille des Gesetzgebers

Ein - zur Unzulässigkeit der Klage führender - Wegfall der Prozess­füh­rungs­be­fugnis des Wohnungs­ei­gen­tümers während des laufenden gerichtlichen Verfahrens hätte zur Folge, dass das Verfahren, selbst wenn es - wie im vorliegenden Fall - schon seit Jahren anhängig und über mehrere Instanzen geführt worden war, für beide Parteien gänzlich nutzlos gewesen wäre und im Ergebnis nur erheblichen Aufwand und Kosten verursacht hätte. Gegen die Annahme, dass dies dem Plan des Gesetzgebers entspricht und er dies bewusst hinnehmen wollte, spricht, dass die Geset­zes­be­gründung hierzu keine Erläuterung enthält, was bei einem Eingriff dieses Ausmaßes und der Vielzahl der betroffenen Verfahren zu erwarten wäre. Dies gilt umso mehr, als § 9 a Abs. 2 WEG für Verfahren, in denen ein Wohnungs­ei­gentümer vor Inkrafttreten der Vorschrift Klage erhoben hat und das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, bei einem Wegfall der Prozess­füh­rungs­be­fugnis eine so genannte unechte Rückwirkung entfalten würde. Hätte der Gesetzgeber der Regelung für bereits anhängige Verfahren eine solche Wirkung beimessen wollen, hätte es nahegelegen, dass er die Gründe hierfür anhand des gesetz­ge­be­rischen Ziels erläutert und darstellt, warum dem Vertrauen des Wohnungs­ei­gen­tümers auf den Fortbestand seiner Prozess­füh­rungs­be­fugnis ein geringeres Gewicht zukommt.

Änderungen des Verfah­rens­rechts sollen anhängige Verfahren unberührt lassen

Die Regelungslücke hätte der Gesetzgeber, hätte er sie erkannt, nach seinem Plan mit einer Regelung geschlossen, die sich an der Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG orientiert, zugleich aber auch den Rechtsgedanken des § 9 a Abs. 2 WEG einbezieht, der die Durchsetzung der dort genannten Ansprüche der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer zuordnet. Der Überg­angs­re­gelung in § 48 Abs. 5 WEG liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Änderungen des Verfah­rens­rechts bereits anhängige Verfahren unberührt lassen. Im Hinblick auf den (auch) verfah­rens­recht­lichen Charakter von § 9 a Abs. 2 WEG ist daher anzunehmen, dass es dem Plan des Gesetzgebers entspricht, die Prozess­füh­rungs­be­fugnis eines Wohnungs­ei­gen­tümers in einem bei Gericht bereits anhängigen Verfahren nicht schon durch das bloße Inkrafttreten der Neuregelung entfallen zu lassen.

Option des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber hätte aber zugleich auch den Rechten der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer Rechnung getragen, der er in § 9 a Abs. 2 WEG die alleinige Ausübungs­be­fugnis für die sich aus dem gemein­schaft­lichen Eigentum ergebenden Rechte zugewiesen hat. Dementsprechend hätte er das Recht der Gemeinschaft, über die Fortführung des Verfahrens eigen­ver­ant­wortlich zu entscheiden, unangetastet gelassen. Daraus folgt, dass die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer das bereits anhängige Verfahren selber als Partei übernehmen oder aber dem Wohnungs­ei­gentümer die Fortführung des Verfahrens untersagen kann, etwa weil sie den Konflikt auf andere Weise als durch einen gerichtlichen Rechtsstreit beilegen will.

Entge­gen­ste­hender Wille der Gemeinschaft musst zur Kenntnis gebracht werden

Solange dem Gericht ein entge­gen­ste­hender Wille der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer aber nicht zur Kenntnis gebracht wird, besteht für ein bereits vor dem 1. Dezember 2020 anhängiges Verfahren die Prozess­füh­rungs­be­fugnis des Wohnungs­ei­gen­tümers fort. Dies rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass die Geltendmachung und Durchsetzung von sich aus dem gemein­schaft­lichen Eigentum ergebenden Rechten, insbesondere die Verfolgung von Ansprüchen wegen einer Beein­träch­tigung des gemein­schaft­lichen Eigentums typischerweise im Interesse der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer liegt. Danach ist die Revision der Beklagten nicht erfolgreich. Der Kläger ist weiterhin prozess­füh­rungs­befugt, da ein entge­gen­ste­hender Wille der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer nicht belegt ist. Das Berufungs­gericht hat auch zu Recht einen Anspruch des Klägers gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 NRG BW auf Beseitigung der Zypressen bejaht.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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