21.11.2024
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Dokument-Nr. 32350

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Urteil11.11.2022BundesgerichtshofV ZR 213/21
Vorinstanzen:
  • Landgericht München I, Urteil27.04.2018, 25 O 24162/14
  • Oberlandesgericht München, Urteil02.09.2021, 8 U 1796/18
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Bundesgerichtshof Urteil11.11.2022

BGH räumt Eigen­tü­mer­ge­mein­schaften weiter Klagerecht einDarüber hinaus wurden die Voraussetzungen für eine Haftung des Verkäufers eines Grundstücks wegen Altlasten bzw. eines Altlas­ten­ver­dachts präzisiert

Der Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dass die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer auch nach der Reform des Wohnungs­eigentums­gesetzes die auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschafts­eigentum gerichteten Rechte der Erwerber von Wohnungs­ei­gentum weiterhin durch Mehrheits­be­schluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen kann. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen für eine Haftung des Verkäufers eines Grundstücks wegen Altlasten bzw. eines Altlas­ten­ver­dachts präzisiert worden.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer. Die Wohnungs­ei­gen­tums­anlage befindet sich auf einem in München belegenen Grundstück, das ursprünglich im Eigentum der Beklagten, einem Immobi­li­en­un­ter­nehmen, stand. Die Beklagte teilte das Grundstück mit dem bestehenden Gebäude im Jahr 2012 in Wohnungs­ei­gentum auf und begann mit dem Verkauf der Einheiten. Für den zunächst beabsichtigten Bau einer Tiefgarage ließ sie im Frühjahr 2013 die Böden des Innenhofs und der Außenflächen der Anlage untersuchen. Dabei wurde eine ehemalige Kiesgrube aufgefunden, deren aufgefüllte Böden, wie weitere Untersuchungen zeigten, unterschiedlich mit Schadstoffen belastet sind. Die Beklagte stoppte daraufhin zunächst den Verkauf und informierte die Stadt München. Behördlich angeordnete Untersuchungen des Oberbodens auf Altlasten ergaben Belastungen u.a. mit Benzo(a)pyren (BaP). In einer von der Beklagten in Auftrag gegebenen gutachterlichen Bewertung der Unter­su­chungs­er­gebnisse wurde für den Innenhof ein Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 30 cm vorgeschlagen. Auf einen Austausch des tiefer liegenden Bodens könne wegen der geplanten Errichtung der Tiefgarage verzichtet werden. Maßnahmen im südlichen Außenbereich seien trotz der festgestellten Belastungen wegen einer möglichen Einzäunung der betroffenen Bereiche nicht erforderlich. Ab dem 29. Mai 2013 setzte die Beklagte den Verkauf der Wohnungen fort. In den Kaufverträgen wies sie auf eine allein den Innenhof betreffende Altlas­te­n­auskunft der Stadt München hin und verpflichtete sich zur Durchführung der für den Innenhof vorgeschlagenen Siche­rungs­maß­nahmen. Die Haftung für eine Altlas­ten­freiheit des Grundstücks außerhalb des Innenhofs wurde ausgeschlossen. In der Folgezeit tauschte die Beklagte den Oberboden des Innenhofes in einer Tiefe von 20 cm aus. Der Bau einer Tiefgarage erfolgte dagegen nicht. In zwei Eigen­tü­mer­ver­samm­lungen im Mai 2014 und im Oktober 2015 beschlossen die Wohnungs­ei­gentümer mehrheitlich die gerichtliche Geltendmachung möglicher Ansprüche wegen Altlasten im Innenhof und im südlichen Außenbereich. Das Landgericht hat der mit dem Hauptantrag beanspruchten Feststellung des Bestehens von Mänge­l­ansprüchen teilweise stattgegeben. In der Berufungs­instanz hat das Oberlan­des­gericht den Hauptantrag als unzulässig abgewiesen und auf den Hilfsantrag der Klägerin die Beklagte zur Beseitigung der vorhandenen Altlasten durch Sanierung des Innenhofs und des südlichen Außenbereichs verurteilt, jedoch nur, soweit jeweils der Wert von ,5 mg/kg BaP überschritten wird. Mit der von dem Oberlan­des­gericht zugelassenen Revision hat die beklagte Verkäuferin die vollständige Abweisung der Klage erstrebt. Die Klägerin hat mit der Anschluss­re­vision ihr Klagebegehren weiterverfolgt, soweit dieses erfolglos geblieben ist.

Klägerin für Geltendmachung des Nachbes­se­rungs­an­spruchs prozess­füh­rungs­befugt

Der Bundes­ge­richtshof hat das Urteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit die Beklagte zur Beseitigung verurteilt worden ist. Insoweit ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen worden. Die Anschluss­re­vision der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Der Hilfsantrag ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin für die Geltendmachung des Nachbes­se­rungs­an­spruchs prozess­füh­rungs­befugt. Dies beruht auf den im Mai 2014 und Oktober 2015 gefassten Beschlüssen der Wohnungs­ei­gentümer. Allerdings ist die Regelung zu der "Verge­mein­schaftung durch Mehrheits­be­schluss" in § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG aF infolge der während des Berufungs­ver­fahrens in Kraft getretenen Reform des Wohnungs­ei­gen­tums­ge­setzes ersatzlos entfallen. Dieser Bestimmung zufolge konnte die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der den einzelnen Erwerbern aus den jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer zustehenden Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemein­schafts­ei­gentums durch Mehrheits­be­schluss an sich ziehen. Nunmehr regelt § 9 a Abs. 2 WEG nur noch die sogenannte "geborene Ausübungs­be­fugnis"; danach kann die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer (ohne weiteres) die sich aus dem gemein­schaft­lichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungs­ei­gentümer ausüben, die eine einheitliche Rechts­ver­folgung erfordern, und sie nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungs­ei­gentümer wahr. Gleichwohl können, wie der Bundes­ge­richtshof nun geklärt hat, Ansprüche aus den Erwer­bs­ver­trägen, die die Mängel­be­sei­tigung betreffen, weiterhin durch Mehrheits­be­schluss "verge­mein­schaftet" werden. Das hat hier zur Folge, dass die Prozess­füh­rungs­be­fugnis der Klägerin fortbesteht. § 9 a Abs. 2 WEG nF erfasst jedenfalls nicht die primären Mängelrechte der Wohnungs­ei­gentümer. Diese Ansprüche ergeben sich nicht aus dem gemein­schaft­lichen Eigentum, sondern aus den individuellen Erwer­bs­ver­trägen, die die Wohnungs­ei­gentümer mit dem teilenden Eigentümer geschlossen haben. Sie erfordern keine einheitliche Rechts­ver­folgung. Denn der Wohnungs­ei­gentümer, der selbständig die Mängel­be­sei­tigung gegen den Veräußerer verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlver­standenen Interesse aller anderen Wohnungs­ei­gentümer, und er darf seine vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen.

Kein Ausschluss der Verge­mein­schaftung durch § 9 a Abs. 2 WEG

Eine Verge­mein­schaftung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Erfüllungs- und Nacher­fül­lungs­ansprüche der Wohnungs­ei­gentümer durch Mehrheits­be­schluss wird durch § 9 a Abs. 2 WEG andererseits nicht ausgeschlossen. Die Beschluss­kom­petenz der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer ergibt sich in der Sache unverändert aufgrund der Verwal­tungs­be­fugnis für das gemein­schaftliche Eigentum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Hierfür spricht auch die Geset­zes­be­gründung, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zum Bauträgerrecht, nach der eine Verge­mein­schaftung von werkver­trag­lichen Erfüllungs- und Nacher­fül­lungs­ansprüchen möglich war, fortgelten soll. Entsprechendes muss für die Verge­mein­schaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und Nacher­fül­lungs­ansprüchen gelten. Nur diese Sichtweise trägt der nach der Reform unveränderten Interessenlage der Wohnungs­ei­gentümer hinreichend Rechnung. Dass die Verwaltung des gemein­schaft­lichen Eigentums nunmehr der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer obliegt, hat nichts daran geändert, dass es Sache der Wohnungs­ei­gentümer ist, in der Eigen­tü­mer­ver­sammlung darüber zu befinden, auf welche Weise Mängel am Gemein­schafts­ei­gentum zu beseitigen sind. Ordnungsmäßiger Verwaltung wird es auch weiterhin in aller Regel entsprechen, einen gemein­schaft­lichen Willen darüber zu bilden, wie die ordnungsgemäße Herstellung des Gemein­schafts­ei­gentums zu bewirken ist und ggf. welche vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen.

Altlas­ten­verdacht rechtfertigt nicht die Sanierung des Grundstücks

In der Sache trägt die von dem Berufungs­gericht gegebene Begründung die Verurteilung der Beklagten zur Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 BGB nicht. Zwar ist die Annahme, dass das Grundstück wegen des Vorfindens einer aufgefüllten Kiesgrube und eines hierdurch begründeten Altlas­ten­ver­dachts einen Mangel iSd § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aF aufweist, nicht zu beanstanden. Die von dem Verkäufer wegen eines Altlas­ten­ver­dachts geschuldete Nachbesserung umfasst aber zunächst nur die Ausräumung des Verdachts durch Aufklä­rungs­maß­nahmen. Ein Altlastenverdacht rechtfertigt hingegen nicht die Sanierung des Grundstücks, zu der die Beklagte von dem Berufungs­gericht verurteilt worden ist. Die Beseitigung von Altlasten kann der Käufer erst dann verlangen, wenn sich der Verdacht bestätigt. Entscheidend ist deshalb, ob über den Altlas­ten­verdacht hinaus eine tatsächliche Bodenbelastung in einem Umfang vorliegt, der die von dem Berufungs­gericht ausgesprochene Verurteilung zur Sanierung trägt. Hiervon kann auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht ausgegangen werden. Eine von der üblichen Beschaffenheit abweichende Belastung eines Grundstücks mit Schadstoffen und damit ein Mangel ist anzunehmen, wenn nach öffentlich-rechtlichen Kriterien eine schädliche Boden­ver­än­derung oder eine Altlast im Sinne des Bundes­bo­den­schutz­ge­setzes vorliegt (§ 2 Abs. 3 bzw. Abs. 5 BBodSchG). Für die Beurteilung, ob eine Belastung des Grundstücks mit Schadstoffen einen Sachmangel darstellt, können die zur behördlichen Gefähr­dungs­ab­schätzung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BBodSchG maßgeblichen Prüf- und Maßnahmenwerte herangezogen werden. Liegen der Gehalt oder die Konzentration eines Schadstoffes unterhalb des jeweiligen Prüfwertes, ist insoweit der Verdacht einer schädlichen Boden­ver­än­derung oder Altlast nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BBodSchV ausgeräumt, und das Grundstück weist regelmäßig die übliche Beschaffenheit auf. Andererseits begründet allein die Überschreitung von Prüfwerten, von der das Berufungs­gericht hier ohne Rechtsfehler ausgegangen ist, keinen über den Altlas­ten­verdacht hinausgehenden Sachmangel, sondern erhärtet lediglich einen bereits bestehenden (allgemeinen) Verdacht. Da das Berufungs­gericht keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, dass im Innenhof und im südlichen Außenbereich des Grundstücks auch Maßnahmenwerte nach §?8 Abs.?1 Satz?2 Nr. 2 BBodSchG überschritten werden, hat der Bundes­ge­richtshof die Verurteilung der Beklagten aufgehoben.

Kein berufen auf vereinbarten Haftungs­aus­schluss möglich

Die Voraussetzungen für eine abschließende Entscheidung über die Revision der Beklagten liegen nicht vor. Abweisungsreif ist der Hilfsantrag nicht. Auf den in den Kaufverträgen vereinbarten Haftungs­aus­schluss kann sich die Beklagte nach § 444 BGB nicht berufen. Verschweigt der Verkäufer arglistig einen ihm bekannten Altlas­ten­verdacht und bestätigt sich später der Verdacht, handelt er in aller Regel auch im Hinblick auf die - hier zu Gunsten der Klägerin zu unterstellenden - tatsächlich vorhandenen Altlasten arglistig. Den in den ab dem 29. Mai 2013 geschlossenen Kaufverträgen enthaltenen Hinweis auf die Altlas­ten­pro­blematik sieht das Berufungs­gericht rechts­feh­lerfrei als bagatel­li­sierend und deshalb als unzureichend an. Zutreffend ist schließlich, dass der Anspruch gemäß § 439 Abs. 1 BGB bei dem Kauf einer gebrauchten Eigen­tums­wohnung und Mängeln des Gemein­schafts­ei­gentums auf volle - hier von der Klägerin verlangte - Nacherfüllung gerichtet ist. Es besteht nicht lediglich ein auf die Quote des Mitei­gen­tums­anteils beschränkter Anspruch auf Freistellung von Mängel­be­sei­ti­gungs­kosten. Schließlich kann der Hilfsantrag auch nicht deshalb abgewiesen werden, weil er auf ein zu weitreichendes Ziel, nämlich eine Sanierung, gerichtet ist, obwohl derzeit nur eine Gefah­rer­for­schung verlangt werden kann. Zu diesem erstmalig von dem Senat hervorgehobenen Gesichtspunkt muss den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Möglichkeit eingeräumt werden, ggf. die Anträge umzustellen sowie ergänzend Beweis anzubieten.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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