21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil24.01.2020

Kein gewohnheits­rechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehn­te­langer Duldung durch NachbarnWegerecht kann außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuld­recht­licher Vereinbarungen oder als Notwegrecht entstehen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass im Verhältnis einzelner Grund­s­tücks­nachbarn ein Wegerecht nicht aufgrund Gewohn­heits­rechts durch eine - sei es auch jahrzehntelange - Übung entstehen kann. Außerhalb des Grundbuchs kann ein Wegerecht nur aufgrund schuld­recht­licher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB bestehen.

Die Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls sind Eigentümer dreier nebeneinander an einer öffentlichen Straße liegender Grundstücke, die mit drei anein­an­der­gren­zenden Häusern bebaut sind. Im rückwärtigen Teil dieser Grundstücke befinden sich Garagen, die baurechtlich nicht genehmigt sind. Die Beklagte ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen sich ein Weg befindet, über den die Kläger die Garagen und die rückwärtigen Bereiche ihrer vorne über die Straße erschlossenen Grundstücke erreichen. Eine Nutzung des Weges wurde seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer der Grundstücke und nach dem Eigen­tums­übergang auf die Beklagte durch diese selbst geduldet. Mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 erklärte die Beklagte gegenüber den Klägern die "Kündigung des Leihvertrages über das vor über 30 Jahren bestellte, schuld­rechtliche Wegerecht". Sie kündigte an, den Weg zu sperren und begann mit dem Bau einer Toranlage. Die Kläger, die sich auf ein zu ihren Gunsten bestehendes Wegerecht, hilfsweise auf ein Notwegrecht beriefen, verlangten von der Beklagten, die Sperrung des Weges zu unterlassen.

Entscheidung der Vorinstanzen

Das Landgericht verpflichtete die Beklagte, es zu unterlassen, die Kläger an der Nutzung des Weges zu hindern, insbesondere durch das Anbringen eines Tores mit Schließanlage. Das Oberlan­des­gericht wies die Berufung der Beklagten zurück und begründete dies damit, dass die Kläger aufgrund eines zu ihren Gunsten bestehenden Gewohn­heits­rechts zur Nutzung des Zuwegs zum rückwärtigen Bereich ihrer Grundstücke berechtigt seien.

BGH: Kläger können sich nicht auf Gewohn­heitsrecht berufen

Der Bundes­ge­richtshof hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurück. Die Kläger können sich nicht auf Gewohnheitsrecht berufen. Gewohn­heitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Als ungeschriebenes Recht enthält es eine generell-abstrakte Regelung; diese muss über den Einzelfall hinausweisen. Zwar muss Gewohn­heitsrecht kein "Jedermann-Recht" sein. In dem Unterfall der sogenannten Observanz, bei der es sich um ein örtlich begrenztes Gewohn­heitsrecht handelt, kann dieses auch im Verhältnis einer begrenzten Zahl von Eigentümern und Pächtern zueinander entstehen, etwa nur für eine Gemeinde oder die Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Voraussetzung ist aber auch in diesem Fall, dass die ungeschriebene Rechtsnorm, die die Beteiligten als verbindlich anerkennen, alle Rechts­ver­hältnisse einer bestimmten Art beherrscht. Gewohn­heitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen einer Vielzahl von Recht­sin­di­viduen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechts­ver­hält­nissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechts­ver­hältnis zwischen einzelnen Grund­s­tücks­nachbarn. In einem konkreten Rechts­ver­hältnis zwischen einzelnen Grund­s­tücks­nachbarn kann ein Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuld­recht­licher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB entstehen, nicht aber durch eine - sei es auch jahrzehntelange - Übung unter Grund­s­tücks­nachbarn.

OLG muss mögliches Zustehen eines Notwegrechts prüfen

Das Oberlan­des­gericht wird zu prüfen haben, ob den Klägern gemäß § 917 Abs. 1 BGB ein Notwegrecht zusteht. Dies wäre der Fall, wenn die ordnungsmäßige Benutzung ihrer Grundstücke eine Zufahrt über die Grundstücke der Beklagten erforderlich machte. Soweit die Grundstücke nur zu Wohnzwecken genutzt werden, wird ein Notwegrecht allerdings schon deshalb ausscheiden, weil die im hinteren Bereich der Grundstücke der Kläger befindlichen Garagen baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung auch nicht geneh­mi­gungsfähig sind. Soweit die Grundstücke gewerblich genutzt werden, kommt ein Notwegrecht hingegen grundsätzlich in Betracht, da bei einem Gewer­be­grundstück etwa Be- und Entladevorgänge sowie das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem verbin­dungslosen Grundstücksteil für die ordnungsmäßige Benutzung erforderlich sein und damit für diesen Teil eine Zufahrt erforderlich machen können.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1027 BGB

Wird eine Grund­dienst­barkeit beeinträchtigt, so stehen dem Berechtigten die in § 1004 bestimmten Rechte zu.

§ 1004 BGB

(1) 1 Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beein­träch­tigung verlangen. 2 Sind weitere Beein­träch­ti­gungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

§ 293 ZPO

1 Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohn­heits­rechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. 2 Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkennt­nis­quellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm/kg)

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