15.11.2024
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Dokument-Nr. 12821

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Beschluss17.08.2011BundesgerichtshofV ZB 47/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AfP 2012, 43Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (AfP), Jahrgang: 2012, Seite: 43
  • GRURPrax 2011, 497Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (GRURPrax), Jahrgang: 2011, Seite: 497
  • IMR 2011, 464Zeitschrift: Immobilien- und Mietrecht (IMR), Jahrgang: 2011, Seite: 464
  • NJW-RR 2011, 1651Zeitschrift: NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR), Jahrgang: 2011, Seite: 1651
  • NotBZ 2012, 100Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis (NotBZ), Jahrgang: 2012, Seite: 100
  • NZM 2012, 42Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), Jahrgang: 2012, Seite: 42
  • WuM 2011, 636Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 2011, Seite: 636
  • ZMR 2012, 236Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (ZMR), Jahrgang: 2012, Seite: 236
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Burgwedel, Beschluss28.12.2010, GB 4291
  • Oberlandesgericht Celle, Beschluss19.01.2011, 4 W 12/11
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss17.08.2011

BGH erlaubt SPIEGEL im Fall von Bundespräsident Christian Wulff Einsicht in Grundbuch für RecherchezweckeZum Einsichtsrecht der Presse in das Grundbuch

Journalisten können bei legitimen Recherchen einen Anspruch darauf haben, dass das Grundbuchamt ihnen unein­ge­schränkte Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten gibt. Dies hat der Bundes­ge­richtshof unter Berufung auf ein Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts entschieden. Geklagt hatte das Nachrich­ten­magazin "DER SPIEGEL", das Recherchen über die Kreditvergabe für den Erwerb des Grundstücks des Politi­ker­ehepaars Wulff anstellte.

Im zugrunde liegenden Fall beantragte das Nachrich­ten­magazin "Der SPIEGEL" (Antragstellerin) Einsichtnahme beim Amtsgericht - Grundbuchamt - in das Grundbuch und die Grundakten eines Grundstücks, welches im Eigentum eines bekannten Politikers und dessen Ehefrau steht. Der SPIEGEL begründete seine Einsichtnahme damit, dass der Verdacht bestehe, den Eheleuten seien für den Erwerb des Grundstücks finanzielle Vergünstigungen durch einen bekannten Unternehmer gewährt worden. Hierzu wolle man eine journalistische Recherche durchführen.

Das Grundbuchamt wies den Einsichtsantrag des SPIEGEL zurück. Daraufhin legte das Nachrich­ten­magazin Beschwerde beim Oberlan­des­gericht ein. Auf die Beschwerde hat das Oberlan­des­gericht der Antragstellerin unter Zurückweisung des weitergehenden Einsichts­gesuchs mitgeteilt, dass eine Eigen­tü­mer­grund­schuld im Grundbuch eingetragen sei und dass sämtliche in früherer Zeit an dem Grundstück eingetragenen Grund­pfand­rechte gelöscht seien.

Keine Auskunft über die Höhe der Eigen­tü­mer­grund­schuld

Das Oberlan­des­gericht erteilte keine Auskunft über die Höhe der Eigen­tü­mer­grund­schuld. Mit einer Rechts­be­schwerde verfolgte das Nachrich­ten­magazin seinen Antrag auf (unein­ge­schränkte) Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten weiter.

BGH erlaubt Grund­bu­ch­einsicht

Der Bundes­ge­richtshof gab der Rechts­be­schwerde statt und wies das Grundbuchamt an, dem Nachrich­ten­magazin Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten von G. , Blatt 4291, zu gestatten.

Presse kann unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Einsicht in Grundbuch haben

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht habe bereits entschieden, dass - über den ursprünglichen, dem allgemeinen Rechtsverkehr mit Grundstücken dienenden Regelungszweck hinaus - auch ein schutzwürdiges Interesse der Presse daran, von den für ein bestimmtes Grundstück vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu erlangen, das nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO für die Gestattung der Grund­bu­ch­einsicht erforderliche berechtigte Interesse zu begründen vermag (BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 - = NJW 2001, 503). Ein solches Interesse bestehe hier, da das Einsichtsgesuch der Antragstellerin auf die Beschaffung journalistisch verwertbarer Informationen im Zusammenhang mit dem Kauf des Grundstücks, für das Einsicht verlangt werde, ziele und somit der von dem Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) erfassten publizistischen Vorbe­rei­tung­s­tä­tigkeit (BVerfGE 50, 234, 240) zuzuordnen sei.

Keine entge­gen­ste­henden schutzwürdigen Belange

Schutzwürdige Belange der im Grundbuch - sei es als (Vor-)Eigentümer, sei es als (ehemalige) dinglich Berechtigte - Eingetragenen stehen einer Einsichtnahme durch die Antragstellerin nicht entgegen. Deren Rechtsposition genießt zwar ebenfalls grund­recht­lichen Schutz, weil die Gestattung der Grund­bu­ch­einsicht durch einen Dritten auf Grund der im Grundbuch enthaltenen perso­nen­be­zogenen Daten einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung darstellt (BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 - = NJW 2001, 503, 505). Das Interesse der Eingetragenen an der Geheimhaltung ihrer Daten tritt jedoch hinter das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Antragstellerin zurück.

Interesse der Presse und der Öffentlichkeit wiegt schwerer als das Persön­lich­keitsrecht

Das Interesse der Presse an der Kenntnisnahme des Grund­bu­ch­inhalts erweis sich als gegenüber dem Persön­lich­keitsrecht der Eingetragenen vorrangig, wenn es sich um eine Frage handelt, die die Öffentlichkeit wesentlich angehe - was vorliegend mit Blick auf die herausgehobene politische Stellung eines der Eigentümer der Fall sei - und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Ausein­an­der­setzung diene (BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 - = NJW 2001, 503, 506). Dafür, dass es sich hier anders verhalte und die aus den Nachforschungen der Antragstellerin möglicherweise resultierende Berich­t­er­stattung lediglich dazu diene, eine in der Öffentlichkeit vorhandene Neugierde und Sensationslust zu befriedigen (vgl. BVerfG, Urteil v. 15.12.1999 - 1 BvR 653/96 - = BVerfGE 101, 361, 391; KG, NJW 2002, 223, 225), bestehen keine Anhaltspunkte.

BGH zur Erfor­der­lichkeit der Grund­bu­ch­einsicht

Dass die Antragstellerin - was das Grundbuchamt bei der Entscheidung über das Gesuch zu prüfen hat (BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 - = NJW 2001, 503, 506) - in unpro­ble­ma­tischer Weise andere Mittel nutzen könnte, um die erwünschten Informationen unter geringerer Beein­träch­tigung des Persön­lich­keits­schutzes der Eingetragenen zu erhalten, sei nicht ersichtlich, führte der BGH aus. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sich das Grundbuch in besonderer Weise als Infor­ma­ti­o­ns­quelle für alle das Grundstück betreffenden rechtlichen und tatsächlichen Fragen anbiete. Denn der mit der Einrichtung des Grundbuchs verfolgte Zweck bestehe gerade darin, das Grundeigentum und die an diesem bestehenden Rechte zu registrieren und die in Bezug auf ein Grundstück bestehenden Rechts­ver­hältnisse zu publizieren (BGH, Beschluss vom 6. März 1981 - V ZB 18/80 = BGHZ 80, 126, 128). Darauf, ob die Antragstellerin zwingend auf die beantragte Einsichtnahme angewiesen sei, weil andere Möglichkeiten der Recherche von vornherein nicht erfolg­ver­sprechend erscheinen, komme es für die Beurteilung der Erfor­der­lichkeit einer Grund­bu­ch­einsicht nicht an.

Vor allem aber obliege es allein der Antragstellerin, die sich aus dem Grundbuch ergebenden Informationen unter Berück­sich­tigung des Gegenstands ihrer Nachforschungen einzuordnen und zu bewerten. Eine Beschränkung ihres Einsichtsrechts würde im Ergebnis auf eine Vorauswahl des Grundbuchamts bzw. des Beschwer­de­ge­richts hinsichtlich relevanter und nicht relevanter Eintragungen hinauslaufen. Zu einer solchen Beurteilung seien die Gerichte jedenfalls dann nicht befugt, wenn sich die journalistische Recherche nach dem Inhalt des Gesuchs auf einen Sachverhalt beziehe, der - wie hier - nicht durch eine unmittelbar aus dem Inhalt des Grundbuchs zu erzielende Information zu klären sei. In einem solchen Fall dürfe das Grundbuchamt der Presse nicht vorschreiben, welche Teile des nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO in seiner Gesamtheit - wenn auch beschränkt durch das Erfordernis eines berechtigten Interesses - der Kenntnisnahme durch Dritte zugänglichen Grundbuchs für die Recherche von Nutzen sein könnten. Das gebiete neben dem von dem Grundbuchamt zu beachtenden Gebot staatlicher Inhalts­neu­tralität (vgl. BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 -, NJW 2001, 503, 506) die besondere Rolle, die der Presse in der freiheitlichen Demokratie zukomme und deren wirksame Wahrnehmung den prinzipiell ungehinderten Zugang zur Information voraussetze (BVerfGE 50, 234, 240; BGH, Urteil v. 07.12.2010 - VI ZR 30/09 - = NJW 2011, 755).

Grundbuchamt hat nicht zu prüfen, ob die Einsichtnahme, die erhofften Recher­che­in­for­ma­tionen erbringt

Aus demselben Grund kommt es entgegen der Auffassung des Beschwer­de­ge­richts nicht darauf an, ob die Einsicht der Antragstellerin die erhofften Informationen verschaffen wird. Das Grundbuchamt hat insoweit lediglich zu prüfen, ob das Recher­che­in­teresse in einen konkreten Bezug zu dem betreffenden Grundstück steht (BVerfG, 07.10.2000 - 1 BvR 1521/00 = AfP 2000, 566, 567). Ist das - wie hier - der Fall, ist die Einsicht geeignet, um dem Infor­ma­ti­o­ns­an­liegen der Presse Rechnung zu tragen. Eine eigene Bewertung, welcher Erkenntniswert den einzelnen Eintragungen zukommt, ist dem Grundbuchamt verwehrt.

Einsichtsrecht in Grundakten

Das Einsichtsrecht der Antragstellerin erstrecke sich auch auf den Inhalt der Grundakten, stellte der Bundes­ge­richtshof fest. Die Kenntnisnahme der Grundakten durch Dritte sei nach § 46 Abs. 1 GBV unter denselben Voraussetzungen zulässig wie diejenige des Grund­bu­ch­inhalts. Folglich sei der Presse die Einsicht zu gestatten, wenn ein berechtigtes Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse an dem Inhalt der Urkunden bestehe, auf die sich eine Eintragung gründe oder Bezug nehme (§ 10 GBO, § 24 Abs. 1 GBV). Das sei hier aus denselben Gründen anzunehmen, die eine Einsicht in das Grundbuch rechtfertigen. Insbesondere sei dem Grundbuchamt auch insoweit eine eigene Bewertung der für das Infor­ma­ti­o­ns­an­liegen der Presse relevanten Angaben versagt.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/pt)

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