15.11.2024
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Dokument-Nr. 13727

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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss27.06.2012

Grundbuch-Einsicht im Fall Schlecker: Journalist darf zur Recherche von möglichen Vermö­gens­über­tra­gungen Einsicht in Schlecker-Grundbuch nehmenOLG Stuttgart verurteilt das Grundbuchamt Ehingen zur Öffnung des Grundbuchs zum Schlecker-Grundstück Ammerweg 4 in Ehingen für Recherchezwecke

Rechercheure der Firma autoren(werk) dürfen Einsicht in das Grundbuch hinsichtlich des Grundstücks Ammerweg 4 in Ehingen der Unter­neh­mer­familie Schlecker nehmen. Sie recherchieren zu möglichen Vermö­gens­über­tra­gungen innerhalb der Familie. Das Oberlan­des­gericht Stuttgart verurteilte das Grundbuchamt Ehingen zur Öffnung des Grundbuchs - jedenfalls soweit es sich um Rechtsgeschäfte zwischen Mitgliedern der Familie Schlecker handele.

Die Firma "autoren(werk) GmbH & Co. KG" (Antragstellerin) recherchiert und produziert Beiträge für öffentlich-rechtliche Rundfunk­an­stalten und private Rundfunk­ver­an­stalter.

Mögliche Vermö­gens­über­tra­gungen sollen untersucht werden

Im Rahmen ihrer journa­lis­tischen Tätigkeit befasst sich gegenwärtig auch mit möglichen Vermö­gens­über­tra­gungen zwischen Angehörigen der Unter­neh­mer­fa­milien Schlecker vor Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens über das Vermögen des eingetragenen Kaufmanns Anton Schlecker. Dabei sei bekannt geworden, dass das von Herrn Anton Schlecker und seiner Ehefrau Christa Schlecker bewohnte Haus in Ehingen/Donau nunmehr im Eigentum der Ehefrau stehe.

Insol­venz­ver­walter verweigerte die Auskunft

In diesem Zusammenhang kontaktierten die Journalisten das Büro des Insol­venz­ver­walters. Dieses verweigerte auf telefonische Anfrage hin eine diesbezügliche Auskunft und verwies die Rechercheure an das Grundbuchamt.

Journalisten stellen Antrag auf Grund­bu­ch­einsicht - Grundbuchamt lehnt den Antrag ab

Daraufhin stellten die Journalisten unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bundes­ge­richtshof beim Grundbuchamt Ehingen einen Antrag auf Einsicht in das Grundbuch. Angesichts eines konkreten Verdachts und wegen der Auswirkungen des Insol­venz­ver­fahrens auch auf tausende Arbeitnehmer überwiege das Infor­ma­ti­o­nsrecht der Öffentlichkeit und der Presse das Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung der Mitglieder der Familie Schlecker.

Das Grundbuchamt wies den Antrag auf Einsicht allerdings zurück (Beschluss vom 15.06.2012, Az. I GRG 604/2012), worauf hin die Antragstellerin Beschwerde beim Oberlan­des­gericht Stuttgart einlegte. Mit Erfolg.

OLG Stuttgart erlaubt Grund­bu­ch­einsicht

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hob den Beschluss des Grundbuchamts Ehingen auf und wies das Grundbuchamt an, autoren(werk) Einsicht in das Grundbuch/Ehingen betreffend des Grundstücks Ammerweg 4 in Ehingen zu gestatten. Es beschränkte die Einsicht allerdings auf solche Urkunden, mit welchen Rechtsgeschäfte zwischen den Mitgliedern der Familie Schlecker beurkundet wurden (zwischen Anton Schlecker, Christ Schlecker, Meike Schlecker oder Lars Schlecker). Die Grund­bu­ch­einsicht sei nach § 12 Abs. 1 GBO i.V.m. § 46 GBV zu gewähren, führte das OLG aus.

OLG Stuttgart beruft sich auf BGH-Entscheidung zum Fall Christian Wulff

Über den ursprünglichen, dem allgemeinen Rechtsverkehr mit Grundstücken dienenden Regelungszweck hinaus, vermag auch ein schutzwürdiges Interesse der Presse und vergleichbarer publizistisch tätiger Medien daran, von den für ein bestimmtes Grundstück vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu erlangen, das nach § 12 Abs. 1 S. 1 GBO für die Gestattung der Einsicht erforderliche berechtigte Interesse zu begründen (BVerfG NJW 2001, 503 = BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 -; BGH NJW-RR 2011, 1651 = BGH, Beschluss v. 17.08.2011 - V ZB 47/11 -). Ein solches Interesse bestehe auch hier, weil das Einsichtsgesuch auf die Beschaffung journalistisch verwertbarer Informationen über eine Grund­s­tücks­über­tragung unter Familien­an­ge­hörigen im Vorfeld der Insol­ven­z­er­öffnung über das Vermögen des Übertragenden zielt und somit der von dem Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 2 GG) erfassten publizistischen Vorbe­rei­tung­s­tä­tigkeit zuzuordnen sei (BVerfGE 50, 234, 240).

Das Interesse der Presse oder des Rundfunks ist hier höher zu bewerten als das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Schutzwürdige Belange der im Grundbuch Eingetragenen stünden einer Einsichtnahme nicht entgegen, obwohl auch ihnen aufgrund der im Grundbuch enthaltenen perso­nen­be­zogenen Daten über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (informationelle Selbst­be­stimmung) Verfassungsrang zukomme. Das Interesse der Presse oder des Rundfunks erweise sich als gegenüber dem Persön­lich­keitsrecht der Eingetragenen dann als vorrangig, wenn es sich um eine Frage handele, die für die Öffentlichkeit von Interesse ist und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Ausein­an­der­setzung diene (BVerfG, Beschluss v. 28.08.2000 - 1 BvR 1307/91 -). Daran könnten im Hinblick auf das öffentliche Interesse, insbesondere auch auf das Interesse der betroffenen Arbeitnehmer, an dem Gesamtkomplex Insolvenz der Schlecker Unter­neh­mens­gruppe und der Frage einer anfechtbaren Schmälerung der Insolvenzmasse keine Zweifel bestehen.

Fall Schlecker vergleichbar mit Klage des Spiegels zu Einsicht in das Grundbuch hinsichtlich des Privathauses von Christian Wulff

Deshalb sei der vorliegende Sachverhalt entgegen der Auffassung des Grundbuchamts auch nicht anders zu würdigen als der vom Bundes­ge­richtshof entschiedene (der die Einsicht in das Grundbuch des Privat­grund­stücks eines Amtsträgers und seiner Ehefrau aufgrund des Verdachts der Gewährung finanzieller Vergünstigungen durch einen bekannten Unternehmer zum Gegenstand hatte).

Wie in dem vom Bundes­ge­richtshof (BGH NJW-RR 2011, 1651 = BGH, Beschluss v. 17.08.2011 - V ZB 47/11 -) entschiedenen Fall sei auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin in unpro­ble­ma­tischer Weise andere Mitte nutzen könnte, um die erwünschten Informationen unter geringerer Beein­träch­tigung des Persön­lich­keits­rechts der Eingetragenen zu erhalten.

Quelle: ra-online, OLG Stuttgart (vt/pt)

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