02.12.2024
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Dokument-Nr. 33933

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Beschluss23.04.2024BundesgerichtshofKVB 56/22
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Bundesgerichtshof Beschluss23.04.2024

BGH bestätigt Amazons überragende markt­über­greifende Bedeutung für den WettbewerbAmazon scheitert mit Klage gegen verschärfte Aufsicht

Der Kartellsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die Feststellung des Bundes­kar­tellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende markt­über­greifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Erstmals hat der Kartellsenat damit in erster und letzter Instanz über eine Beschwerde gegen eine Feststellung nach § 19 a Abs. 1 GWB entschieden. Die am 19. Januar 2021 in Kraft getretene Regelung des § 19 a GWB dient der Modernisierung und Stärkung der wettbewerbs­rechtlichen Missbrauchs­aufsicht. Sie sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Danach kann das Bundes­kar­tellamt in einem ersten Schritt die überragende markt­über­greifende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb feststellen (§ 19 a Abs. 1 GWB) und dem betroffenen Unternehmen in einem zweiten Schritt bestimmte Verhal­tens­weisen untersagen (§ 19 a Abs. 2 GWB).

Amazon ist weltweit unter anderem im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienst­leis­tungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war Ende Dezember 2021 mit einer Markt­ka­pi­ta­li­sierung von 1,721 Billionen USD das fünft­wert­vollste Unternehmen der Welt und erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd USD. Das Bundes­kar­tellamt hat mit Beschluss vom 5. Juli 2022 nach § 19 a Abs. 1 GWB festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende markt­über­greifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzern­ge­sell­schaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwer­de­ver­fahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als Torwächter gemäß Art. 3 Digital Markets Act (DMA) benannt. Für die von Amazon betriebenen Vermitt­lungs­platt­formen Amazon Marketplace und Amazon Advertising gelten in der Europäischen Union seit dem 7. März 2024 die das Marktverhalten regelnden Vorschriften des DMA.

GWB auch neben DMA anwendbar

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der BGH ist für die Beschwerde gemäß § 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB in erster und letzter Instanz zuständig. Verfas­sungs­rechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. § 19 a Abs. 1 GWB und der auf Grund dieser Vorschrift erlassenen Feststel­lungs­ver­fügung stehen auch keine unions­recht­lichen Gründe entgegen. § 19 a Abs. 1 GWB ist eine Vorschrift des nationalen Wettbe­wer­bs­rechts, deren Anwendung neben dem DMA zulässig ist. Da sich die Feststel­lungs­ver­fügung nicht auf einen bestimmten Dienst der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft bezieht, verstößt sie auch nicht gegen das sich aus der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) ergebende Verbot der Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft aus einem anderen Mitgliedstaat. § 19 a Abs. 1 GWB musste ferner bei der Europäischen Kommission nicht nach der Richtlinie (EU) 2015/1535 notifiziert werden, weil es sich nicht um eine allgemein gehaltene Vorschrift betreffend Dienste der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft im Sinn dieser Richtlinie handelt. Danach bestand kein Anlass, ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten.

Abstrakte Gefahr durch Marktmacht reicht

Das Bundes­kar­tellamt hat gemäß § 19 a Abs. 1 GWB zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten gemäß § 18 Abs. 3a GWB tätig ist und dem Konzern eine überragende markt­über­greifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung der überragenden markt­über­grei­fenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbe­wer­bs­gefahr oder Wettbe­wer­bs­be­ein­träch­tigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbe­werb­lichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefähr­dungs­po­tential durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundes­kar­tellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digital­un­ter­nehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäft­s­tä­tigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbe­wer­b­sprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Das Bundes­kar­tellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbe­werb­lichen Potentiale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine markt­be­herr­schende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Markt­platz­dienst­leis­tungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbe­wer­bs­re­le­vanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Die nunmehrige Geltung der Regelungen des DMA und die während des Beschwer­de­ver­fahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchs­ver­fahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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