18.10.2024
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Sie sehen eine abgedunkelte Fassade von mehreren Hochhäusern, auf der ein Schutzschild leuchtet.

Dokument-Nr. 9802

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Urteil16.06.2010BundesgerichtshofIV ZR 229/09
Vorinstanzen:
  • Landgericht Hamburg, Urteil20.10.2008, 415 O 48/08
  • Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg, Urteil03.03.2009, 9 U 219/08
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Bundesgerichtshof Urteil16.06.2010

Gastronomie-Versicherer muss nicht das erhöhte Risiko einer Schutz­gel­d­er­pressung tragenGastwirt ist verpflichtet eingetretene Gefahrerhöhung der Versicherung rechtzeitig mitzuteilen

Ein Gastronomie-Versicherer muss nicht für Vanda­lis­mus­schäden im versicherten Lokal aufkommen, nachdem dem Gastwirt die Zerstörung seines Lokals zuvor von einem so genannten Schutz­gel­der­presser mehrfach angedroht und dies dem Versicherer nicht als Gefahrerhöhung angezeigt worden war. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Der Kläger, früher Inhaber einer Gaststätte, forderte Versi­che­rungs­leis­tungen aus einer seit September 2005 bei der Beklagten gehaltenen Gastronomie-Versicherung, welche Versi­che­rungs­schutz auch für Sachschäden durch Einbruch­die­bstahl, Vandalismus und Beraubung gewährt.

Sachverhalt

Beginnend im Spätsommer 2006 war dem Kläger in mehreren anonymen Anrufen "Schutz und Versicherung" angeboten worden, "weil immer etwas passieren könne". Später hatte der Anrufer für den angebotenen "Schutz" monatliche Zahlungen von 750,- € verlangt und den Kläger aufgefordert, sich weder an die Polizei noch an andere Personen zu wenden.

Am 9. März 2007 waren erstmals Unbekannte in das Lokal eingebrochen und hatten Bargeld und technische Geräte entwendet. Bei der Schadens­re­gu­lierung durch die Beklagte hatte der Kläger die vorangegangenen Erpres­sungs­versuche verschwiegen. Unter ausdrücklichem Hinweis auf den Einbruch, ferner begleitet von weiteren Drohungen gegen den Kläger und seine Familie hatte der unbekannte Anrufer kurz darauf sein Zahlungs­ver­langen mehrfach vergeblich wiederholt. Am 21. April 2007 war das Auto des Klägers erheblich beschädigt, schließlich in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 2007 erneut die Gaststätte von Einbrechern heimgesucht worden. Sie hatten diesmal – vermutlich mit einer Axt – wesentliche Teile der Innen­ein­richtung zerstört und eine große Menge schwarzer Lackfarbe im Lokal versprüht. Nach der Behauptung des Klägers waren außerdem Bargeld und eine Musikanlage entwendet worden. Der Kläger bezifferte diesen Schaden auf insgesamt knapp 150.000,- €.

Versicherung lehnt Zahlung von Leistungen mangels rechtzeitiger Anzeige einer eingetretenen Gefahrerhöhung ab

Nachdem er bei der neuen Schadensmeldung Mitarbeitern des Versicherers erstmals auch die vorangegangenen Erpres­sungs­versuche geschildert hatte, hatte der Versicherer den Versi­che­rungs­vertrag gekündigt und außerdem die beantragte Versi­che­rungs­leistung abgelehnt, weil ihm die für das versicherte Lokal eingetretene Gefahrerhöhung nicht rechtzeitig angezeigt worden war.

Gaststät­ten­be­sitzer hält fehlenden Versi­che­rungs­schutz im Falle einer Schutz­gel­d­er­pressung für unangemessene Benachteiligung

Die Vorinstanzen hatten die Klage auf Versi­che­rungs­leis­tungen abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg. Der Kläger hat geltend gemacht: Wenn ein Sachversicherer Schutz gegen vorsätzliche Vanda­lis­mus­schäden verspreche, stelle es keine anzei­ge­pflichtige Gefahrerhöhung für die versicherte Sache dar, dass ein Täter einen solchen Schädi­gungs­vorsatz konkret fasse und diesen – wie im Fall der Schutz­gel­d­er­pressung – auch kundgebe. Im Übrigen werde er als Versi­che­rungs­nehmer unangemessen benachteiligt, wenn er im Falle einer Schutz­gel­d­er­pressung von der Versi­cher­ten­ge­mein­schaft allein gelassen und mithin der kriminellen Drohung schutzlos ausgeliefert werde.

Gefahr des Eintritts von Einbruchs- und Vanda­lis­mus­schäden durch Schutz­gel­d­er­pres­sungen dauerhaft erhöht

Dem ist der Bundes­ge­richtshof mit den nachfolgenden Erwägungen entge­gen­ge­treten:

Durch die Bestimmungen der §§ 23 ff. VVG a. F. über die Gefahrerhöhung soll das bei Abschluss des Versi­che­rungs­ver­trages zugrunde gelegte Gleichgewicht zwischen Prämien­auf­kommen und Versi­che­rungs­leistung erhalten bleiben. Die Annahme einer die Risikolage maßgeblich verändernden Gefahrerhöhung setzt voraus, dass der neue Zustand erhöhter Gefahr mindestens von einer solchen Dauer sein muss, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefah­ren­verlaufs bilden kann und so den Eintritt des Versi­che­rungsfalls zu fördern geeignet ist. Der erst nach Abschluss des Versi­che­rungs­ver­trages mittels anonymer Anrufe kundgegebene, über mehrere Monate verfolgte Entschluss unbekannter Täter, den Kläger mittels Androhung (unter anderem) von Einbruchs­die­b­stählen und schwerwiegenden Sachbe­schä­di­gungen zu Schutz­geld­zah­lungen zu nötigen und diesem Verlangen auch durch wiederholte Anschläge auf die versicherte Gaststätte Nachdruck zu verleihen, hatte hier die Gefahr des Eintritts von Einbruchs- und Vanda­lis­mus­schäden dauerhaft erhöht.

Schutz­gel­d­er­pressung kann nicht als unerhebliche, nicht anzei­ge­pflichtige Gefahrerhöhung gewertet werden

Der Kläger musste diese Gefahrerhöhung gemäß § 27 Abs. 2 VVG a. F.* der Beklagten auch anzeigen. Eine mitversicherte und damit im Sinne des § 29 VVG a. F. unerhebliche, nicht anzei­ge­pflichtige Gefahrerhöhung lag hier nicht vor. Die eingetretene objektive Gefahrerhöhung wäre dem Versicherer vielmehr anzuzeigen gewesen, nachdem das Lokal nach vorangegangenen Drohungen erstmals am 9. März 2007 von Einbrechern heimgesucht worden war und der anonyme Anrufer zwei Tage später unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen ersten Vorfall seine Drohungen fortgesetzt hatte. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger sichere Kenntnis davon, dass eine ernsthafte Bedrohung für die versicherte Sache vorlag, die auf eine wiederholte, sich von Mal zu Mal steigernde Schädigung des Lokals zielte und jedenfalls deshalb eine erhebliche, nicht mehr "mitversicherte" Gefahrerhöhung im Sinne des § 29 VVG a. F.** darstellte.

Versicherung muss sich geringen Handlungs­spielraum des Versicherten nicht entgegenhalten lassen

Für eine anderslautende - von der Revision geforderte - wertende Betrachtung, derzufolge der Versicherer die Gefahrerhöhung aus krimi­na­l­po­li­tischen Gründen hinzunehmen hätte, geben die §§ 23 ff. VVG a. F. nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs keinen Raum. Sie ist auch nicht aus Treu und Glauben geboten. Ob eine ungewollte Gefahrerhöhung im Sinne von § 27 Abs. 1 VVG a. F. vorliegt, bestimmt sich allein anhand objektiver Umstände. Entsprechendes gilt für die Frage der Erheblichkeit der Gefahrerhöhung und ihrer Anzeigepflicht. Dass die Erhöhung der Gefahr hier die Folge kriminellen Verhaltens Dritter war und dem Versi­che­rungs­nehmer als Tatopfer eines Erpres­sungs­versuchs wenig Handlungs­spielraum verblieb, der Gefahrerhöhung Erfolg versprechend zu begegnen, muss sich der Versicherer, der seinerseits keine Verantwortung für die veränderte Sachlage trägt, nicht entgegenhalten lassen.

Die Entscheidung war nach dem Versi­che­rungs­ver­trags­gesetz (VVG) in dessen früherer, bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung (a. F.) zu treffen.

Erläuterungen

*§ 27 VVG a. F.: [Ungewollte Gefahrerhöhung]

(1) Tritt nach dem Abschluss des Vertrags eine Erhöhung der Gefahr unabhängig von dem Willen des Versi­che­rungs­nehmers ein, so ist der Versicherer berechtigt, das Versi­che­rungs­ver­hältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zu kündigen. Die Vorschriften des § 24 Abs. 2 finden Anwendung.

(2) Der Versi­che­rungs­nehmer hat, sobald er von der Erhöhung der Gefahr Kenntnis erlangt, dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu machen.

§ 28 VVG a. F.: [Leistungs­freiheit]

(1) Wird die in § 27 Abs. 2 vorgesehene Anzeige nicht unverzüglich gemacht, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versi­che­rungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in welchem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen.

(2) Die Verpflichtung des Versicherers bleibt bestehen, wenn ihm die Erhöhung der Gefahr in dem Zeitpunkt bekannt war, in welchem ihm die Anzeige hätte zugehen müssen. Das gleiche gilt, wenn zur Zeit des Eintritts des Versi­che­rungsfalls die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt ist oder wenn die Erhöhung der Gefahr keinen Einfluss auf den Eintritt des Versi­che­rungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat.

**§ 29 VVG a. F.: [Unerhebliche Gefahrerhöhung]

Eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr kommt nicht in Betracht. Eine Gefahrerhöhung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn nach den Umständen als vereinbart anzusehen ist, dass das Versi­che­rungs­ver­hältnis durch die Gefahrerhöhung nicht berührt werden soll.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof

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