21.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 31544

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Bundesgerichtshof Urteil17.03.2022

Staat haftet nicht für Einnah­me­ausfälle wegen Corona-Betriebs­schließungenBGH weist Entschä­di­gungsklage wegen Corona-Lockdown ab

Der Bundes­ge­richtshofs hat über die Frage entschieden, ob der Staat für Einnah­me­ausfälle haftet, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebs­schließungen oder Betriebs­beschränkungen auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.

Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastro­no­mie­be­triebs. Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindäm­mungs­ver­ordnung, wonach Gaststätten für den Publi­kums­verkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beher­ber­gungs­stätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Publi­kums­verkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außer­haus­verkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Sofort­hil­fe­pro­gramms zahlte die Inves­ti­ti­o­nsbank Brandenburg 60.000 € als Corona-Soforthilfe an ihn aus. Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfas­sungs­rechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen. Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 € (Verdien­st­ausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeit­ge­ber­beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflege­ver­si­cherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlan­des­gericht erfolglos geblieben.

BGH verneint Entschä­di­gungs­an­spruch aus IfSG

Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Entschä­di­gungs­vor­schriften des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes (IfSG) gewähren Gewer­be­trei­benden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betrie­bs­be­schränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und der Kläger nicht gezielt personenbezogen als infek­ti­o­ns­schutz­recht­licher Störer in Anspruch genommen wurde. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldent­schä­digung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindäm­mungs­ver­ordnung vom 22. März 2020 sowie die Folge­ver­ord­nungen vom 17. April 2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 22. März 2020 deutschlandweit ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwen­dungs­bereich der Norm auf Bekämp­fungs­maß­nahmen, die zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt wird.

Vorschriften lässt keine ausdehnende Auslegung zu

Eine verfas­sungs­konforme Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, wie es in einem gestern veröf­fent­lichten Beschluss einer Kammer des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (Beschluss vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen wurde, scheidet aus. Die verfas­sungs­konforme Auslegung einer Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG ist klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Sinn vorzusehen.

IfSG-Entschä­di­gungs­vor­schriften auch nicht analog anwendbar

Der Kläger kann den geltend gemachten Entschä­di­gungs­an­spruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Entschä­di­gung­s­tat­be­ständen liegt, was sich insbesondere aus ihrer Entste­hungs­ge­schichte und der Gesetz­ge­bung­s­tä­tigkeit während der Corona-Pandemie ergibt, die abschließende gesetz­ge­be­rische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept einer punktuellen Entschä­di­gungs­ge­währung"). Darüber hinaus fehlt es auch an der Vergleich­barkeit der Interessenlage zwischen den Entschä­di­gungs­re­ge­lungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächen­de­ckenden Betrie­bs­schlie­ßungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.

Landes­ord­nungs­be­hör­den­gesetz tritt hinter IfSG zurück

Das Berufungs­gericht hat einen Entschä­di­gungs­an­spruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ordnungs­be­hör­den­ge­setzes für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als spezi­al­ge­setzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die Bestimmungen des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes Anwen­dungs­vorrang und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.

Auch keine Ansprüche aus enteignendem Eingriff

Ansprüche aus dem richter­rechtlich entwickelten Haftungs­in­stitut des enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrun­de­liegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigen­tum­s­ein­griffe nicht durch die Gewährung richter­recht­licher Ansprüche unterlaufen werden darf. Unabhängig davon ist der Anwen­dungs­bereich des Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und Schran­ken­be­stimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen. Es stünde - wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem Waldschä­den­urteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat - in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte - gestützt auf das richter­rechtliche Institut des enteignenden Eingriffs - im Zusammenhang mit einer Pande­mie­be­kämpfung im Anwen­dungs­bereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.

Auch kein Ausgleichs­an­spruch unter dem Gesichtspunkt der ausgleichs­pflichtigen Inhalts­be­stimmung

Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichs­pflichtigen Inhalts­be­stimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lasten­ver­teilung zu reagieren. Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger vorliegend einen Ausgleichs­an­spruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichs­pflichtigen Inhalts­be­stimmung zu gewähren.

Hilfeleistungen für schwer getroffene Wirtschafts­be­reiche keine Aufgabe der Staatshaftung

Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschafts­be­reiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozial­staats­prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem inner­staat­lichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichs­ansprüche der einzelnen Geschädigten begründen. Dieser sozial­staat­lichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er - wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen - haushalts­rechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenz­si­chernde Unter­stüt­zungs­zah­lungen an betroffene Unternehmen erlauben.

Auch keine Ansprüche aus Amtshaftung und enteig­nungs­gleichem Eingriff

Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und enteig­nungs­gleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staats­haf­tungs­ge­setzes des Landes Bandenburg hat das Berufungs­gericht zu Recht abgelehnt. Die Corona-Eindäm­mungs­ver­ordnung vom 22. März 2020 und die Folge­ver­ord­nungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die angeordneten Betrie­bs­schlie­ßungen, waren erforderlich, um die weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern. Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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