18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Bundesgerichtshof Urteil23.11.2017

BGH konkretisiert Pflichten der Schwimm­bad­aufsichtBeweislast bei Badeunfällen

Bei grob fahrlässigen Pflicht­ver­stößen des Aufsichts­per­sonals von Schwimmbädern trägt der Schaden­s­er­satz­pflichtige die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit der Pflicht­ver­let­zungen für Gesund­heits­schäden des Badegastes. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Im hier zu verhandelnden Fall macht seinerzeit die zwölfjährige Klägerin gegen die beklagte Gemeinde Schadensersatz wegen eines Badeunfalls in einem kommunalen Freibad geltend. Sie verfing sich unter Wasser mit einem Arm in dem Befes­ti­gungsseil einer Boje, die Teil der Markierung des Übergangs zwischen zwei Schwimm­be­reichen war.

Klägerin erleidet aufgrund Sauer­stof­f­entzugs irreparable Hirnschäden

Nachdem die Badeaufsicht bemerkt hatte, dass die Boje abgesenkt war, befragte sie zunächst zwei Kinder, ob sie das Befes­ti­gungsseil verknotet hatten, was diese verneinten. Daraufhin bat die Aufsichtsperson einen 13 oder 14 Jahre alten Jungen, zu der Boje zu schwimmen und nach der Ursache der Absenkung zu schauen. Als dieser nur "etwas Glitschiges" feststellen konnte - das Wasser war trübe, weil es sich um ein naturnahes Bad handelte - holte einer der beiden Bademeister zunächst seine Schwimmbrille im Gerätehaus, begab sich sodann ebenfalls in das Wasser, überprüfte die Boje und fand die leblose Klägerin unter Wasser vor. Er befreite sie aus dem Befes­ti­gungsseil und verbrachte sie an Land, wo sie reanimiert wurde. Aufgrund des Sauer­stof­f­entzugs erlitt die Klägerin massive, irreparable Hirnschä­di­gungen. Sie ist infolgedessen schwerst­be­hindert und wird zeitlebens pflegebedürftig bleiben.

Eltern: Vermeidung der Schäden bei schnellen pflichtgemäßen Handeln

Die durch ihre Eltern vertretene Klägerin hat behauptet, bei pflichtgemäßem Handeln der Badeaufsicht hätte dieser nach ein bis zwei Minuten auffallen müssen, dass die Boje abgesenkt war. Eine sofort eingeleitete Rettung hätte innerhalb von einer Minute erfolgen können. Bei entsprechendem Verhalten der Bademeister wären die eingetretenen Schäden vermieden worden. Ihre Rettung sei jedoch um mindestens drei Minuten verzögert worden.

OLG und LG weisen Klage ab

Das Oberlan­des­gericht hat die Klageabweisung durch das Landgericht bestätigt. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass ihre Gesundheitsschäden bei einer um drei Minuten schnelleren Bergung nicht eingetreten wären.

BGH: Vorinstanz muss Dauer der Rettung bei pflichtgemäßen Handeln prüfen

Der BGH hat das Urteil des Berufungs­ge­richts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Vorinstanz hat fehlerhaft allein auf die von der Klägerin behauptete Verzögerung ihrer Rettung abgestellt. Richtig ist jedoch zu prüfen, wie lange es bei pflichtgemäßem Verhalten gedauert hätte, die Klägerin zu retten, und ob bei Einhaltung dieser Zeit die Gesund­heits­schäden vermieden worden wären. In diesem Zusammenhang hat der Bundes­ge­richtshof die Pflichten der Badeaufsicht wie folgt konkretisiert:

Fortlaufende Beobachtung und regelmäßige Kontrollblicke

Zwar besteht keine Verpflichtung zur lückenlosen Beobachtung eines jeden Schwimmers. Die Schwimmaufsicht ist jedoch verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser fortlaufend zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken daraufhin zu überwachen, ob Gefah­ren­si­tua­tionen für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Beobachtungsort so wählen, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht werden kann, was gegebenenfalls häufigere Standortwechsel erfordert. Zu den Aufgaben der Aufsichts­personen in einem Schwimmbad gehört es weiter, in Notfällen für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen.

Rechtslage mit der im Arzthaf­tungsrecht vergleichbar

Das Berufungs­gericht muss nunmehr prüfen, wie lange es unter Beachtung dieser Kriterien gedauert hätte, die Notlage der Klägerin zu erkennen und sie zu retten. Weiterhin ist festzustellen, ob die eingetretenen Hirnschäden der Klägerin vermieden worden wären, wenn ihre Rettung innerhalb dieser Zeit erfolgt wäre. Für den Fall, dass sich dies nicht beweisen lässt, geht das nicht zum Nachteil der Klägerin, sondern zum Nachteil der Beklagten, sofern das Berufungs­gericht das Verhalten der Badeaufsicht als grob fahrlässig bewertet (Beweis­la­st­umkehr). Die Rechtslage ist in dieser Hinsicht mit der im Arzthaf­tungsrecht vergleichbar. Hier wie dort handelt es sich um Pflichten die spezifisch auf den Schutz von Leben und Gesundheit gerichtet sind. Die Verletzung der Schutzpflichten der Schwimmaufsicht ist, wenn ein Badegast einen Gesund­heits­schaden erleidet - nicht anders als bei ärztlichen Pflicht­ver­stößen - dazu geeignet, aufgrund der komplexen, im Nachhinein nicht mehr exakt rekon­stru­ierbaren Vorgänge im menschlichen Organismus erhebliche Aufklä­rungs­er­schwernisse in das Geschehen hineinzutragen, so dass es der Billigkeit entspricht, für den Fall einer groben Pflichtverletzung dem Geschädigten die regelmäßige Beweis­last­ver­teilung nicht mehr zuzumuten.

Quelle: Bundesgerichtshof/ ra-online

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