21.11.2024
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Dokument-Nr. 8133

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Bundesgerichtshof Urteil04.06.2009

BGH zu Schaden­s­er­satz­ansprüche dänischer Schweinezüchter und Schlacht­hof­ge­sell­schaftenSchadensersatz aufgrund eingeschränkten Imports

Der Bund dänischer Schweinezüchter hat Anspruch auf Schadensersatz, da Deutschland zwischen 1993 und 1999 entgegen dem EU-Recht die Einfuhr von Fleisch nicht kastrierter männlicher Schweine aus Dänemark erheblich einschränkte. Gleichermaßen müsse aber geklärt werden, ob der von den Schwei­ne­züchtern geltend gemachte Anspruch wirklich auf den der Beklagten angelasteten Verstößen beruht. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Die Klägerin ein Branchenverband genos­sen­schaftlich organisierter dänischer Schlacht­hof­ge­sell­schaften und Schweinezüchter - begehrt aus abgetretenem Recht ihrer Mitglieder von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz wegen der Verletzung europäischen Gemein­schafts­rechts. Sie wirft der Beklagten vor, von Anfang 1993 bis 1999 für Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen aus Dänemark faktisch ein Importverbot verhängt zu haben, durch das ihren Mitgliedern in der genannten Zeit ein Schaden von mindestens 280.000.000 DM entstanden sei.

Sachverhalt

In Dänemark wurden seit Anfang der neunziger Jahre nicht kastrierte männliche Schweine als Schlachttiere gezüchtet. Deren Fleisch kann beim Erhitzen einen strengen Geruch oder Geschmack aufweisen, wobei diese Gefahr mit zunehmendem Alter und Gewicht der Schweine zum Schlacht­zeitpunkt zunimmt. Um geruchs­be­lastetes Fleisch feststellen und aussortieren zu können, wurde beim Schlachtvorgang das Skatol, ein im Darm gebildetes Abbauprodukt, gemessen. Nach Auffassung der Beklagten geht die Geruchs­be­lastung jedoch auf das Hormon Androstenon zurück, dessen Bildung durch eine frühe Kastration ausgeschaltet werden könne, während die Prüfung des Skatolgehalts zu keinen zuverlässigen Ergebnissen führe.

Genuss­taug­lichkeit ist durch veteri­när­rechtliche Kontrolle zu prüfen

Durch die Veteri­nä­r­kon­troll­richtlinie 89/622/EWG wurde das bisherige System der Grenzkontrollen zugunsten einer durch den Versand­mit­gliedstaat durch­zu­füh­renden veteri­när­recht­lichen Kontrolle abgelöst, so dass die Genuss­taug­lichkeit prinzipiell in diesem Staat zu prüfen war. Den zuständigen Behörden an den Bestim­mungsorten sollte nur eine nicht diskri­mi­nierende veteri­när­rechtliche Kontrolle im Stich­pro­ben­ver­fahren vorbehalten bleiben. In der Frisch­flei­sch­richtlinie 64/433/EWG in der Fassung der zum 1. Januar 1993 umzusetzenden Richtlinie 91/497/EWG war bestimmt, dass der amtliche Tierarzt Fleisch, das einen starken Geschlechts­geruch aufweist, für genuss­un­tauglich erklärt und dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen mit einem Tierkör­per­gewicht von mehr als 80 kg ein besonderes Kennzeichen trägt und einer Hitzebehandlung unterzogen wird, es sei denn, der Betrieb könne durch eine von den zuständigen Behörden anerkannte Methode sicherstellen, dass Schlachtkörper mit einem starken Geschlechts­geruch festgestellt werden können.

Deutschland benennt eigene Prüfmaßstäbe

Im Januar 1993 teilte der Bundesminister für Gesundheit den obersten Veteri­nä­r­be­hörden der Mitgliedstaaten mit, die Frisch­flei­sch­richtlinie werde in der Weise in nationales deutsches Recht umgesetzt, dass unabhängig von der Gewichtsgrenze ein Wert von ,5 µg/g Androstenon festgesetzt werde, bei dessen Überschreitung das Fleisch einen starken Geschlechts­geruch aufweise, genuss­un­tauglich sei und nicht als frisches Fleisch in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden dürfe. Alle Sendungen von Schweinefleisch aus anderen Mitgliedstaaten würden nach der Veteri­nä­r­kon­troll­richtlinie – unabhängig von ihrer Genuss­taug­lich­keits­kenn­zeichnung – am Bestimmungsort auf die Einhaltung dieses Grenzwertes überprüft. Dementsprechend wurden in der Folgezeit zahlreiche Lieferungen von Schweinefleisch aus Dänemark von den deutschen Behörden geprüft und bei Überschreitung des Andros­te­non­grenz­wertes beanstandet und zurückgewiesen.

Verstoß gegen Richt­li­ni­en­be­stim­mungen

Auf eine von der Kommission im Jahr 1996 erhobene Vertrags­ver­let­zungsklage stellte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil vom 12. November 1998 (Rs. C-102/96) einen Verstoß der Beklagten gegen die genannten fest. Darauf wurde mit Wirkung zum 1. April 1999 die Vorschrift des § 17 der Fleisch­hy­gi­e­ne­ver­ordnung an das Gemeinschaftsrecht angepasst.

Bei Beachtung des Gemein­schafts­rechts hätte auf Kastration verzichtet werden können

Die Klägerin hat den geltend gemachten Schaden­s­er­satz­an­spruch auf die Behauptung gestützt, die dänischen Schweinezüchter und Schlacht­hof­ge­sell­schaften hätten im Hinblick auf das gemein­schafts­widrige Verhalten der Beklagten die Produktion nicht kastrierter männlicher Schweine zunächst vermindert und im Oktober 1993 nahezu vollständig eingestellt. Um den Export von Schweinefleisch nach Deutschland nicht zu gefährden, seien männliche Schweine in dem notwendigen Umfang kastriert aufgezogen worden. In der Zeit von 1993 bis 1999 seien etwa 39 Millionen Schweine für die Vermarktung in Deutschland geschlachtet worden, auf deren Kastration bei Beachtung des Gemein­schafts­rechts hätte verzichtet werden können. Bei der Vermarktung einer entsprechenden Menge unkastrierter männlicher Schweine hätten sich für sie Kosten­ein­spa­rungen von mindestens 280.000.000 DM ergeben.

Ansprüche verjährt?

Beide Vorinstanzen haben die Beklagte dem Grunde nach für verpflichtet gehalten, der Klägerin den erlittenen Schaden zu ersetzen. Das Landgericht hat die Klage im Hinblick auf die Beantragung eines Mahnbescheids am 6. Dezember 1999 allerdings insoweit als verjährt abgewiesen, als es um Ersatzansprüche für Schäden geht, die bis zum 6. Dezember 1996 entstanden sind. Demgegenüber hat das Berufungs­gericht die Ansprüche insgesamt für unverjährt angesehen. Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage begehrt.

Bundes­ge­richtshof wendet sich an Europäischen Gerichtshof

Der Bundes­ge­richtshof hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2006 dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG verschiedene Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt, die sich darauf bezogen, inwieweit sich die betroffenen Produzenten und Vermarkter von Schweinefleisch bei der Verletzung harmo­ni­sie­render Richtlinien auf Rechte beziehen können, die ihnen das Primärrecht verleiht, und inwieweit Grundsätze des Gemein­schafts­rechts auf die prinzipiell dem nationalen Recht überlassene Regelung der näheren Ausgestaltung des gemein­schafts­recht­lichen Staats­haf­tungs­an­spruchs, insbesondere in Bezug auf seine Verjährung und auf den Vorrang des Primär­rechts­schutzes, einwirken. Der Gerichtshof hat diese Fragen mit Urteil vom 24. März 2009 (Rs. C-445/06) beantwortet.

Der unter anderem für Staats­haf­tungs­ansprüche zuständige III. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat das angefochtene Urteil des Oberlan­des­ge­richts nun aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, weil noch nicht hinreichend festgestellt worden ist, ob der von der Klägerin geltend gemachte Schaden auf den der Beklagten angelasteten Verstößen beruht.

Gemeinschaftsrecht

Gemeinschaftsrecht liegt vor'> In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat der Senat in der Mitteilung des Bundesministers der Gesundheit und in der unterlassenen Anpassung der Vorschriften der Fleisch­hy­gi­e­ne­ver­ordnung an den Inhalt der Frisch­flei­sch­richtlinie einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen europäisches Gemein­schaftsrecht gesehen, durch den die Rechte der dänischen Schweinezüchter und Schlacht­hof­ge­sell­schaften aus der Waren­ver­kehrs­freiheit (Art. 28 EG) verletzt worden sind. Er hat den Einwand der Beklagten für nicht berechtigt gehalten, die Klägerin habe es unterlassen, Primär­rechts­schutz gegen diesen Verstoß in Anspruch zu nehmen, weil eine Feststel­lungsklage gegen die Beklagte als Normgeber nicht zulässig gewesen sei. Die Klägerin müsse sich auch nicht entgegenhalten lassen, falls sich Importeure - was nicht aufgeklärt worden ist - möglicherweise nicht gegen die Zurückweisung von Fleisch­sen­dungen gewehrt hätten.

Verjährung verneint

In der Frage der Verjährung des gemein­schafts­recht­lichen Staats­haf­tungs­an­spruchs bis zur Neuregelung des Verjäh­rungs­rechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts zum 1. Januar 2002 hat der Senat unter Berück­sich­tigung der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft aufgezeigten gemein­schafts­recht­lichen Grundsätze der Gleich­wer­tigkeit und der Effektivität die Anwendung der dreißigjährigen Regelverjährung nach § 195 BGB a. F. für geboten erachtet, weil es in der maßgeblichen Zeit zwischen 1996 und 1999 zu dieser Frage in der Rechtsprechung und im wissen­schaft­lichen Schrifttum keine weitgehend einhellige Auffassung für die Anwendung der dreijährigen Verjäh­rungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a. F. gegeben hat, die eine revisi­ons­rechtliche Klärung der Frage hätte entbehrlich machen können.

Der Senat ist jedoch den Rügen der Beklagten gefolgt, die Vorinstanzen hätten bislang keine hinreichenden Feststellungen zur Frage getroffen, ob der Verzicht auf die Produktion und Vermarktung unkastrierter männlicher Schweine unmittelbar auf die Verstöße der Beklagten gegen das Gemein­schaftsrecht zurückgeht oder auf einen autonomen, betrie­bs­wirt­schaftlich begründeten Entschluss der Klägerin, die erkannt habe, dass der Verkauf unkastrierter männlicher Schweine auf dem deutschen Markt nicht ausreichend akzeptiert werde.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 149/09 des BGH vom 09.07.2009

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