21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil06.10.2016

Kunduz: Keine Anwendung des deutschen Amtshaf­tungs­rechts auf bewaffnete Ausland­s­e­insätze der BundeswehrKein Schaden­s­er­satz­an­spruch für nahe Angehörige der getöteten Zivilisten

Das deutsche Amtshaf­tungsrecht findet keine Anwendung auf Schadensfälle, die bei dem bewaffneten Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte ausländischen Bürgern zugefügt werden. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Im vorliegenden Fall nehmen die Kläger, afghanische Staats­an­ge­hörige, die beklagte Bundesrepublik Deutschland mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch, nahe Angehörige seien bei einem Militäreinsatz getötet worden. Der Klage liegt ein Luftangriff auf zwei von Taliban-Kämpfern entführte, in der Nähe von Kunduz (Afghanistan) auf einer Sandbank liegen­ge­bliebene Tanklastzüge zugrunde. Diese wurden auf Befehl des Kommandeurs des Provincial Reconstruction Teams (PRT) im Feldlager Kunduz, eines Offiziers der Bundeswehr, am 4. September 2009 im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes durch zwei US-amerikanische Kampfflugzeuge zerstört. Dabei kamen auch Zivilisten ums Leben.

Klage scheitert in Vorinstanzen

Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.

BGH: Amtshaf­tungsrecht nicht auf militärische Handlungen anwendbar

Der Bundes­ge­richtshof hat in Bestätigung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass den Klägern kein unmittelbarer völker­recht­licher Schaden­s­er­satz­an­spruch zusteht und sie auch keinen Schaden­s­er­satz­an­spruch nach nationalem (deutschen) Recht haben, da das Amtshaf­tungsrecht (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG) auf militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Ausland­s­e­in­sätzen nicht anwendbar ist.

Kein Anspruch des Einzelnen auf Schadenersatz oder Entschädigung

Es gibt nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung zusteht. Schaden­s­er­satz­ansprüche wegen völker­rechts­widriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staats­an­ge­hörigen stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu, der seinen Staats­an­ge­hörigen diplomatischen Schutz gewährt.

Keine Entscheidung über Ausdehnung des Anwen­dungs­be­reichs der Amtshaftung erfolgt

Bei Schaffung des zusammen mit dem gesamten Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen § 839 BGB dachte der Gesetzgeber nicht daran, dass hierdurch auch Schäden durch militärische Kampfhandlungen im Ausland ersatzfähig sein sollten. Dementsprechend stand nach dem traditionellen Verständnis des Amtshaftungs- und Völkerrechts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs rechtlich außer Frage, dass militärische (Kriegs-)Handlungen im Ausland vom damaligen Amtshaf­tung­s­tat­bestand (§ 839 BGB i.V.m. Art. 131 der Weimarer Reichs­ver­fassung) ausgenommen waren. Bei Erarbeitung der Vorschrift des Art. 34 GG und bei Inkrafttreten des Grundgesetzes hatte der historische Gesetzgeber weder die Aufstellung deutscher Streitkräfte noch deren Beteiligung an Kampfhandlungen im Ausland im Blick. Auch in der Folgezeit ist keine gesetz­ge­be­rische Entscheidung dahingehend erfolgt, den Anwen­dungs­bereich der Amtshaftung auf militärische Kampfeinsätze im Ausland auszudehnen. Der Wortlaut der maßgebenden Bestimmungen des Amtshaf­tungs­rechts ist bis heute unverändert geblieben. Wie der allgemeine Aufop­fe­rungs­an­spruch, der Kriegsschäden nicht erfasst, ist die Vorschrift des § 839 BGB auf den "normalen Amtsbetrieb" zugeschnitten. Die Entschei­dungs­si­tuation eines verwal­tungsmäßig handelnden Beamten kann nicht mit der Gefechts­si­tuation eines im Kampfeinsatz befindlichen Soldaten gleichgesetzt werden.

Völker­recht­liches Haftungsregime als speziellere Regelung ansehbar

Gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Amtshaf­tung­s­tat­be­stands bei Kampfhandlungen deutscher Streitkräfte im Ausland sprechen auch systematische Erwägungen in Bezug auf das völker­rechtliche Haftungsregime, das als eine das nationale Recht überlagernde, speziellere Regelung anzusehen ist.

Folgen einer Ausweitung des Anwen­dungs­be­reichs

Die Werteordnung des Grundgesetzes zwingt nicht zur Ausweitung des Anwen­dungs­be­reichs der Amtshaf­tungs­normen. Würde man das anders sehen, könnte es in mehrfacher Hinsicht zu Beein­träch­ti­gungen der von Verfassungs wegen geforderten Bündnis­fä­higkeit Deutschlands und des außen­po­li­tischen Gestal­tungs­spielraums kommen (z.B. Zurechnung völker­rechts­widriger Handlungen eines anderen Bündnispartners, kaum eingrenzbare - gesamt­s­chuld­ne­rische - Haftungsrisiken). Unter dem Gesichtspunkt der Haushalts­prä­ro­gative des Parlaments ist die Entscheidung über die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichs­ansprüchen im Zusammenhang mit bewaffneten Ausland­s­e­in­sätzen deutscher Streitkräfte dem Gesetzgeber vorbehalten und kann nicht Gegenstand richterlicher Rechts­fort­bildung sein.

Keine Amtspflicht­ver­letzung gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrechts feststellbar

Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des deutschen Amtshaf­tungs­rechts scheitert ein hierauf gestützter Schaden­s­er­satz­an­spruch der Kläger im Streitfall jedenfalls daran, dass im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf die beiden entführten Tanklastwagen keine Amtspflicht­ver­let­zungen deutscher Soldaten oder Dienststellen im Sinne konkreter schuldhafter Verstöße gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrecht zum Schutze der Zivil­be­völ­kerung festgestellt sind. Das Berufungs­gericht hat seiner Entscheidung rechts­feh­lerfrei zugrunde gelegt, dass für den PRT-Kommandeur nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Aufklä­rungs­mög­lich­keiten die Anwesenheit von Zivilpersonen im Zielbereich des Luftangriffs objektiv nicht erkennbar war. Die getroffene militärische Entscheidung war daher völkerrechtlich zulässig.

Erläuterungen

§ 839 BGB lautet:

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflicht­ver­letzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Art. 34 GG lautet:

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verant­wort­lichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

Art. 131 der Weimarer Reichs­ver­fassung lautete:

(1) Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortung grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden.

(2) Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.

Quelle: Bundesgerichtshof/ ra-online

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