21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.08.2013

Keine Schadens­ersatz­pflicht der BRD wegen ziviler Opfer eines NATO-Luftangriffs im Kosovo-KriegBVerfG verneint Existenz allgemeiner Regel des Völkerrechts für Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung Einzelner gegen den verant­wort­lichen Staat

Das Bundes­verfassungs­gericht hat Verfassungs­beschwerden wegen der Tötung und Verletzung von Zivilpersonen bei der Zerstörung einer Brücke im Kosovo-Krieg mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Fachgerichte - zuletzt der Bundes­ge­richtshof - hatten diesbezügliche Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz und Schmerzensgeld abgewiesen; diese Entscheidungen haben im Ergebnis Bestand.

Während der Luftoperation „Allied Force“ griffen zwei Kampfflugzeuge der NATO am 30. Mai 1999 in der serbischen Stadt Varvarin eine Brücke über den Fluss Morawa an und zerstörten sie durch den Beschuss mit insgesamt vier Raketen. Infolge dieses Angriffs wurden zehn Menschen getötet und 30 verletzt, 17 davon schwer, wobei es sich durchweg um Zivilpersonen handelte. Flugzeuge der Bundesrepublik Deutschland waren an der Zerstörung der Brücke nicht unmittelbar beteiligt, befanden sich jedoch am Tag des Angriffs im Einsatz. Ob und inwieweit die eingesetzten deutschen Aufklä­rungs­flugzeuge auch den Angriff auf die Brücke von Varvarin abgesichert haben, ist zwischen den Beschwer­de­führern und der Bundesrepublik Deutschland im fachge­richt­lichen Verfahren streitig geblieben.

Schaden­s­er­satzklage vor den Zivilgerichten in allen Instanzen erfolglos

Die Beschwer­de­führer nehmen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz und auf Schmerzensgeld wegen der Tötung ihrer Angehörigen bzw. ihrer eigenen Verletzungen in Anspruch. Vor den Zivilgerichten blieben die Klagen in allen Instanzen erfolglos. Hiergegen wenden sich die Beschwer­de­führer mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden.

Verfas­sungs­be­schwerden im Hinblick auf völker­rechtliche Ansprüche unbegründet

Die Verfas­sungs­be­schwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Die Verfas­sungs­be­schwerden sind jedenfalls unbegründet, soweit völker­rechtliche Ansprüche betroffen sind.

Haager Abkommen begründet keine unmittelbaren individuellen Schadensersatz- oder Entschä­di­gungs­ansprüche bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht

Mit der Verfassungsbeschwerde kann zwar grundsätzlich geltend gemacht werden, dass zivil­ge­richtliche Urteile nicht zur verfas­sungs­mäßigen Ordnung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG gehörten, weil sie sich über völker­ge­wohn­heits­rechtliche Regeln hinweggesetzt hätten. Es gibt jedoch keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung gegen den verant­wort­lichen Staat zusteht. Derartige Ansprüche stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat des Geschädigten zu oder sind von diesem geltend zu machen. Art. 3 des IV. Haager Abkommens und Art. 91 des Protokolls I begründen keine unmittelbaren individuellen Schadensersatz- oder Entschä­di­gungs­ansprüche bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, weshalb offenbleiben kann, ob diese Vorschriften völker­ge­wohn­heits­rechtliche Geltung erlangt haben.

Recht auf gesetzlichen Richter nicht verletzt

Die Beschwer­de­führer sind auch nicht in ihrem grund­rechts­gleichen Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist zwar geboten, wenn das erkennende Gericht bei der Prüfung der Frage, ob und mit welcher Tragweite eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, auf ernstzunehmende Zweifel stößt, mag das Gericht selbst auch keine Zweifel haben. Unzweifelhaft besteht jedoch keine allgemeine Regel des Völkerrechts dergestalt, dass Individuen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einen unmittelbaren Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung gegen den verant­wort­lichen Staat haben. Eine Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht war daher nicht geboten; sie wäre sogar unzulässig gewesen.

BVerfG bejaht verfas­sungs­rechtliche Bedenken im Hinblick auf Zubilligung eines Beurtei­lungs­spielraums bei der Auswahl militärischer Ziele für die BRD

Soweit Grund­rechts­ver­let­zungen wegen der Ablehnung von Amtshaf­tungs­ansprüchen geltend gemacht werden, ist deutlich abzusehen, dass die Beschwer­de­führer auch nach einer Zurück­ver­weisung an die Fachgerichte im Ergebnis keinen Erfolg hätten. Zwar bestehen verfas­sungs­rechtliche Bedenken gegen die Entscheidungen des Oberlan­des­ge­richts und des Bundes­ge­richtshofs, soweit sie der Bundesregierung einen Beurtei­lungs­spielraum bei der Auswahl militärischer Ziele zubilligen und eine unein­ge­schränkte Darlegungs- und Beweislast der Beschwer­de­führer für den subjektiven Haftung­s­tat­bestand annehmen.

Abschließende Entscheidung über Rechtmäßigkeit des Angriffs auf die Brücke konnte noch nicht getroffen werden

In der Sache kann jedoch nicht unberück­sichtigt bleiben, dass auf der Stufe der als amtspflicht­widrig gerügten Maßnahme - der wider­spruchslosen Aufnahme der Brücke von Varvarin in die Zielliste - noch keine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des konkreten Angriffs auf die Brücke getroffen wurde und auch nicht getroffen werden konnte. Demgemäß galt für die Erstellung der Ziellisten von vornherein ein anderer Sorgfalts­maßstab als für die konkrete Einsat­zent­scheidung. Nach dem Sach- und Streitstand spricht alles dafür, dass sich dieser Sorgfalts­maßstab im Ergebnis nicht von demjenigen unterscheidet, den Oberlan­des­gericht und Bundes­ge­richtshof entwickelt haben.

Deutsche Amtsträger hätten für mögliche Haftung Kenntnis von konkreten Umständen des Angriffs Kenntnis haben müssen

Auch kann ein den Beschwer­de­führern günstigeres Ergebnis wohl für den Fall ausgeschlossen werden, dass das nach Zurück­ver­weisung mit der Sache befasste Gericht der beklagten Bundesrepublik Deutschland eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Denn eine Haftung kommt nur in Betracht, wenn deutsche Amtsträger von den konkreten Umständen des Angriffs Kenntnis gehabt hätten. Diese Kenntnis hat die Bundesrepublik Deutschland unter Hinweis auf die „need-to-know-Regel“ widerlegt, nach der es militärischer Praxis bei NATO-Operationen entspricht, dass nur die unmittelbar mit der Operation befassten Streitkräfte die für den Einsatz notwendigen Informationen erhalten. Es ist nicht ersichtlich, was die Bundesrepublik Deutschland weiter hätte vortragen sollen oder können, um ihre fehlende Kenntnis darzulegen oder den Beschwer­de­führern sachgerechten Vortrag zu ermöglichen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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