18.10.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 1993

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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.02.2006

Keine Schaden­s­er­satz­pflicht der BRD gegenüber Geschädigten eines SS-Massakers

Die Verfas­sungs­be­schwerde betraf die Frage der Schadensersatz- und Entschä­di­gungs­pflicht der Bundesrepublik Deutschland für während der Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg von Angehörigen der deutschen Streitkräfte verübte „Vergel­tungs­maß­nahmen“.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nahm die Verfas­sungs­be­schwerde, die sich gegen die eine Ersatzpflicht ablehnenden gerichtlichen Entscheidungen wandte, nicht zur Entscheidung an.

Sachverhalt:

Die Beschwer­de­führer sind griechische Staats­an­ge­hörige. Ihre Eltern wurden am 10. Juni 1944 im Zuge einer an den Einwohnern der griechischen Ortschaft Distomo verübten „Vergel­tungs­aktion“ von Angehörigen einer in die deutschen Besat­zungs­truppen eingegliederten SS-Einheit erschossen, nachdem es zuvor zu einer bewaffneten Ausein­an­der­setzung mit Partisanen gekommen war. Insgesamt töteten die Soldaten zwischen 200 und 300 der – an den Parti­sa­nen­kämpfen unbeteiligten – Dorfbewohner, darunter vor allem alte Menschen, Frauen und Kinder. Das Dorf wurde niedergebrannt. Die damals minderjährigen Beschwer­de­führer erlitten in Folge des Verlustes ihrer Eltern – von materiellen Schäden abgesehen – psychische Schäden sowie Nachteile in ihrer beruflichen Ausbildung und ihrem Fortkommen. Eine gegen die Bundesrepublik Deutschland im September 1995 eingereichte Klage der Beschwer­de­führer auf Schadensersatz blieb vor dem Landgericht, dem Oberlan­des­gericht und dem Bundes­ge­richtshof erfolglos. Demgegenüber hatte in einem in Griechenland geführten Paral­lel­ver­fahren, an dem unter anderem die Beschwer­de­führer beteiligt waren, das zuständige Landgericht Livadeia im Oktober 1997 entschieden, dass die wegen desselben Sachverhalts geltend gemachten Schaden­s­er­satz­ansprüche begründet seien.

Dem Nicht­an­nah­me­be­schluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Der Bundes­ge­richtshof hat eine Bindung an das Urteil des griechischen Landgerichts Livadeia zu Recht abgelehnt. Nach geltendem Völkerrecht kann ein Staat Befreiung von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates beanspruchen, soweit es – wie hier – um die Beurteilung seines hoheitlichen Verhaltens geht.

2. Art. 14 Abs. 1 GG (Eigen­tums­ga­rantie) ist nicht verletzt. Die Beschwer­de­führer haben weder völker­rechtliche noch amtshaftungs- oder aufop­fe­rungs­rechtliche Ersatz- und Entschä­di­gungs­ansprüche. Art. 3 des IV. Haager Abkommens, wonach eine Kriegspartei im Falle eines Verstoßes gegen die Haager Landkriegs­ordnung grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet ist, begründet keinen individuellen Entschä­di­gungs­an­spruch. Er regelt einen sekundären Schaden­s­er­satz­an­spruch, der nur in dem Völker­rechts­ver­hältnis zwischen den betroffenen Staaten besteht.

Den Beschwer­de­führern steht auch kein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung zu. Im vorliegenden Fall gelangt der Haftungs­aus­schluss in § 7 RBHG a. F. zur Anwendung, wonach Angehörigen eines ausländischen Staates ein Amtshaf­tungs­an­spruch gegen die Bundesrepublik Deutschland nur dann zustand, wenn durch Gesetzgebung des ausländischen Staates oder durch Staatsvertrag die Gegenseitigkeit verbürgt war. Eine solche Verbürgung seitens Griechenlands gegenüber Deutschland lag im Zeitpunkt des Geschehens aber nicht vor. Der Haftungs­aus­schluss ist anwendbar, weil das Geschehen in Distomo als formell dem Kriegs­völ­kerrecht unterliegender Sachverhalt zu qualifizieren ist, dem kein spezifisch natio­nal­so­zi­a­lis­tisches Unrecht eigen und der deshalb nicht dem getrennt geregelten Bereich der Wieder­gut­machung von NS-Unrecht zuzuordnen ist.

Die Ablehnung von Entschä­di­gungs­ansprüchen aus enteig­nungs­gleichem Eingriff und Aufopferung ist ebenfalls verfas­sungs­rechtlich unbedenklich. Diese Anspruchs­grundlage, die für Sachverhalte des alltäglichen Verwal­tungs­handelns entwickelt wurde, kann nach der maßgeblichen deutschen Rechtsordnung auf Kriegsschäden nicht angewendet werden.

3. Auch der allgemeine Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot ist nicht verletzt. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, zwischen einem allgemeinen, wenn auch harten und mit Verstößen gegen das Völkerrecht einhergehenden Kriegsschicksal einerseits und Opfern von in besonderer Weise ideologisch motivierten Verfol­gungs­maß­nahmen des natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Unrechtsregimes andererseits zu unterscheiden. Des weiteren hat sich die Bundesrepublik Deutschland durch Repara­ti­o­ns­leis­tungen und Entschä­di­gungs­zah­lungen auf der Grundlage bilateraler Abkommen ihrer völker­recht­lichen Verantwortung gestellt. Bei aller prinzipiellen Unzuläng­lichkeit der Wieder­gut­machung menschlichen Leids durch finanzielle Mittel ist dadurch – und mittels der internationalen und europäischen Zusammenarbeit – versucht worden, einen Zustand näher am Völkerrecht herzustellen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 14/06 des BVerfG vom 03.03.2006

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