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Dokument-Nr. 6007

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Beschluss05.05.2008BundesgerichtshofII ZR 292/06
Vorinstanzen:
  • Landgericht München I, Urteil25.04.2006, 34 O 16095/05
  • Oberlandesgericht München, Urteil23.11.2006, 8 U 3479/06
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss05.05.2008

Verbrau­cher­schutz: BGH zur Auslegung der Haustür­ge­schäfte-RichtlinieVorla­ge­be­schluss des Bundes­ge­richtshofs an den Europäischen Gerichtshof

Die Parteien streiten im Rahmen einer Vollstre­ckungs­ab­wehrklage über die Frage, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ausgleich des nach seinem Ausscheiden aus einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bestehenden negativen Ausein­an­der­set­zungs­gut­habens zusteht.

I. Der Beklagte hat am 23. Juli 1991 aufgrund von Verhandlungen, die in seiner Privatwohnung geführt worden sind, seinen Beitritt zu dem aus 46 Gesellschaftern bestehenden geschlossenen Immobilienfonds erklärt. Gegenstand dieser Publi­kums­ge­sell­schaft ist die Instandsetzung, Modernisierung und Verwaltung eines Grundstücks in Berlin.

In einem Vorprozess forderte die Klägerin als Geschäfts­führerin der GbR vom Beklagten die Zahlung von Nachschüssen, die die Gesell­schaf­ter­ver­sammlung der GbR zur Beseitigung von Unterdeckungen beschlossen hatte. Im Laufe des Verfahrens hat der Beklagte seine Mitgliedschaft in der GbR fristlos gekündigt und die Beitritts­er­klärung nach § 3 HWiG (jetzt § 312 BGB) widerrufen. Die Klage ist im Vorprozess mit der Begründung abgewiesen worden, nach wirksamer Kündigung des Gesell­schafts­bei­tritts durch den Beklagten bestünden zwischen den Parteien lediglich noch Ansprüche nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft. Die Nachschuss­for­derung sei daher nicht mehr selbständig einklagbar, sondern sie sei als unselbständiger Rechnungsposten in die infolge des Ausscheidens des Beklagten auf den Tag des Wirksamwerdens des Ausscheidens zu erstellende Ausein­an­der­set­zungs­rechnung einzustellen.

Die Klägerin hat dieser Rechtsansicht des Berufungs­ge­richts im Vorprozess Rechnung getragen und zum Stichtag 6. August 2002 eine Ausein­an­der­set­zungs­rechnung erstellt, die ein negatives Ausein­an­der­set­zungs­guthaben des Beklagten in Höhe von 16.319,00 € ausweist.

Der Beklagte betreibt gegen die Klägerin die Zwangs­voll­streckung aus dem Kosten­fest­set­zungs­be­schluss des Vorprozesses. Die Klägerin hat mit ihrer Forderung gegen den Beklagten auf Zahlung des negativen Ausein­an­der­set­zungs­gut­habens die Aufrechnung gegen die Forderung aus dem Kosten­fest­set­zungs­be­schluss erklärt und im vorliegenden Rechtsstreit Vollstre­ckungs­ge­genklage erhoben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungs­gericht hat sie auf die Berufung des Beklagten im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, zwar führe der unstreitig erklärte und wirksame Widerruf der Beitritts­er­klärung des Beklagten zu der GbR nach § 3 HWiG grundsätzlich zu einer Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft mit der Folge, dass der widerrufende Gesellschafter lediglich Anspruch auf sein Ausein­an­der­set­zungs­guthaben habe. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Ausein­an­der­setzung zu einer Zahlungspflicht des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft führe. Diese Folge verstoße gegen die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbrau­cher­schutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (Haustür­ge­schäfte-RL), da aus dieser klar hervorgehe, dass den Verbraucher infolge des Widerrufs keine Verpflichtungen aus dem widerrufenen Vertrag mehr treffen dürften und empfangene Leistungen zurück­zu­ge­währen seien. Dagegen richtet sich die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision der Klägerin.

II. Die Entscheidung des Berufungs­ge­richts steht in Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofes, der in der Literatur weitgehend zugestimmt wird. Danach finden zwar auf den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Perso­nen­ge­sell­schaft, zu dem ein Verbraucher durch mündliche Verhandlungen im Bereich seiner Privatwohnung bestimmt worden ist, die Vorschriften des Gesetzes über den Widerruf von Haustür­ge­schäften und ähnlichen Geschäften (jetzt: §§ 312, 355 ff BGB) Anwendung z. B. Anleger der "Göttinger Gruppe" können ihre Einlagen zurückverlangen (Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 21.03.2005 - II ZR 124/03, II ZR 140/03, II ZR 149/03, II ZR 180/03 und II ZR 310/03 -)). Widerruft der in einer sog. Haustür­si­tuation beigetretene Gesellschafter seine Beitritts­er­klärung zu einem geschlossenen Immobilienfonds der hier vorliegenden Art (dasselbe Problem kann sich auch bei Immobilienfonds in Gestalt von Komman­dit­ge­sell­schaften oder bei einem Beitritt zu einem Verein oder einer Genossenschaft stellen), sieht die Rechtsprechung - von der h. A. in der Literatur ebenfalls geteilt - darin jedoch keinen ex tunc wirkenden Rücktritt von dem Gesell­schafts­beitritt, sondern behandelt die Erklärung unter Heranziehung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft als außer­or­dentliche ex nunc wirkende Kündigung, die folgerichtig nicht zu einer rückwirkenden Beseitigung der Gesell­schaf­ter­stellung im Sinne einer grundsätzlich in § 3 HWiG für den Fall des Widerrufs vorgesehenen Rückabwicklung des Vertrages führen kann: Nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft wird der widerrufende Gesellschafter bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung wie ein Gesellschafter mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten behandelt. Er ist zur Leistung seiner Einlage, soweit sie noch nicht vollständig erbracht ist, verpflichtet und nimmt bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens an den Gewinnen und Verlusten der Gesellschaft teil.

Die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft finden generell nur dann keine Anwendung, wenn der in Vollzug gesetzte fehlerhafte Gesell­schafts­vertrag oder der vollzogene fehlerhafte Beitritt einen Geschäfts­un­fähigen oder Minderjährigen betrifft oder wenn die fehlerhaften, vollzogenen Vorgänge gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen. Allein dann versagen die Rechtsprechung und die herrschende Lehre dem fehlerhaften Gesell­schafts­vertrag oder dem fehlerhaften Beitritt die rechtliche Anerkennung. Dagegen bleibt es bei den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft selbst dann, wenn ein Gesellschafter durch arglistige Täuschung oder Drohung zum Gesell­schafts­beitritt veranlasst worden ist.

Übertragen auf das Haustürgeschäft bedeutet dies: Die Anwendung der Grundsätze über den fehlerhaften Beitritt kann für den nach § 3 HWiG widerrufenden Gesellschafter zum einen dazu führen, dass sein Abfin­dungs­guthaben wegen während seiner Mitgliedschaft eingetretener, von ihm mitzutragender Verluste der Gesellschaft geringer ist als seine Einlageleistung; ihre Anwendung kann sogar, wie im vorliegenden Fall, dazu führen, dass wegen der von der Gesellschaft während der Dauer der Mitgliedschaft des Widerrufenden erwirt­schafteten Verluste das Abfin­dungs­guthaben negativ ist, der widerrufende Gesellschafter also nicht nur seine Einlage nicht zurückerhält, sondern seinerseits zu Zahlungen an die Gesellschaft verpflichtet ist. Da aber selbst die Interessen des betrogenen Gesellschafters nicht als gewichtiger einzustufen sind als diejenigen des Rechtsverkehrs und der übrigen Gesellschafter, kann zugunsten desjenigen, der in der Haustür­si­tuation seine Beitritts­er­klärung abgegeben hat, nach der von der überwiegenden Meinung im Schrifttum geteilten langjährigen Rechtsprechung des Senats schwerlich anderes gelten.

III. Der II. Zivilsenat hat unter Beachtung insbesondere des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Oktober 2005 und der sich hieran anschließenden Diskussion im Schrifttum Zweifel bekommen, ob die aufgezeigten - nach deutschem Recht zweifellos sachgerechten, weil die Interessen aller Beteiligten in die Lösung einbeziehenden - Regelungen wegen der den Widerrufenden belastenden Rechtsfolgen mit der Richtlinie 85/577/EWG in Einklang stehen, nach deren Art. 5 Abs. 2 die Anzeige des Rücktritts von den eingegangenen Verpflichtungen bewirkt, dass der Verbraucher aus allen aus dem widerrufenen Vertrag erwachsenden Verpflichtungen entlassen ist. M. a. W. geht es um die Frage, ob der einen Gesell­schafts­beitritt nach dem HWiG Widerrufende denselben Schutz genießen muss, wie die Gruppe der nicht oder nicht voll geschäfts­fähigen Personen, auf welche die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft mit Rücksicht auf ihr höherrangig bewertetes Schutzbedürfnis nicht angewandt werden.

Der Senat hat daher das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt und – der Verpflichtung aus Art. 234 EG-Vertrag folgend – dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt, ob Beitritte zu Perso­nen­ge­sell­schaften, Vereinen oder Genos­sen­schaften mit dem vorrangigen Ziel einer Kapitalanlage von der Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 85/577/EWG erfasst werden, und ob die Bestimmungen der Art. 5 Abs. 2 und Art. 7 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der Behandlung des widerrufenden Verbrauchers als (zunächst) wirksam beigetretenen Gesellschafter mit allen daraus folgenden Rechten und Pflichten bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs entgegenstehen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 90/08 des BGH vom 05.05.2008

der Leitsatz

EWGRL 577/85 Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 5 Abs. 2, Art. 7

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft werden folgende Fragen zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts gemäß Art. 234 EG zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt:

a) Ist die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbrau­cher­schutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen dahin auszulegen, dass davon der Beitritt eines Verbrauchers zu einer Personen-, einer Perso­nen­han­dels­ge­sell­schaft, einem Verein oder einer Genossenschaft umfasst ist, wenn der Zweck des Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mitglied der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossenschaft zu werden, sondern - was vor allem bei der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds häufig zutrifft - die mitglied­s­chaftliche Beteiligung nur ein anderer Weg der Kapitalanlage oder der Erlangung von Leistungen ist, die typischerweise Gegenstand von Austausch­ver­trägen sind?

b) Ist die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbrau­cher­schutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen dahin auszulegen, dass sie einer nationalen (richter­recht­lichen) Rechtsfolge im Sinne des Art. 7 der Richtlinie entgegensteht, die besagt, dass ein solcher in einer Haustür­si­tuation erklärter Beitritt eines Verbrauchers im Falle des Widerrufs des Beitritts dazu führt, dass der widerrufende Verbraucher einen auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs berechneten Anspruch gegen die Gesellschaft, den Verein oder die Genossenschaft auf sein Ausein­an­der­set­zungs­guthaben, d.h. einen dem Wert seines Gesellschafts-, Vereins- oder Genos­sen­schafts­anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens entsprechenden Betrag erhält, mit der (möglichen) Folge, dass er wegen der wirtschaft­lichen Entwicklung der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossenschaft entweder weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält oder sich ihnen gegenüber sogar noch über den Verlust der geleisteten Einlage hinausgehenden Zahlungs­pflichten ausgesetzt sieht, weil das Ausein­an­der­set­zungs­guthaben negativ ist?

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