14.11.2024
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Dokument-Nr. 315

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Urteil21.03.2005BundesgerichtshofII ZR 124/03, II ZR 140/03, II ZR 149/03, II ZR 180/03 und II ZR 310/03
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Bundesgerichtshof Urteil21.03.2005

Anleger der "Göttinger Gruppe" können ihre Einlagen zurückverlangen

Der für das Gesell­schaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte erneut über mehrere Klagen von Kapitalanlegern gegen Gesellschaften der sog. Göttinger Gruppe zu entscheiden.

Die Göttinger Gruppe hat in den 90er Jahren über 100.000 Anleger geworben, mit denen die verschiedenen Gesellschaften des Konzerns jeweils stille Gesell­schafts­verträge geschlossen haben. Die eingezahlten Gelder sollten in Immobilien und Unter­neh­mens­be­tei­li­gungen angelegt werden. Die Anleger waren am Gewinn, aber auch am Verlust beteiligt. Nach Ablauf von etwa drei Jahren wurde von der jeweiligen Gesellschaft im Namen des Anlegers ein neuer Gesell­schafts­vertrag geschlossen, bezogen auf ein neu aufgelegtes "Unter­neh­mens­segment". Die weiteren Zahlungen des Anlegers flossen dann in das neue Segment, während der alte Vertrag beitragslos gestellt wurde. Das sollte sich bis zum Ende der Gesamt­ver­trags­laufzeit – je nach Wahl des Anlegers bis zu 40 Jahre – wiederholen (sog. Steiger-Modell). Durch diese gestaffelten Beteiligungen sollte erreicht werden, daß die Anleger immer an einem Unter­neh­mens­segment beteiligt waren, das sich gerade in der Anfangs­ver­lustphase befand und daher steuerliche Verlust­zu­wei­sungen ermöglichte. Eine Besonderheit bestand darin, daß am Ende der Laufzeit die dann vorhandenen Guthaben nach Wahl der Anleger nicht in einer Summe, sondern als monatliche Rente ("SecuRente") ausgezahlt werden sollten. Der stehen bleibende Restbetrag sollte jeweils mit 7 % pro Jahr verzinst werden.

Dieses Rentenmodell konnte nicht verwirklicht werden, weil das Bundes­auf­sichtsamt für das Kreditwesen im Oktober 1999 der Göttinger Gruppe unter Hinweis auf Bestimmungen des Kredit­we­sen­ge­setzes untersagte, die Ausein­an­der­set­zungs­guthaben in Form von Renten auszuzahlen. Daraufhin verpflichtete sich die Göttinger Gruppe im Rahmen eines mit dem Bundes­auf­sichtsamt geschlossenen Prozess­ver­gleichs, die Guthaben jeweils in einer Summe an die Anleger zu zahlen. Den Wegfall der Rentenzahlung haben eine Anzahl von Anlegern zum Anlass genommen, ihre Beteiligung zu kündigen. Andere verlangen Rückzahlung ihrer Einlagen mit der Begründung, sie seien bei den Beitritts­ge­sprächen über die wahren Risiken der Anlage getäuscht worden.

Der Senat hat festgestellt, daß die von den Anlegern geschlossenen Gesell­schafts­verträge grundsätzlich wirksam sind. Die Anleger können ihre Beteiligung aber mit sofortiger Wirkung kündigen. Der Kündigungsgrund liegt in der Ankündigung der Göttinger Gruppe, die Guthaben künftig nur noch in einer Summe auszuzahlen. Da damit die versprochene Verzinsung wegfällt, ist den Anlegern die Fortsetzung der Verträge nicht zumutbar. Sie haben aufgrund der Kündigung einen Anspruch auf sofortige Auszahlung des Ausein­an­der­set­zungs­gut­habens, also des Wertes, den ihre Beteiligung zur Zeit hat.

Wirtschaftlich wichtiger ist die Frage, ob die Anleger unabhängig von dem gegenwärtig noch bestehenden Wert ihrer Beteiligung die von ihnen gezahlten Einlagen in voller Höhe zurückverlangen können. Das hängt nach den Entscheidungen des Senats davon ab, ob der einzelne Anleger bei dem Vertragsschluß nicht ordnungsgemäß über die Nachteile und Risiken der Anlage aufgeklärt worden ist. Bei Verträgen, die nach dem 1. Januar 1998 abgeschlossen worden sind, hat der Senat einen solchen Aufklä­rungs­mangel bereits darin gesehen, daß den Anlegern die Rentenzahlung am Ende der Vertrags­laufzeit als sicher dargestellt worden ist. Das Bundes­auf­sichtsamt für das Kreditwesen hatte sich auf den Standpunkt gestellt, die Rentenzahlung sei aufgrund einer Änderung des Kredit­we­sen­ge­setzes mit Wirkung zum 1. Januar 1998 unzulässig geworden. Ob das stimmt, hat der Senat offen gelassen. Er hat aber angenommen, daß die Anleger jedenfalls über die Unsicherheit der Rechtslage hätten informiert werden müssen.

Bei den Vertrags­sch­lüssen aus der Zeit vor 1998 bestand diese Aufklä­rungs­pflicht noch nicht, weil nach der alten Fassung des Kredit­we­sen­ge­setzes die Rentenzahlung zweifelsfrei zulässig war. Bei diesen Verträgen kommt es deshalb für den Erfolg der Klagen darauf an, ob die Anleger in bezug auf andere Umstände nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sind. Zur Klärung dieser Frage sind einige der Verfahren an die Berufungs­ge­richte zurückverwiesen worden. Dort muß versucht werden, durch Vernehmung von Zeugen festzustellen, ob die Werber der Göttinger Gruppe den Anlage­in­ter­es­senten die Risiken der Anlage verschwiegen oder dazu falsche Angaben gemacht haben. Den Berufungs­ge­richten ist auch aufgetragen worden zu prüfen, ob nach dem Anlagekonzept nur ein ganz geringer Teil der Anlegergelder für die Inves­ti­ti­o­ns­tä­tigkeit bestimmt war und der weit überwiegende Teil die sog. weichen Kosten, wie etwa die Provisionen für die Werber und die allgemeinen Verwal­tungs­kosten, abdecken sollte. In diesem Fall wäre ein Gewinn der Anleger unwahr­scheinlich, ein Verlust dagegen wahrscheinlich gewesen. Auch darüber hätten die Anleger ggf. aufgeklärt werden müssen.

Hinweis auf die Vorinstanzen:

LG Göttingen - 2 O 493/01 ./. OLG Braunschweig - 3 U 114/02

LG Göttingen - 8 O 255/01 ./. OLG Braunschweig - 3 U 37/02

LG Göttingen – 8 O 293/02 – OLG Braunschweig – 3 U 73/02

LG Göttingen - 2 O 516/01 und 2 O 66/02 ./. OLG Braunschweig - 3 U 112/02

LG Göttingen – 2 O 73/02 ./. OLG Braunschweig – 3 U 231/02

Quelle: Pressemitteilung Nr. 51/2005 des BGH vom 21.03.2005

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