18.10.2024
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Dokument-Nr. 1142

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil26.10.2005

EuGH zu Schrot­tim­mo­bilien: Banken müssen Risiken einer Kapitalanlage tragen, die bei unterlassener Wider­rufs­be­lehrung in einer Haustür­si­tuation zustande kamEuropäischer Gerichtshof stärkt den Verbrau­cher­schutz - Bankkunden erzielen Erfolg im Streit um Schrot­tim­mo­bilien

Kreditinstitute müssen Verbraucher über ihr Recht belehren, den zur Finanzierung eines Immobi­li­e­n­erwerbs dienenden Darle­hens­vertrag widerrufen zu können. Die EU-Staaten haben dafür Sorge zu tragen, dass in den Fällen, in denen eine entsprechende Belehrung unterblieben ist, die Kreditinstitute die Risiken tragen, die mit der in einer Haustür­si­tuation zustande gekommen Kapitalanlage verbunden sind. Die Richtlinie über Haustür­ge­schäfte verbiete es jedoch nicht grundsätzlich, dass der Verbraucher, der den Darle­hens­vertrag widerruft, das Darlehen zuzüglich der marktüblichen Zinsen sofort vollständig zurückzahlen muss. In keinem Fall erstrecke sich das Widerrufsrecht auf den Kaufvertrag über die Immobilie. Das hat der EuGH entschieden.

Nach der Richtlinie über Haustür­ge­schäfte von 1985 (Richtlinie 85/577EWG) hat ein Verbraucher grundsätzlich sieben Tage Zeit, um einen in einer Haustür­si­tuation geschlossenen Vertrag zu widerrufen. Der Gewer­be­treibende ist verpflichtet, den Verbraucher bei Vertrags­ab­schluss schriftlich über sein Widerrufsrecht zu belehren.

Das Landgericht Bochum und das Hanseatische Oberlan­des­gericht in Bremen haben dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen nach der Auslegung dieser Richtlinie vorgelegt. Sie sind mit Rechtss­trei­tig­keiten zwischen Verbrauchern und Kredi­t­in­stituten über Kapitalanlagen befasst, bei denen die Vertrags­ver­hand­lungen in einer Haustür­si­tuation durchgeführt wurden. Die Kapitalanlagen bestanden in einem Kaufvertrag über eine Immobilie, der mit einer Immobi­li­en­ge­sell­schaft geschlossen wurde, und einem zur Finanzierung des Kaufes dienenden Darle­hens­vertrag mit dem Kreditinstitut. Sie wurden den Verbrauchern bei einem Besuch in deren Wohnung von einem Mitarbeiter der Immobi­li­en­ge­sell­schaft oder einem unabhängigen Vermittler angeboten.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Richtlinie dem Verbraucher kein Recht zum Widerruf eines Immobi­li­en­kauf­vertrags verleiht, auch wenn dieser Vertrag Bestandteil eines kredit­fi­nan­zierten Kapita­l­an­la­ge­modells ist, bei dem die vor Vertrags­ab­schluss durchgeführten Vertrags­ver­hand­lungen sowohl hinsichtlich des Immobi­li­en­kauf­vertrags als auch des zur Finanzierung dienenden Darle­hens­vertrags in einer Haustür­si­tuation erfolgten. Die Richtlinie soll den Verbraucher zwar vor den Gefahren schützen, die sich insbesondere aus einem Vertrags­ab­schluss während eines Besuchs des Gewer­be­trei­benden beim Verbraucher ergeben, indem sie ihm unter bestimmten Umständen ein Widerrufsrecht verschafft, doch sind Kaufverträge über Immobilien ausdrücklich und unmiss­ver­ständlich vom Anwen­dungs­bereich der Richtlinie ausgeschlossen.

Die Richtlinie steht nationalen Vorschriften nicht entgegen, die die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Darle­hens­vertrags auch im Rahmen von Kapita­l­an­la­ge­mo­dellen, bei denen das Darlehen ohne den Erwerb der Immobilie nicht gewährt worden wäre, auf die Rückabwicklung des Darle­hens­vertrags beschränken.

Wurde der Verbraucher von dem Kreditinstitut über sein Recht zum Widerruf des Darle­hens­vertrags belehrt, so verbietet es die Richtlinie grundsätzlich auch nicht, dass der Verbraucher im Fall des Widerrufs das Darlehen zuzüglich der marktüblichen Zinsen sofort vollständig zurückzahlen muss.

Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass in Fällen wie denen der Ausgangs­ver­fahren, in denen der Verbraucher nicht über sein Recht zum Widerruf des Darle­hens­vertrags belehrt wurde, das Kreditinstitut die mit den fraglichen Kapitalanlagen verbundenen Risiken zu tragen hat. Wäre der Verbraucher nämlich von dem Kreditinstitut rechtzeitig belehrt worden, so hätte er seine Entscheidung, den Darle­hens­vertrag zu schließen, rückgängig machen können und hätte gegebenenfalls später den notariellen Kaufvertrag nicht geschlossen. Dadurch hätte er es vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, dass die Immobilie zum Zeitpunkt des Kaufes zu hoch bewertet wird, dass sich die veranschlagten Mieteinnahmen nicht erzielen lassen und dass sich die Erwartungen in Bezug auf die Entwicklung des Immobi­li­en­preises als falsch erweisen. Es ist Sache des nationalen Gesetzgebers und der nationalen Gerichte, den Schutz des Verbrauchers vor den Folgen der Verwirklichung dieser Risiken zu gewährleisten.

Die Anwendung der Richtlinie kann, wenn ein Dritter im Namen oder für Rechnung eines Gewer­be­trei­benden in die Aushandlung oder den Abschluss eines Vertrages eingeschaltet wird, auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Gewer­be­treibende wusste oder hätte wissen müssen, dass der Vertrag in einer Haustür­si­tuation geschlossen wurde.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 91/05 des EuGH vom 25.10.2005, bearbeitet von der ra-online Redaktion

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