18.10.2024
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Dokument-Nr. 9393

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Urteil22.03.2010BundesgerichtshofII ZR 12/08
Vorinstanzen:
  • Landgericht Hildesheim, Urteil29.05.2007, 10 O 130/06
  • Oberlandesgericht Celle, Urteil09.01.2008, 9 U 117/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil22.03.2010

Bundes­ge­richtshof zur Verfas­sungs­mä­ßigkeit der rückwirkenden Neuregelung verdeckter Sacheinlagen durch das MoMiGRegelungen stellen nur "unechte Rückwirkung" dar

Der Bundes­ge­richtshof hält die rückwirkende Anwendung der 2008 reformierten Regeln über die verdeckte Sacheinlage nicht für verfas­sungs­widrig.

Das GmbH-Gesetz schützt die Gläubiger der GmbH durch Regeln zur Aufbringung und zum Erhalt des Stammkapitals. Nach den Regeln über die Kapita­l­auf­bringung, die auch für eine Kapitalerhöhung gelten, ist das Stammkapital entweder in bar einzuzahlen (Bareinlage) oder in Form von Sachen oder sonstigen Vermögenswerten einzubringen (Sacheinlage). Wird eine Sacheinlage geleistet, müssen zum Schutz der Gläubiger, insbesondere zur Sicherung der Vollwertigkeit der Sacheinlage, besondere Formvor­schriften eingehalten werden.

Verdeckte Sacheinlage

Werden diese Formvor­schriften umgangen und wird zwar eine Bareinlage beschlossen, erhält die Gesellschaft aber bei wirtschaft­licher Betrachtung vom Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Absprache einen Sachwert, muss sich der Einleger nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofes so behandeln lassen, als sei tatsächlich eine Sacheinlage verabredet (verdeckte Sacheinlage). Nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofes musste bisher der Gesellschafter, der eine verdeckte gemischte Sacheinlage erbracht hatte, die von ihm versprochene Bareinlage nochmals vollständig einzahlen. Die Geschäfte, die der verdeckten Sacheinlage zugrunde lagen, waren unwirksam.

Neuregelungen zur verdeckten Sacheinlage

Mit dem am 1. November 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) hat der Gesetzgeber die Rechtsfragen einer nach wie vor verbotenen verdeckten Sacheinlage anders geregelt. Nach § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. sind die der verdeckten Sacheinlage zugrunde liegenden Geschäfte nicht mehr unwirksam, der Wert der verdeckt eingebrachten, in das Eigentum der Gesellschaft übergegangenen Sache wird auf die Barein­la­ge­ver­pflichtung des Einlegers angerechnet. Nach § 3 Abs. 4 EGGmbHG soll diese Neuregelung auch für Fälle gelten, in denen die verdeckte Sacheinlage schon vor Inkrafttreten des MoMiG vereinbart und eingebracht wurde.

Sachverhalt

Der Kläger in dem vom Bundes­ge­richtshof entschiedenen Fall ist Insol­venz­ver­walter über das Vermögen einer GmbH (Schuldnerin), die die Allein­ge­sell­schafterin und Beklagte im Zuge eines "Management buy-out" an die Geschäfts­leitung der Schuldnerin veräußern wollte. Die Beklagte zahlte 2003 zunächst auf ein im Soll befindliches Konto der Schuldnerin 739.241,14 € mit dem Verwen­dungszweck "Aufstockung Stammkapital auf 1 Mio." und weitere 3 Mio. € mit dem Verwen­dungszweck "Einzahlung in die Kapitalrücklage". Wenige Tage später verkaufte die Beklagte der Schuldnerin Lizenzen zu einem Kaufpreis von 3,99 Mio. €. Kurz darauf fasste die Beklagte den Beschluss, das Stammkapital der Schuldnerin bar um 739.241,14 € auf 1 Mio. € zu erhöhen. Am selben Tag überwies die Schuldnerin der Beklagten 3,99 Mio. € mit dem Verwen­dungszweck "Kaufpreis Lizenzen". Danach befand sich ihr Konto wiederum im Soll. Anschließend veräußerte die Beklagte ihren Geschäftanteil von 1 Mio. € für 1,00 € an die Geschäfts­leitung der Schuldnerin.

Insol­venz­ver­walter verlangt Bareinlage

Der Kläger hat die Beklagte auf erneute Zahlung von 739.241,14 € mit der Behauptung in Anspruch genommen, die Beklagte habe statt der versprochenen Bareinlage die tatsächlich wertlosen Lizenzen im Wege der verdeckten Sacheinlage bei der Schuldnerin eingebracht und sei deshalb nicht von ihrer Verpflichtung frei geworden, die versprochene Bareinlage zu leisten. In Höhe von 3 Mio. € hafte die Beklagte, weil sie sich zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliches Vermögen in einer Krise der Schuldnerin habe auszahlen lassen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungs­gericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

BGH verweist Sache zurück

Der für das Gesell­schaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofes hat nach Zulassung der Revision das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen.

Rückwirkende Anwendung der Neuregelungen ist verfas­sungsgemäß

Dabei hat er klargestellt, dass die von § 3 Abs. 4 EGGmbHG angeordnete rückwirkende Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. und damit die rückwirkende Anrechnung des Werts der Lizenzen auf die Barein­la­ge­for­derung nach seiner Überzeugung nicht verfas­sungs­widrig ist.

Lediglich unechte Rückwirkung

§ 3 Abs. 4 EGGmbHG regelt in der Terminologie des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts lediglich eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung. Er bezieht sich auf die Kapita­l­auf­bringung als einen einheitlichen Vorgang und damit nicht nur auf die in der Vergangenheit liegenden Geschäfte, die der Einbringung der Sache zugrunde lagen. Die Kapitalerhöhung um 739.241,14 € war im Ausgangsfall noch nicht abgeschlossen, weil die Einlageschuld nicht durch die verdeckte Sacheinlage getilgt war.

BGH konnte nicht in der Sache entscheiden

Da das Berufungs­gericht den Wert der nach neuem Recht anzurechnenden Lizenzen nicht ermittelt hatte, konnte der Bundes­ge­richtshof über die Klage auf nochmalige Leistung der Bareinlage in Höhe von 739.241,14 € mangels Feststellungen zu einem etwa anzurechnenden Wert nicht in der Sache entscheiden. Ebenfalls in der Revisi­ons­instanz nicht endent­schei­dungsreif war die Klage, soweit sie sich auf Zahlung weiterer 3 Mio. € richtete. Da der Kaufvertrag über die Lizenzen nach neuem Recht als wirksam zu behandeln war, kam es für die Begründetheit des Anspruchs auf die Frage an, ob sich die Schuldnerin bei Zahlung des Kaufpreises bereits in der Krise befand oder ob durch diese Auszahlung eine Unterbilanz entstand. Da das Berufungs­gericht dazu keine Feststellungen getroffen hatte, war seine Entscheidung auch insoweit aufzuheben.

Auszug aus den Gesetzestexten

Erläuterungen
§ 3 EGGmbHG (Auszug):

[...]

(4) § 19 Abs. 4 und 5 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der ab dem 1. November 2008 geltenden Fassung gilt auch für Einla­gen­leis­tungen, die vor diesem Zeitpunkt bewirkt worden sind, soweit sie nach der vor dem 1. November 2008 geltenden Rechtslage wegen der Vereinbarung einer Einla­gen­rü­ck­gewähr oder wegen einer verdeckten Sacheinlage keine Erfüllung der Einla­gen­ver­pflichtung bewirkt haben. Dies gilt nicht, soweit über die aus der Unwirksamkeit folgenden Ansprüche zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter bereits vor dem 1. November 2008 ein rechtskräftiges Urteil ergangen oder eine wirksame Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter getroffen worden ist; in diesem Fall beurteilt sich die Rechtslage nach den bis zum 1. November 2008 geltenden Vorschriften.

§ 19 GmbHG in der Fassung des MoMiG (Auszug):

[...]

(4) Ist eine Geldeinlage eines Gesellschafters bei wirtschaft­licher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten (verdeckte Sacheinlage), so befreit dies den Gesellschafter nicht von seiner Einla­ge­ver­pflichtung. Jedoch sind die Verträge über die Sacheinlage und die Rechts­hand­lungen zu ihrer Ausführung nicht unwirksam. Auf die fortbestehende Geldein­la­ge­pflicht des Gesellschafters wird der Wert des Vermö­gens­ge­gen­standes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister oder im Zeitpunkt seiner Überlassung an die Gesellschaft, falls diese später erfolgt, angerechnet. Die Anrechnung erfolgt nicht vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermö­gens­ge­gen­standes trägt der Gesellschafter.

[...]

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof

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