21.11.2024
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Dokument-Nr. 21918

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Urteil26.11.2015BundesgerichtshofI ZR 3/14 und I ZR 174/14
Vorinstanzen zu I ZR 3/14 :
  • Landgericht Hamburg, Urteil12.03.2010, 308 O 640/08
  • Oberlandesgericht Hamburg, Urteil21.11.2013, 5 U 68/10
Vorinstanzen zu I ZR 174/14:
  • Landgericht Köln, Urteil27.08.2013, 28 O 362/10
  • Oberlandesgericht Köln, Urteil18.07.2014, 6 U 192/11
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil26.11.2015

BGH zur Haftung von Access-Providern für Ur­heber­rechts­verletzungen DritterTele­kommunikations­unternehmen können unter bestimmten Voraussetzungen zur Sperrung von Webseiten verpflichtet werden

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass ein Tele­kommunikations­unternehmen, das Dritten den Zugang zum Internet bereitstellt, vom Rechteinhaber grundsätzlich als Störer darauf in Anspruch genommen werden kann, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheber­rechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Allerdings muss der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternehmen und gegen diejenigen Beteiligten vorgehen, die - wie der Betreiber der Internetseite - die Rechts­ver­letzung selbst begangen haben oder - wie der Host-Provider - zur Rechts­ver­letzung durch die Erbringung von Dienst­leis­tungen beigetragen haben.

Die Klägerin im Verfahren I ZR 3/14 ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Verviel­fäl­ti­gungs­rechte (GEMA). Sie nimmt für Komponisten, Textdichter und Musikverleger urheber­rechtliche Nutzungsrechte an Musikwerken wahr. Die Beklagte ist Deutschlands größtes Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen. Sie war Betreiberin eines zwischen­zeitlich von einer konzern­ver­bundenen Gesellschaft unterhaltenen Telefonnetzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhielten. Als sogenannter Access-Provider vermittelte die Beklagte ihren Kunden auch den Zugang zu der Webseite "3dl.am".

GEMA rügt Verletzung der von ihr wahrgenommenen Urheberrechte

Nach Darstellung der Klägerin konnte über diese Webseite auf eine Sammlung von Links und URLs zugegriffen werden, die das Herunterladen urheber­rechtlich geschützter Musikwerke ermöglichten, die bei Sharehostern wie "RapidShare", "Netload" oder "Uploaded" widerrechtlich hochgeladen worden waren. Die Klägerin sieht hierin eine Verletzung der von ihr wahrgenommenen Urheberrechte. Sie macht geltend, die Beklagte habe derartige Rechts­ver­let­zungen zu unterbinden. Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, über von ihr bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streit­be­fangenen Werken über die Webseite "3dl.am" zu ermöglichen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Die Klägerinnen im Verfahren I ZR 174/14 sind Tonträ­ger­her­steller. Die Beklagte ist Betreiberin eines Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­netzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhalten. Als Access-Provider vermittelte die Beklagte ihren Kunden auch den Zugang zu der Webseite "goldesel.to".

Tonträ­ger­her­steller beanstandet Verletzung urheber­recht­licher Leistungs­schutz­rechte

Nach Darstellung der Klägerinnen konnte über diese Webseite auf eine Sammlung von zu urheber­rechtlich geschützten Musikwerken hinführenden Links und URLs zugegriffen werden, die bei dem Filesharing-Netzwerk "eDonkey" widerrechtlich hochgeladen worden waren. Die Klägerinnen sehen hierin eine Verletzung ihrer urheber­recht­lichen Leistungs­schutz­rechte gemäß § 85 UrhG*. Die Klägerinnen haben die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, über von ihr bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streit­be­fangenen Werken über die Webseite "goldesel.to" zu ermöglichen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter.

Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen kann von Rechteinhaber grundsätzlich als Störer in Anspruch genommen werden

Der Bundes­ge­richtshof hat die Revisionen in beiden Verfahren zurückgewiesen. Ein Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen, das Dritten den Zugang zum Internet bereitstellt, kann von einem Rechteinhaber grundsätzlich als Störer darauf in Anspruch genommen werden, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheber­rechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Als Störer haftet bei der Verletzung absoluter Rechte (etwa des Urheberrechts oder eines Leistungs­schutz­rechts) auf Unterlassung, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt, sofern er zumutbare Prüfungs­pflichten verletzt hat. Das deutsche Recht ist vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft** richt­li­ni­en­konform auszulegen und muss deshalb eine Möglichkeit vorsehen, gegen Vermittler von Inter­net­zu­gängen Sperr­a­n­ord­nungen zu verhängen.

Sperrung von Webseiten nicht nur bei ausschließ­licher Bereithaltung rechts­ver­let­zender Inhalte zumutbar

In der Vermittlung des Zugangs zu Internetseiten mit urheber­rechts­widrigen Inhalten liegt ein adäquat-kausaler Tatbeitrag der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen zu den Rechts­ver­let­zungen der Betreiber der Internetseiten "3dl.am" und "goldesel.to". In die im Rahmen der Zumut­ba­r­keits­prüfung vorzunehmende Abwägung sind die betroffenen unions­recht­lichen und nationalen Grundrechte des Eigen­tums­schutzes der Urheber­rechts­inhaber, der Berufsfreiheit der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen sowie der Infor­ma­ti­o­ns­freiheit und der infor­ma­ti­o­nellen Selbst­be­stimmung der Internetnutzer einzubeziehen. Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechts­ver­letzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamt­ver­hältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen. Die aufgrund der technischen Struktur des Internet bestehenden Umgehungs­mög­lich­keiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperranordnung nicht entgegen, sofern die Sperren den Zugriff auf rechts­ver­letzende Inhalte verhindern oder zumindest erschweren.

Rechtsinhaber muss zunächst Nachforschungen zu vorrangig Beteiligten bei Rechte­ver­letzung anstellen

Eine Störerhaftung des Unternehmens, das den Zugang zum Internet vermittelt, kommt unter dem Gesichtspunkt der Verhält­nis­mä­ßigkeit allerdings nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die - wie der Betreiber der Internetseite - die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder - wie der Host-Provider - zur Rechts­ver­letzung durch die Erbringung von Dienst­leis­tungen beigetragen haben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechts­schutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar. Betreiber und Host-Provider sind wesentlich näher an der Rechts­ver­letzung als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang - etwa durch Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt, oder Einschaltung der staatlichen Ermitt­lungs­be­hörden - Nachforschungen vorzunehmen. An dieser Voraussetzung fehlt es in beiden heute entschiedenen Fällen.

GEMA hätte weitere zumutbare Nachforschungen unternehmen müssen

Im Verfahren I ZR 3/14 hat die Klägerin gegen den Betreiber der Webseite "3dl.am" eine einstweilige Verfügung erwirkt, die unter der bei der Domain-Registrierung angegebenen Adresse nicht zugestellt werden konnte. Den gegen den Host-Provider gerichteten Verfü­gungs­antrag hat die Klägerin zurückgenommen, da sich auch seine Adresse als falsch erwies. Mit der Feststellung, dass die Adressen des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers falsch waren, durfte sich die Klägerin nicht zufriedengeben, sondern hätte weitere zumutbare Nachforschungen unternehmen müssen.

Auch Tonträ­ger­her­steller unterlässt zumutbare Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität des Betreibers der Internetseiten

Im Verfahren I ZR 174/14 ist die Klage abgewiesen worden, weil die Klägerinnen nicht gegen den Betreiber der Webseiten mit der Bezeichnung "goldesel" vorgegangen sind. Dessen Inanspruchnahme ist unterblieben, weil dem Vortrag der Klägerinnen zufolge dem Webauftritt die Identität des Betreibers nicht entnommen werden konnte. Die Klägerinnen haben nicht vorgetragen, weitere zumutbare Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität des Betreibers der Internetseiten unternommen zu haben.

*§ 85 Urheber­rechts­gesetz:

Verwer­tungs­rechte

(1) Der Hersteller eines Tonträgers hat das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. [...]

**Artikel 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG:

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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