18.10.2024
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Dokument-Nr. 31164

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Urteil09.12.2021BundesgerichtshofI ZR 146/20
Vorinstanzen:
  • Landgericht München I, Urteil16.07.2019, 33 O 4026/18
  • Oberlandesgericht München, Urteil09.07.2020, 6 U 5180/19
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Bundesgerichtshof Urteil09.12.2021

Werbung für umfassende ärztliche Fernbe­hand­lungen unzulässigBGH zu den Voraussetzungen der Werbung für Fernbe­hand­lungen

Der Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbe­hand­lungen geworben werden darf.

Im hier vorliegenden Fall ist die Klägerin die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte warb auf ihrer Internetseite mit der Aussage "Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Thera­pie­emp­fehlung und Krankschreibung per App." für die von einer privaten Kranken­ver­si­cherung angebotene Leistung eines "digitalen Arztbesuchs" mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten. Die Klägerin sieht in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbe­hand­lungen nach § 9 HWG. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht und Oberlan­des­gericht hatten der Klage stattgegeben. Im Laufe des Berufungs­ver­fahrens ist § 9 HWG mit Wirkung zum 19.12. 2019 durch einen Satz 2 ergänzt worden. Danach gilt das nun in Satz 1 geregelte Werbeverbot für Fernbe­hand­lungen nicht, wenn für die Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

BGH: Werbung verstößt gegen § 9 HWG

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG in seiner alten und in seiner neuen Fassung verstößt. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine - dem Gesund­heits­schutz dienende - Markt­ver­hal­tens­re­gelung im Sinne von § 3 a UWG handelt, ist die Beklagte nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG zur Unterlassung der Werbung verpflichtet. Die Beklagte hat unter Verstoß gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch - etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall - untersuchen kann. Das erfordert die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und ist im Rahmen einer Video­sprech­stunde nicht möglich.

Definition der allgemein anerkannten fachlichen Standards

Nach § 9 Satz 2 HWG in seiner neuen Fassung ist das in Satz 1 geregelte Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbe­hand­lungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommu­ni­ka­ti­o­ns­medien erfolgen. Zu diesen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­medien gehören auch Apps. Das gilt aber nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards sind - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es kommt daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards ist vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in § 630 a Abs. 2 BGB, der die Pflichten aus einem medizinischen Behand­lungs­vertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen.

Umfassende Fernbe­hand­lungen entspricht nicht allgemein medizinischen Standards

Danach können sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachge­sell­schaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses gemäß §§ 92, 136 SGB V ergeben. Die Beklagte hat für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primä­r­ver­sorgung (Diagnose, Thera­pie­emp­fehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben. Das Berufungs­gericht hat nicht festgestellt, dass eine solche umfassende Fernbehandlung den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspricht. Da die Beklagte dies auch nicht behauptet hatte und insoweit kein weiterer Sachvortrag zu erwarten war, konnte der Bundes­ge­richtshof abschließend entscheiden, dass die beanstandete Werbung unzulässig ist.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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