21.11.2024
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Dokument-Nr. 31826

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Bundesgerichtshof Urteil02.06.2022

BGH zur Haftung von "YouTube" und "uploaded" für Urheber­rechts­verletzungenTatbestand rechts­ver­let­zender öffentlicher Wiedergabe teilweise erfüllt - Berufungs­ge­richte müssen neu verhandeln

Der Bundes­ge­richtshof hat in einem Verfahren über die Haftung des Betreibers der Internet­video­plattform "YouTube" und in sechs weiteren Verfahren über die Haftung des Betreibers des Internet­sharehosting-Dienstes "uploaded" für von Dritten auf der Plattform bzw. unter Nutzung des Dienstes begangene Urheber­rechts­verletzungen entschieden.

Der Kläger ist Musikproduzent. Er hat mit der Sängerin Sarah Brightman im Jahr 1996 einen Künst­ler­ex­klu­siv­vertrag geschlossen, der ihn zur Auswertung von Aufnahmen ihrer Darbietungen berechtigt. Im November 2008 erschien das Studioalbum "A Winter Symphony" mit von der Sängerin interpretierten Musikwerken. Zugleich begann die Künstlerin die Konzerttournee "Symphony Tour", auf der sie die auf dem Album aufgenommenen Werke darbot. Anfang November 2008 waren bei "YouTube" Videos mit Musikwerken aus dem Repertoire von Sarah Brightman eingestellt, darunter private Konzert­mit­schnitte und Musikwerke aus ihren Alben. Nach einem anwaltlichen Schreiben des Klägers sperrte die Beklagte zu 3 jedenfalls einen Teil der Videos. Am 19. November 2008 waren bei "YouTube" erneut Tonaufnahmen von Darbietungen der Künstlerin abrufbar, die mit Standbildern und Bewegtbildern verbunden waren.

Kläger teilweise erfolgreich

Der Kläger hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft­s­er­teilung und Feststellung ihrer Schaden­s­er­satz­pflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich dreier Musiktitel stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat die Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, Dritten in Bezug auf sieben näher bezeichnete Musiktitel zu ermöglichen, Tonaufnahmen oder Darbietungen der Künstlerin Sarah Brightman aus dem Studioalbum "A Winter Symphony" öffentlich zugänglich zu machen. Ferner hat es die Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft über die Nutzer der Plattform verurteilt, die diese Musiktitel unter Pseudonymen auf das Internetportal hochgeladen haben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit den vom Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revisionen verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter und erstreben die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage. Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft, der Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft, insbesondere des elektronischen Geschäfts­verkehrs, im Binnenmarkt und der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorgelegt Nach Vorab­ent­scheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union hat der Bundes­ge­richtshof jetzt der Revision des Klägers stattgegeben, soweit das Berufungs­gericht hinsichtlich der Musiktitel auf dem Studioalbum "A Winter Symphony" und einiger auf der "Symphony Tour" dargebotener Musiktitel die gegenüber beiden Beklagten geltend gemachten Unter­las­sungs­ansprüche und die gegen die Beklagte zu 3 geltend gemachten Ansprüche auf Schaden­s­er­satz­fest­stellung und Auskunft­s­er­teilung abgewiesen. Der Revision der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof stattgegeben, soweit das Berufungs­gericht sie zur Unterlassung und zur Auskunft über die E-Mail-Adressen von Nutzern verurteilt hat. Hinsichtlich der Ansprüche auf Unterlassung und Schaden­s­er­satz­fest­stellung hat der Bundes­ge­richtshof die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen.

Unter­las­sungs­ansprüche begründet?

Die geltend gemachten Unter­las­sungs­ansprüche sind nur begründet, wenn die Bereitstellung von Nutzern hochgeladener rechts­ver­let­zender Inhalte auf der von der Beklagten zu 3 betriebenen Plattform sowohl im Handlungs­zeitpunkt als auch nach der im Entschei­dungs­zeitpunkt bestehenden Rechtslage eine die Rechte des Klägers verletzende öffentliche Wiedergabe darstellt. Das nach der Rechtslage im Handlungs­zeitpunkt maßgebliche Recht der öffentlichen Wiedergabe ist nach Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG harmonisiert, so dass die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Urheber­rechts­ge­setzes richt­li­ni­en­konform auszulegen sind. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform, der weiß oder wissen müsste, dass Nutzer über seine Plattform im Allgemeinen geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechts­ver­let­zenden Inhalt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG vornimmt, wenn er nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschafts­teil­nehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheber­rechts­ver­let­zungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen.

BGH ändert Rechtsprechung und folgt dem EuGH

Lediglich reaktive technische Maßnahmen, die Rechtsinhabern das Auffinden von bereits hochgeladenen rechts­ver­let­zenden Inhalten oder die Erteilung von darauf bezogenen Hinweisen an den Plattformbetreiber erleichtern, genügen für die Einstufung als Maßnahmen zur glaubwürdigen und wirksamen Bekämpfung von Urheber­rechts­ver­let­zungen nicht. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass die allgemeine Kenntnis des Betreibers von der rechts­ver­let­zenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform für die Annahme einer öffentlichen Wiedergabe des Betreibers nicht genügt, dass es sich aber anders verhalte, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern. Der Bundes­ge­richtshof hält vor diesem Hintergrund für den durch Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG vollha­r­mo­ni­sierten Bereich nicht an seiner Rechtsprechung fest, nach der in dieser Konstellation keine Haftung als Täter einer rechtswidrigen öffentlichen Wiedergabe, sondern allenfalls eine Haftung als Störer in Betracht kam. Hier tritt nun die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung. Dabei sind die schon bisher für die Störerhaftung geltenden, an den Hinweis auf eine klare Rechts­ver­letzung zu stellenden Anforderungen auf die Prüfung der öffentlichen Wiedergabe übertragbar.

Berufungs­gericht muss neu verhandeln

Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass der Betreiber einer Sharehosting-Plattform, der allgemeine Kenntnis von der Verfügbarkeit von Nutzern hochgeladener rechts­ver­let­zender Inhalte hat oder haben müsste, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechts­ver­let­zenden Inhalte vornimmt, wenn er ein solches Verhalten seiner Nutzer dadurch wissentlich fördert, dass er ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen. Das Berufungs­gericht hat keine hinreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Beklagte zu 3 die geeigneten technischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Urheber­rechts­ver­let­zungen auf ihrer Plattform ergriffen hat, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschafts­teil­nehmer erwartet werden können. Die vom Berufungs­gericht bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, die Beklagte habe ihre durch einen Hinweis auf die klare Verletzung der Rechte des Klägers ausgelöste Pflicht verletzt, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Inhalten zu verhindern. Sofern das Berufungs­gericht aufgrund der im wieder­er­öffneten Berufungs­ver­fahren zu treffenden Feststellungen zur Annahme einer öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte zu 3 gelangt, wird es weiter zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe auch nach dem seit dem 1. August 2021 geltenden Gesetz über die urheber­rechtliche Verant­wort­lichkeit von Diens­tean­bietern für das Teilen von Online-Inhalten vorliegen.

Mehrere anderen Verfahren betreffen den Sharehosting-Dienst "uploaded"

Die anderen Verfahren betreffen den Sharehosting-Dienst "uploaded" im Internet. Dieser Dienst bietet jedermann kostenlos Speicherplatz für das Hochladen von Dateien beliebigen Inhalts. Für jede hochgeladene Datei erstellt die Beklagte automatisch einen elektronischen Verweis (Download-Link) auf den Datei­spei­cherplatz und teilt diesen dem Nutzer automatisch mit. Die Beklagte bietet für die bei ihr abgespeicherten Dateien weder ein Inhalts­ver­zeichnis noch eine entsprechende Suchfunktion. Allerdings können Nutzer die Download-Links in sogenannte Linksammlungen im Internet einstellen. Diese werden von Dritten angeboten und enthalten Informationen zum Inhalt der auf dem Dienst der Beklagten gespeicherten Dateien. Auf diese Weise können andere Nutzer auf die auf den Servern der Beklagten abgespeicherten Dateien zugreifen. Der Download von Dateien von der Plattform der Beklagten ist kostenlos möglich. Allerdings sind Menge und Geschwindigkeit für nicht registrierte Nutzer und solche mit einer kostenfreien Mitgliedschaft beschränkt. Zahlende Nutzer haben, bei Preisen zwischen 4,99 € für zwei Tage bis 99,99 € für zwei Jahre, ein tägliches Download­kon­tingent von 30 GB bei unbeschränkter Download­ge­schwin­digkeit. Zudem zahlt die Beklagte den Nutzern, die Dateien hochladen, Downlo­ad­ver­gü­tungen, und zwar bis zu 40 € für 1.000 Downloads. Der Dienst der Beklagten wird sowohl für legale Anwendungen genutzt als auch für solche, die Urheberrechte Dritter verletzen. Die Beklagte erhielt bereits in der Vergangenheit in großem Umfang Mitteilungen über die Verfügbarkeit rechts­ver­let­zender Inhalte von im Auftrag der Rechtsinhaber handelnden Dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen. Nach den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen der Beklagten ist es den Nutzern untersagt, über die Plattform der Beklagten Urheber­rechts­verstöße zu begehen.

Klägerinnen machen Urheber­rechts­ver­letzung geltend

Zwei Klägerinnen sind Verlage, zwei weitere Klägerinnen sind Musik­un­ter­nehmen, eine Klägerin ist die GEMA und eine Klägerin ist ein Filmunternehmen. Die Klägerinnen sehen jeweils Rechts­ver­let­zungen darin, dass über die externen Linksammlungen Dateien auf den Servern der Beklagten erreichbar seien, die Werke enthielten, an denen ihnen beziehungsweise im Verfahren I ZR 56/17 den Rechtsinhabern, deren Rechte die GEMA wahrnehme, Nutzungsrechte zustünden. Außer in den Verfahren I ZR 57/17 und I ZR 135/18 haben die Klägerinnen die Beklagte in erster Linie als Täterin, hilfsweise als Teilnehmerin und weiter hilfsweise als Störerin auf Unterlassung sowie auf Auskunft­s­er­teilung in Anspruch genommen und die Feststellung ihrer Schaden­s­er­satz­pflicht beantragt. Im Verfahren I ZR 57/17 wird die Beklagte nur auf Auskunft­s­er­teilung und Feststellung der Schaden­s­er­satz­pflicht und im Verfahren I ZR 135/18 auf Unterlassung und Erstattung von Rechts­an­walts­kosten in Anspruch genommen. In den Verfahren I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 56/17 und I ZR 57/17 haben die Landgerichte die Beklagte wegen Teilnahme an den Rechts­ver­let­zungen zur Unterlassung verurteilt, sofern dies beantragt war, und den Anträgen auf Auskunft­s­er­teilung und Feststellung der Schaden­s­er­satz­pflicht stattgegeben. In den Verfahren I ZR 55/17 und I ZR 135/18 haben die Landgerichte die Beklagte als Störerin zur Unterlassung und im Verfahren I ZR 135/18 darüber hinaus zum Ersatz von Rechts­an­walts­kosten verurteilt. Im Übrigen haben die Landgerichte die Klagen abgewiesen. Die Oberlan­des­ge­richte haben angenommen, die Beklagte sei nur als Störerin zur Unterlassung und im Verfahren I ZR 135/18 zudem zum Ersatz von Rechts­an­walts­kosten verpflichtet; im Übrigen haben sie die Klagen abgewiesen. In den Verfahren I ZR 53/17 und I ZR 135/18 haben die Oberlan­des­ge­richte darüber hinaus angenommen, dass sich hinsichtlich einzelner Werke nicht feststellen lasse, dass die Beklagte diesbezüglich Prüfpflichten verletzt habe; insoweit haben sie die Klagen vollständig abgewiesen. Mit den im Verfahren I ZR 135/18 vom Oberlan­des­gericht und im Übrigen vom Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter. Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren I ZR 53/17 mit Beschluss vom 20. September 2018 (uploaded I) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG vorgelegt (dazu Presse­mit­tei­lungen Nr. 156/2018 vom 20. September 2018). Die Verfahren I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18 hat der Bundes­ge­richtshof bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren I ZR 53/17 ausgesetzt. Der Bundes­ge­richtshof hat in sämtlichen Verfahren den Revisionen der Klägerinnen stattgegeben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungs­ge­richte zurückverwiesen.

Maßnahmen der Sharehosting-Plattform unzureichend

Für den Betreiber einer Sharehosting-Plattform gelten nach der Vorab­ent­scheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union dieselben Grundsätze wie für den Betreiber einer Video-Sharing-Plattform. Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte keine hinreichenden technischen Maßnahmen ergriffen hat, weil die von ihr eingesetzten proaktiven Maßnahmen (Stichwortfilter beim Download, Hashfilter, einige manuelle Kontrollen und Recherchen in Linkressourcen) Urheber­rechts­ver­let­zungen nicht hinreichend effektiv entgegenwirken und die weiteren von der Beklagten angeführten Maßnahmen (Bereitstellung eines "Abuse-Formulars" und eines "Advanced-Take-Down-Tools") lediglich reaktiv und daher ebenfalls unzureichend sind. Es bestehen zudem gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Geschäftsmodell der Beklagten auf der Verfügbarkeit rechts­ver­let­zender Inhalte beruht und die Nutzer dazu verleiten soll, rechts­ver­letzende Inhalte über die Plattform der Beklagten zu teilen. Für eine abschließende Beurteilung sind allerdings noch tatsächliche Feststellungen zu treffen. Sind die geltend gemachten Unter­las­sungs­ansprüche nach dem im Handlungs­zeitpunkt geltenden Recht begründet, ist zudem zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe auch nach dem seit dem 1. August 2021 geltenden Gesetz über die urheber­rechtliche Verant­wort­lichkeit von Diens­tean­bietern für das Teilen von Online-Inhalten vorliegen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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