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- Landgericht Berlin, Urteil19.11.2019, (532 Ks) 234 Js 87/14 (7/16)
Bundesgerichtshof Beschluss01.11.2020
Tötung eines schwer geschädigten Säuglings nach der Geburt ist ein strafbares TötungsdeliktBGH bestätigt überwiegend Urteil im Berliner Zwillingsfall
Der BGH hat die Revisionen gegen das Urteil des LG Berlin im Berliner Zwillingsfall, womit zwei Geburtsmediziner wegen Totschlags (in minder schwerem Fall) zu Bewährungsstrafen verurteilt worden waren, überwiegend verworfen.
Das Landgericht Berlin hat die beiden angeklagten Geburtsmediziner wegen Totschlags (in minder schwerem Fall) zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Indikation für selektiven Abbruch gegeben
Nach den Feststellungen des Landgerichts war eine Frau mit Zwillingen schwanger. Während der Schwangerschaft entwickelten sich Komplikationen. In deren Folge erlitt ein Zwilling schwere Hirnschäden, während sich der andere überwiegend normal entwickelte. Nach Beratung wurde die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch bezüglich des geschädigten Zwillings nach § 218 a Abs. 2 StGB gestellt. Ein solcher Abbruch kann bei entsprechender Indikation straffrei bis zur Geburt vorgenommen werden. Dieser spezielle Eingriff (selektiver Fetozid) ist aber mit Risiken für den anderen Zwilling verbunden. Er wurde zur Tatzeit 2010 nur von sehr wenigen spezialisierten Kliniken mittels einer besonderen Methode durchgeführt. Die Mutter wollte den Abbruch vornehmen lassen, fühlte sich in der von ihr aufgesuchten Spezialklinik aber nicht gut betreut.
Tötung des geschädigten Zwillings erst nach der Geburt
Sie wandte sich schließlich an die Angeklagte. Diese war als leitende Oberärztin in einer von dem Mitangeklagten geleiteten Klinik für Geburtsmedizin tätig. Das zu dieser Zeit gebräuchliche Verfahren zum selektiven Abbruch einer Zwillingsschwangerschaft wurde dort nicht angewendet. Stattdessen entwickelte die Angeklagte in Einvernehmen mit dem Mitangeklagten und der Mutter den Plan, mittels Kaiserschnitt zunächst das gesunde Kind zu entbinden und im unmittelbaren Anschluss daran den schwer geschädigten Zwilling zu töten. Nachdem sich bei der Mutter Wehen eingestellt hatten, gingen beide Angeklagte wie geplant vor und töteten nach Entbindung des gesunden Zwillings den lebensfähigen, aber schwer hirngeschädigten verbleibenden Zwilling durch Injektion einer Kaliumchlorid-Lösung. Dabei war ihnen bewusst, dass sie sich über geltendes Recht hinwegsetzen und einen Menschen töten würden. Erst mehrere Jahre später wurde die Staatsanwaltschaft durch eine anonyme Anzeige auf das Geschehen aufmerksam.
Strafbarer Tötungsdelikt statt Schwangerschaftsabbruch
Der Bundesgerichtshofs hat die Revisionen der Angeklagten überwiegend verworfen. Insbesondere hat er den Schuldspruch wegen gemeinschaftlichen Totschlags bestätigt. Die hierzu getroffenen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs stellt die Tötung des lebensfähigen schwer geschädigten Zwillings ein strafbares Tötungsdelikt und nicht lediglich einen bei entsprechender Indikation straffreien Schwangerschaftsabbruch dar. Die Regeln über den Schwangerschaftsabbruch gelten nur bis zum Beginn der Geburt. Die Geburt beginnt bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitt mit der Eröffnung der Gebärmutter, wenn das Kind damit vom Mutterleib getrennt werden soll. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Kind oder mehrere Kinder betroffen sind.
LG muss über Höhe der Strafen deshalb neu verhandeln
Allerdings hat der Bundesgerichtshof die vom Landgericht verhängten Strafen aufgehoben, weil den Angeklagten zur Last gelegt wurde, dass sie die Tat geplant und nicht in einer Notfallsituation begangen haben. Dieser Gesichtspunkt ist bei einer medizinischen Operation kein zulässiger Erschwerungsgrund. Während der Schuldspruch wegen Totschlags rechtskräftig ist, muss über die Höhe der Strafen deshalb noch einmal neu verhandelt werden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.01.2021
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/aw)
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