21.11.2024
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Dokument-Nr. 29664

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Beschluss01.11.2020Bundesgerichtshof5 StR 256/20
Vorinstanz:
  • Landgericht Berlin, Urteil19.11.2019, (532 Ks) 234 Js 87/14 (7/16)
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss01.11.2020

Tötung eines schwer geschädigten Säuglings nach der Geburt ist ein strafbares TötungsdeliktBGH bestätigt überwiegend Urteil im Berliner Zwillingsfall

Der BGH hat die Revisionen gegen das Urteil des LG Berlin im Berliner Zwillingsfall, womit zwei Geburts­me­diziner wegen Totschlags (in minder schwerem Fall) zu Bewäh­rungs­strafen verurteilt worden waren, überwiegend verworfen.

Das Landgericht Berlin hat die beiden angeklagten Geburts­me­diziner wegen Totschlags (in minder schwerem Fall) zu Freiheits­s­trafen von einem Jahr und sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Indikation für selektiven Abbruch gegeben

Nach den Feststellungen des Landgerichts war eine Frau mit Zwillingen schwanger. Während der Schwangerschaft entwickelten sich Komplikationen. In deren Folge erlitt ein Zwilling schwere Hirnschäden, während sich der andere überwiegend normal entwickelte. Nach Beratung wurde die Indikation für einen Schwan­ger­schafts­abbruch bezüglich des geschädigten Zwillings nach § 218 a Abs. 2 StGB gestellt. Ein solcher Abbruch kann bei entsprechender Indikation straffrei bis zur Geburt vorgenommen werden. Dieser spezielle Eingriff (selektiver Fetozid) ist aber mit Risiken für den anderen Zwilling verbunden. Er wurde zur Tatzeit 2010 nur von sehr wenigen spezialisierten Kliniken mittels einer besonderen Methode durchgeführt. Die Mutter wollte den Abbruch vornehmen lassen, fühlte sich in der von ihr aufgesuchten Spezialklinik aber nicht gut betreut.

Tötung des geschädigten Zwillings erst nach der Geburt

Sie wandte sich schließlich an die Angeklagte. Diese war als leitende Oberärztin in einer von dem Mitangeklagten geleiteten Klinik für Geburtsmedizin tätig. Das zu dieser Zeit gebräuchliche Verfahren zum selektiven Abbruch einer Zwillings­schwan­ger­schaft wurde dort nicht angewendet. Stattdessen entwickelte die Angeklagte in Einvernehmen mit dem Mitangeklagten und der Mutter den Plan, mittels Kaiserschnitt zunächst das gesunde Kind zu entbinden und im unmittelbaren Anschluss daran den schwer geschädigten Zwilling zu töten. Nachdem sich bei der Mutter Wehen eingestellt hatten, gingen beide Angeklagte wie geplant vor und töteten nach Entbindung des gesunden Zwillings den lebensfähigen, aber schwer hirnge­schä­digten verbleibenden Zwilling durch Injektion einer Kaliumchlorid-Lösung. Dabei war ihnen bewusst, dass sie sich über geltendes Recht hinwegsetzen und einen Menschen töten würden. Erst mehrere Jahre später wurde die Staats­an­walt­schaft durch eine anonyme Anzeige auf das Geschehen aufmerksam.

Strafbarer Tötungsdelikt statt Schwan­ger­schafts­abbruch

Der Bundes­ge­richtshofs hat die Revisionen der Angeklagten überwiegend verworfen. Insbesondere hat er den Schuldspruch wegen gemein­schaft­lichen Totschlags bestätigt. Die hierzu getroffenen Feststellungen beruhen auf einer rechts­feh­ler­freien Beweiswürdigung. Auch nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs stellt die Tötung des lebensfähigen schwer geschädigten Zwillings ein strafbares Tötungsdelikt und nicht lediglich einen bei entsprechender Indikation straffreien Schwan­ger­schafts­abbruch dar. Die Regeln über den Schwan­ger­schafts­abbruch gelten nur bis zum Beginn der Geburt. Die Geburt beginnt bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitt mit der Eröffnung der Gebärmutter, wenn das Kind damit vom Mutterleib getrennt werden soll. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Kind oder mehrere Kinder betroffen sind.

LG muss über Höhe der Strafen deshalb neu verhandeln

Allerdings hat der Bundes­ge­richtshof die vom Landgericht verhängten Strafen aufgehoben, weil den Angeklagten zur Last gelegt wurde, dass sie die Tat geplant und nicht in einer Notfa­ll­si­tuation begangen haben. Dieser Gesichtspunkt ist bei einer medizinischen Operation kein zulässiger Erschwe­rungsgrund. Während der Schuldspruch wegen Totschlags rechtskräftig ist, muss über die Höhe der Strafen deshalb noch einmal neu verhandelt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/aw)

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