23.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil22.12.2010

Patientin stirbt an Wundinfektion – Chirurg muss nicht zwingend über Wundbehandlung mit Zitronensaft aufklärenGericht hebt Verurteilung eines Arztes wegen Körper­ver­letzung mit Todesfolge auf

Birgt ein ärztlicher Heileingriff das Risiko, dass sich in seiner Folge eine weiter behand­lungs­be­dürftige Erkrankung oder körperliche Schädigung einstellt, muss der Arzt den Patienten vor dem ersten Eingriff nur dann über die Art und die Gefahren einer bei Verwirklichung des Risikos notwenigen Nachbehandlung aufklären, wenn dieser ein schwerwiegendes, die Lebensführung eines Patienten besonders belastendes Risiko anhaftet, etwa der Verlust eines Organs. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Mit diesem Urteil hat der Bundes­ge­richtshof das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach gegen den früheren Chefarzt einer Klinik in Wegberg aufgehoben, mit dem dieser wegen Körper­ver­letzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten mit Bewährung verurteilt worden war.

Arzt behandelte Wundinfektion mit nicht sterilem Zitronensaft

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte eine Patientin, bei der er eine Darmoperation kunstgerecht durchführte, vor diesem Eingriff nicht darüber aufgeklärt, dass er zur Behandlung einer nach dieser Operation eventuell auftretenden Wundinfektion auch Zitronensaft verwenden würde. Er war von dessen desin­fi­zie­renden Wirkung überzeugt und ließ ihn daher unter nicht sterilen Bedingungen mit üblichen Haushalts­geräten in der Stationsküche gewinnen. Jedoch konnte es durch den unsterilen Zitronensaft zu einer weiteren bakteriellen Belastung damit behandelter Wunden kommen. Nachdem bei der Patientin tatsächlich eine massive Wundhei­lungs­störung aufgetreten war, nahm der Angeklagte eine zweite Operation (so genannte Reoperation) vor und brachte hierbei sowie in der Folgezeit - neben dem Einsatz herkömmlicher Medikamente - mehrfach Zitronensaft in die Wunde ein. Auch jetzt informierte er die Patientin hierüber nicht.

Patientin verstirbt an den Folgen der Wundinfektion

Die Patientin verstarb rund zwei Wochen nach dem ersten Eingriff an den Folgen der Wundinfektion. Dass die Verwendung des Zitronensaftes hierfür mitursächlich geworden wäre, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Nach dessen Ansicht hätte der Angeklagte die Patientin aber über den möglichen späteren Einsatz von Zitronensaft schon vor der ersten Operation aufklären müssen. Daher hat es bereits die Einwilligung der Patientin in die Vornahme dieses Eingriffes als unwirksam angesehen und diesen daher als rechtswidrige Körper­ver­letzung gewertet. Weil die durch die Erstoperation bedingte Wundinfektion zum Tode der Patientin geführt hat, hat es den Angeklagten der Körper­ver­letzung mit Todesfolge für schuldig erachtet.

Revision des Angeklagten hat Erfolg

Diese Rechts­auf­fassung des Landgerichts hielt revisi­ons­recht­licher Überprüfung nicht stand. Nach dem Urteil des Bundes­ge­richtshofs war der Angeklagte nicht verpflichtet, die Patientin bereits vor dem ersten Eingriff darüber aufzuklären, dass er im Falle des Eintritts einer Wundhei­lungs­störung zu deren Behandlung gegebenenfalls auch Zitronensaft einsetzen werde. Birgt ein ärztlicher Heileingriff das Risiko, dass sich in seiner Folge eine weitere behand­lungs­be­dürftige Erkrankung oder körperliche Schädigung einstellt, so muss der Arzt den Patienten vor dem ersten Eingriff nur dann über die Art und die Gefahren einer bei Verwirklichung des Risikos notwendigen Nachbehandlung aufklären, wenn dieser ein schwerwiegendes, die Lebensführung eines Patienten besonders belastendes Risiko anhaftet, etwa der Verlust eines Organs.

Beweise für Ursächlichkeit des Todes durch Behandlung mit Zitronensaft nicht auffindbar

Eine derartige Konstellation lag hier nicht vor. So war im Falle des Eintritts einer Wundhei­lungs­störung das Einbringen von Zitronensaft schon nicht die einzig mögliche Art der Behandlung. Vielmehr stand in Form der Verabreichung von Antibiotika eine Alternative zur Verfügung, auf die hier zunächst auch allein und später neben der Verwendung des Zitronensaftes zurückgegriffen worden war. Außerdem war nach Ausbruch der Wundinfektion grundsätzlich noch genügend Zeit vorhanden, um die Patientin auf den beabsichtigten Einsatz von Zitronensaft hinzuweisen und sie die Wahl zwischen der alleinigen - weiteren - Gabe von Antibiotika oder dem zusätzlichen Einsatz von Zitronensaft treffen zu lassen. Demgemäß war sie trotz ihrer erheblichen gesund­heit­lichen Einschränkungen sogar noch in der Lage, eigen­ver­ant­wortlich ihre Einwilligung in die Reoperation zu erteilen. Hinzu kommt, dass mit dem Einbringen des unsterilen Zitronensaftes in die Wunde als maßgebliches Risiko ausschließlich eine gewisse zusätzliche bakterielle Belastung verbunden war, was nicht mit der Gefahr für die künftige Lebensführung eines Patienten vergleichbar ist, dem durch die Nachbehandlung etwa ein Organverlust droht. Entsprechend hat das Landgericht auch keinen hinreichenden Anhalt dafür gefunden, dass der Einsatz des Zitronensaftes in irgendeiner Form mitursächlich für den Tod der Patientin geworden wäre. Bei dieser Sachlage war der Angeklagte entgegen der Ansicht des Landgerichts auch nicht allein deshalb verpflichtet, schon vor der ersten Operation auf die eventuelle spätere Verwendung von Zitronensaft zur Behandlung einer möglichen Wundinfektion hinzuweisen, weil der von ihm erwogene Einsatz dieser unerprobten Außen­sei­ter­methode bei der Patientin Zweifel an seiner Fachkompetenz hätten wecken können mit der Folge, dass sie den Eingriff nicht vom Angeklagten hätte vornehmen lassen.

Chirurg macht sich lediglich bei Zweitoperation der gefährlichen Körper­ver­letzung schuldig

Damit hat sich der Angeklagte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen lediglich durch die Zweitoperation der gefährlichen Körper­ver­letzung schuldig gemacht; denn vor diesem Eingriff hätte er die Patientin über das von ihm hierbei beabsichtigte Einbringen von Zitronensaft in die Wunde aufklären müssen. Da er dies unterlassen hat, war die insoweit erteilte Einwilligung der Patientin unwirksam. Dagegen kann dem Angeklagten danach keine Körper­ver­letzung mit Todesfolge angelastet werden, da weder die Zweitoperation noch der Einsatz des Zitronensaftes zum Eintritt des Todes beigetragen haben. Eine entsprechende Umstellung des Schuldspruchs war dem 3. Strafsenat indes nicht möglich, da in Betracht kommt, dass dem Angeklagten in Verbindung mit der Erstoperation ein Behand­lungs­fehler unterlief oder er die Patientin vor dieser in anderer Hinsicht nicht ausreichend aufklärte. Da somit eine Verurteilung wegen Körper­ver­letzung mit Todesfolge auf anderer Tatsa­chen­grundlage noch möglich erscheint, muss die Sache vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach erneut verhandelt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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